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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Sie hatte, als kürzlich Herr von Nievern über seine erfolglose Unterhandlung mit dem Vormund des jungen Freiherrn von Leyen Bericht erstattete, nach ihrer Art auf den Kern der Sache wenig acht gehabt. Und Herr von Nievern, gutmüthig, wie er im Grunde war, hatte auch das Seinige dazu beigetragen, daß jene Weigerung von Leyenscher Seite nicht zu tief eindringe in das fürstliche Gemüth und Gedächtniß und da üblen Willen gegen die Waisen erzeuge. Zum Unglück aber hatte er jene Bemerkung über Polyxene wirklich gemacht; leicht hingeworfen, als harmlose Redeblume, die aber, wie sich nun zeigte, von Frau von Méninville mit spitzen Fingern aufgelesen und dem Herbarium ihres Gedächtnisses einverleibt worden war, welchem sie jetzt von ihr entnommen wurde, um, vorher in feinen Giftstaub eingetaucht, unter die fürstliche Nase gehalten zu werden. „Jugend hat keine Tugend,“ sagte die vortreffliche Witwe jetzt entschuldigend. „Das Fräulein ist eben jung und vorwitzig.“ Und nun prüfend, leise lauernd unter den blonden Wimpern hervor: „Ein Aufenthalt am Hofe, in der Nähe Euerer Hoheit, würde ihre Manieren gewiß alsbald verbessern; und diese Verbesserung, zusammen mit jenem – leider allzu flüchtigen – Jugendreiz, den man an ihr rühmt, würde ihr vielleicht die soliden Attentionen eines unserer Kavaliere verschaffen ... es sind ja einige ansehnliche noch unvermählte Herren in den besten Jahren am Hofe ...“ ein leises Zaudern, ob man noch weiter gehen dürfe – ja, bei Sabine Eleonore waren starke Dosen nöthig, also wohlan denn, noch eine! „Den Beifall des Herrn von Nievern scheint sie schon erlangt zu haben ...“

Da, endlich! Die kleine Dame reckte sich steif auf und kollerte wie eine zankende Taube: „Wer sagt, daß ich sie haben will? – Ich möchte sie nicht um mich leiden, und wenn mir eine flandrische Stadt dafür geschenkt würde! Bin ich diesem paupern Adel schuldig, ihn zu erhalten? Mitnichten! Warum geht sie nicht in ein Kloster? Dafür langte ihr bißchen Armuth gerade noch, sich einkaufen zu können.“

„Sie mag wenig Beruf dazu in sich spüren, und der Schritt würde ihr alsdann zur Sünde gereichen, das dürfen Hoheit nicht vergessen,“ erinnerte Frau von Méninville in erbaulichem Tone. „Der Herr will Herzen, die sich ihm freiwillig ergeben. Der Sinn dieser jungen Dame steht nach fast männlicher Lust, wie man hört, nach Jagd und Jägerei.“

Die Pfalzgräfin hörte die letzten Worte nicht mehr. Selten oder nie in ihrem Leben hatte diese matte Natur soviel innere Beängstigung und Verlegenheit empfunden als in den letzten Augenblicken, bis, aus dieser Noth geboren, ein rettender Gedanke kam. Und nun, in angewöhnter schlauer Vorsicht und Zurückhaltung, sprach sie nicht gleich, sondern begann erst nach einer Pause ganz ruhig und vornehm näselnd: „Was ich vorhin schon sagen wollte, liebe Méninville: es ist unpassend, daß eine Person von einigem Stande wie Sie, für die wir noch dazu zu besonderer Rücksicht gewillt sind, so erbärmlich wohnt. Sie sollen nicht wieder durch die Karossen meines Adels, der sich allzu viel einbildet, in den Gassenschmutz gedrängt werden! Sie ziehen hierher aufs Schloß! Das Appartement der Hofdame von Ochsenstein steht leer – gut, daß mich die Obersthofmeisterin darauf brachte ... Sie werden es beziehen ... und Sie werden künftig in einem von meinen Wagen fahren!“

„Unmöglich, Hoheit!“ schrie die fromme Frau, ganz fassungslos erschrocken.

„Warum unmöglich?“ fragte Sabine Eleonore hochmüthig. „Kann ich nicht thun, was ich will?“

Sie war aber doch in einer gewissen Bewegung; ihr Wachsgesicht röthete sich ungleich. Frau von Méninville mochte einsehen, daß es nicht wohlgethan sein würde, ihren Scheinwiderstand allzu ernstlich zu betreiben und der launischen Fürstin Gründe an die Hand zu geben gegen den auffälligen Schritt, die sie vielleicht gar stichhaltig gefunden hätte. So sagte sie denn – was, wie sie wußte, die Pfalzgräfin wenig rühren würde: „Ich befürchte für das Heil meiner Seele bei einer Erhöhung, welche die weltliche Hoffart wieder in mir beleben könnte. Es ist dem durchdringenden Blicke Euerer Hoheit nicht entgangen, wie völlig ich meinen Sinn abzuwenden suche von der Herrlichkeit der Welt, die mich, das bekenne ich, erst in Euerer durchlauchtigsten Person aufs neue unwiderstehlich angezogen hat.“

„Ach, papperlapapp!“ sagte denn auch die fürstliche Dame kurzweg. „Sie werden die christliche Demuth im Dienste um unsere Person schon nicht aus den Augen setzen. Sie bleiben einstweilen ohne besonderen Rang, da ist man ganz ungeniert –“

„– und kann nachträglich soviel an der Sache knausern wie man will,“ fügte Frau von Méninville in Gedanken hinzu. Gleichviel! Sie würde sich verbindlich gemacht haben, eine Weile von der Luft, sicherlich aber mit Vergnügen von Wasser und Brot zu leben, nun, da sie so viel erreicht hatte. Ein ungeheurer Schritt weiter war gethan; sie war ihrem heimlichen Vorbild, der Madame von Maintenon, wieder ein gutes Stück näher gekommen.

„Ich brauche eine ergebene Person in meiner Nähe, die klug ist und keine Prätensionen macht,“ sagte Sabine Eleonore hier mit echt fürstlicher Rücksichtslosigkeit. „Sie sind mir ergeben, denk’ ich, liebe Méninville?“

Statt aller Antwort haschte die Witwe nach der fürstlichen Hand und küßte den seidenem Halbhandschuh mit Inbrunst. Und so kam es, daß das Quartier über dem Laden und der Mehlkammer des Bäckers Lüttebrand drei Tage später leer stand.




5.

In eben diesen Tagen begab sich Fräulein Polyxene von Leyen in glücklicher Unkenntniß alles dessen, was zur Zeit am fürstlich Birkenfeldschen Hofe für und gegen sie verhandelt worden war, eines Nachmittags, da es schon gegen den Abend ging, nach dem Dorfe Keula hinauf. Des adligen Anstandes wegen folgte ihr ein Diener, derselbe Mann, der sie und den Vetter neulich zur Jagd gefahren hatte. Dietlieb trug ein Körblein, in welchem sich, wie er mit Verwunderung festgestellt hatte, ein feines Weißbrot, von der Wirthschafterin auf der Herrenmühle gebacken, und ein kleiner Krug Wein befand. Auch ein paar edle Aepfel von dem Zwergobst, welches der Herr von Gouda an sonnigem Spalier zog, hatte das Fräulein selber zuguterletzt noch herbeigebracht. Sie waren schon beinahe durch die lange aufwärts führende Dorfgasse hindurch, da blieb Polyxene, welche bisher keine Unsicherheit und kein Zögern gezeigt hatte, stehen und ließ den Diener herankommen; nicht ohne ein wenig Scheu, unwillkürlich leise sprechend, fragte sie ihn: „Wo mag der Schindanger des Dorfes sein, Dietlieb?“

„Der Schindanger? Gott behüte uns, Euer Gnaden!“ Er sah sie an, als ob sie nicht ganz bei Verstande sei. „Was soll uns der Schindanger?“ Wollte sie etwa Knöchlein ausgraben, um Mittel zur Erhaltung der Schönheit zusammenzukochen, wie manche thaten? Dazu hätten sie aber doch gegen Mitternacht gehen und Hacke und Spaten mitnehmen müssen!

Sie ließ ihn nicht lange im Unklaren. „An dem verlassenen Anger steht ein Haus, und die darin wohnt, die will ich sehen. Wißt Ihr Bescheid hier im Dorfe? Kennt Ihr das einzelne Haus? Ein gar elend Häuslein soll es sein.“

„Da weiß ich von keinem,“ sagte er kopfschüttelnd. „Hinter dem Galgenfeld in der Schlucht, die nach dem Heidentopf hinaufzieht, stand früher eine Hütte, die muß aber längst zerfallen sein; schon damals hing sie vornüber und die Lehmwände barsten. Ich bin lange nicht hingekommen – man ging nicht gern vorüber. Vor Zeiten habe einer der Freiknechte da gewohnt, erzählen sie; das war, als dort oben noch der Galgen stand, den die Grafschaften Birkenfeld, Hippoltstein und Veldenz gemeinsam unterhielten. Das ist lange her; jetzt wird nur noch zu Heidelberg gehenkt, wenn ich’s recht verstehe.“

Ob Dietlieb mehr wußte, als er sagen wollte? Er war ein kümmerlicher, ängstlicher Gesell. Polyxene fragte ihn nicht weiter, sondern hatte das Antlitz stetig nach der Höhe über dem Dorfe gewandt und verfolgte ihren Weg. Sie kannte die Schlucht, von welcher ihr Begleiter gesprochen, und hatte dort zu Zeiten, oben vom Waldrande aus, mit flüchtigem Verwundern das einer menschlichen Behausung ähnliche braune Genist mit dem elenden Dache über den Rand des Hohlweges hinausragen sehen, sie war jetzt überzeugt, daß das der Ort sei. Dahin aber getraute sie sich allein zu finden. Als sie daher durchs Dorf vollends hindurch waren, blieb sie stehen und streckte die Hand nach dem Körbchen aus. „Was beliebt, Euer Gnaden?“ fragte der Mann, wie ängstlich, und hielt den Korb fest. „Gebt nur her,“ sagte das Fräulein, auf eine Weise, die ihm jeden ferneren gutgemeintem Widerstand kurz abschnitt, „ich brauche Euch nun nicht mehr. Wartet meiner bei der Kirche!“

Zögernd gehorchte Dietlieb; Polycene wandte sich, nachdem sie die weite öde Heidefläche oberhalb des Dorfes erreicht hatte, ohne weiteres Besinnen rechts, dem Eingange jenes schluchtartigen Hohlweges zu. Er war trocken bis auf die schmale Sohle, die feucht und so tief dalag, daß weder Sonne noch Mond hineinschienen. Es

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