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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Und doch – wär’s schade, wenn den alten Flaus,
Den Filzhut, der von Alter grün und Staub,
Ein Regen träf’?! Doch fürchtet er’s. Ich glaub’,
Er ginge ohne Schirm nicht aus dem Haus.

Und ist’s ein Schirm, was er da traget, noch?
Ein alt Gestell, geflickt und halb zerfetzt
Hängt dran der Zeug, vom Tragen abgewetzt,
Fürwahr ein schlechter Schutz! ’s ist Loch an Loch!

Und doch, er trägt ihn stets. O wüßtet ihr,
Wie werth der alte Regenschirm ihm ist!
Ach, unter ihm hat er sein Lieb geküßt,
Es sind nun sicher fünfzig Jahre schier.

Wie oft schlich er, von diesem Schirm gedeckt,
Sich an ihr Haus, und mit ihr Hand in Hand,
Vom großen sichern Dache überspannt,
Hat Kuß und Glück er vor der Welt versteckt.

Er trug den Schirm an jenem Tag bei sich,
Da man begraben einst sein holdes Lieb.
Er stand ganz fern – verstohlen wie ein Dieb
Weint unter seinem Schirm er bitterlich.

Und vor der Welt hat ihn der Schirm verhüllt,
Wenn er in seines Lebens bitt’rer Noth
Sich oft gekauft für einen Kreuzer Brot,
Als Mittagsmahl, das kaum den Hunger stillt.

Es ist der Schirm sein Freund – sein bester Halt,
Der Einzige, der niemals ihn betrog,
Ihn nie verließ und niemals ihn belog –
Sie wurden beide miteinander alt.

Morsch das Gestell, schadhaft der Ueberzug!
Was kümmert beide Licht und Sonnenschein?!
Bald wird der Himmel wieder trübe sein,
Zum Regnen giebt’s – zum Weinen Grund genug!

Eine Fischauktion. (Zu dem Bilde S. 249.) Der Künstler fuhrt uns in die Fischhalle einer großen französischen Stadt und versetzt uns in eine höchst charakteristische und lebendige Scene, in eine Fischauktion. In den letzten Tagen hat an den Küsten ein heftiger Nordweststurm gewüthet, der Unheil genug anrichtete, aber auch für die nächste Zeit einen guten Fang verhieß. Sobald sich daher der Aufruhr legte, sind die Fischer mit ihren Booten hinausgeeilt. Und der „Segen des Meeres“ war reich, fast uberreich; schwer beladen kehren die Fahrzeuge zurück. Sie brauchen nicht weit zu segeln, schon vor der Flußmündung treffen sie einige „Fischdampfer“, deren Aufgabe es ist, den Fischerbooten ihre zarte, leichtverderbende Beute abzunehmen und rasch auf den Markt der nächsten großen Hafenstadt zu bringen, während die Fischer selber ihren Bug sofort wieder nach See wenden, um einen neuen Fang vorzubereiten.

In der Stadt wartet man bereits auf die frische silberschuppige Ware, auf die köstliche Seezunge, den edlen Steinbutt, die zarte Makrele wie auf die in Massen auftretenden Sippen der Kabeljaus, Schellfische, Häringe etc., die für wenige Sous eine vortreffliche, für eine große Familie ausreichende Mahlzeit liefern.

Da nun besonders nach einem Sturme im Atlantischen Ocean und im „Kanal“ das Angebot auf dem Fischmarkt so groß zu sein pflegt, daß die Händler befürchten müssen, der größte Theil der appetitlichen Meeresbewohner könne dem schnellen Verderben anheimfallen, so wird rasch eine Auktion veranstaltet, zu der sich nicht nur, wie in Deutschland bei ähnlicher Gelegenheit, die Gasthofbesitzer und Kleinhändler einfinden, sondern auch die Köchinnen guter Häuser, praktische Hausfrauen, die hier für geringes Geld etwas Gutes erstehen können.

Prächtige, lebenswahre Gestalten zeigt uns der Künstler bei dieser Gelegenheit. Der alte Mann mit den scharf geschnittenen Zügen, der einen Korb voll Makrelen mit Kennerblicken mustert, die hübsche junge Frau, welche in resoluter Haltung wartet, bis ihre Ware dran kommt, die bei ihren Fischen sanft entschlummerte Alte sind echte Gestalten eines französischen Fischmarktes; und nicht minder ist das der Auktionator selber, der, auf einem Tischchen stehend, eben auf einen tüchtigen Rochen bieten läßt, welcher vor ihm auf dem feuchten kühlen Estrich liegt.

Der Rochen, dieses häßlichste aller Meerthiere, das wir in Deutschland kaum zu sehen bekommen, ist auf den französischen und englischen Fischmärkten eine gewöhnliche Erscheinung; wir erkennen es auf unserem Bilde an dem platten, fast kreisrunden Körper, der mit einem langen schmalen, mit Stacheln besetzten Schwanze geschmückt ist. Kaum ein anderer Fisch, den Häring ausgenommen, gestattet so mannigfache Zubereitung, und da sein Fleisch zudem sehr wohlschmeckend ist, so ist er bei reich und arm heliebt.

Es sei mir hier gestattet, den Hausfrauen gleich ein Rezept mitzutheilen, welches eine liebenswürdige Französin mir anvertraut hat. Es betrifft den frischen Häring, der auch an den deutschen Küsten massenhaft gefangen und auf den Hauptmärkten zu lächerllch billigen Preisen angeboten wird, aber leider viel zu geringe Beachtung findet, weil man nicht recht versteht, ihn zuzubereiten.

Die frischen Häringe werden ausgenommen, gewaschen, von den Köpfen befreit und mit dem Rücken nach unten nebeneinander in einen Fischkessel gelegt, dessen Boden mit Zwiebelscheiben, Lorbeerblättern, Citronenscheiben und Pfefferkörnern zu belegen ist. Ueber die Fische gießt man kaltes Wasser, das durch einen tüchtigen Guß Essig stark säuerlich gemacht und mit dem nöthigen Salz versehen ist. Man läßt die Häringe langsam zum Sieden kommen, aber nicht völlig kochen, rückt sie vom Feuer, nimmt sie vorsichtig heraus, legt sie in eine Porzellanschüssel und gießt die heiße Brühe sammt den Gewürzen darüber. Erkaltet, sind die Fische von herrlichem, zartem Geschmack und finden namentlich bei Herren weit größeren Beifall als die theueren „Delikateßhäringe“ in Büchsen. H. P.     

Die Flucht der Vestalinnen aus Rom. (Zu dem Bilde S. 244 u. 245.) Der Maler Hektor Le Roux, der Bruder des Genremalers Eugen Le Roux, sucht sich die Stoffe für seine Gemälde mit Vorliebe aus dem altgriechischen und altrömischen Leben, und ganz besonders gerne greift er düstere, schicksalsschwere Augenblicke heraus. So auch auf dem Bilde, das wir in unserer heutigen Nummer wiedergeben. Die Vestalinnen, jenes vornehme römische Frauenkollegium, welches das Heilige Feuer zu unterhalten und das „Palladium“, ein altehrwürdiges Holzbild der Minerva, zu behüten hatte, müssen fliehen von der Stätte ihres geweihten Kultus, weil der Feind sie bedroht. Sie haben sich auf Boote gerettet und fahren den Tiber hinab – nicht ohne ihre kostbaren Schätze, das Heilige Feuer und das alte Götterbild, mit sich zu nehmen. Düster lastet der Himmel über der Landschaft, düster schauen die Jungfrauen in die Zukunft, soweit nicht Gram und Erschöpfung sie in Schlaf gesenkt haben, Auf diese tiefernste Stimmung hat gewiß auch der Maler den Hauptnachdruck bei seinem Bilde gelegt, sie sichert ihm den Eindruck auf das Gemüth des Beschauers. Denn Le Roux’ Darstellung hält wohl vor einer künstlerischen Prüfung stand, dem Historiker und Archäologen aber giebt sie manchen Grund zu Fragen und zu Zweifeln.


KLEINER BRIEFKASTEN.


Fr. St. in Eßlingen. Das ist allerdings ein ganz respektabler Krebs. Noch größere Krebse will man freilich früher gesehen haben. In der Kosmographie des Sebastian Münster, welche erstmals 1544 erschien und nachher viele Auflagen erlebte, finden sich auf einem Holzschnitte, der das Meer mit allen möglichen und unmöglichen Thieren bevölkert darstellt, auch Krebse, die mindestens die Größe eines Walfisches gehabt haben müssen. Etwas kleiner, aber immerhin noch ein Riesenkerl, war der Krebs, von welchem in der Beschreibung der Reise zweier württembergischer Fürsten nach Berlin vom Jahre 1613 die Rede ist. Bei dem Städtchen Neustadt bei Koburg berichtet dieselbe: „Im Wirthhaus ist ein großer Krebs auf eine Tafel gemalt, 5 Spannen lang, jede Scheer zwei Spannen, hat gewogen 54 Pfund. Ist gefangen zu Treumünda (Travemünde) 2 Meilen von Lübeck Anno 1602 und Herzog Johann Kasimir (von Koburg) verehrt worden.“ Jedenfalls hat die Phantasie des Herstellers der Tafel den Krebs, der wirklich gefangen wurde und wohl ganz besonders groß war, noch gehörig auswachsen lassen, so daß er nach dem Tode Maße annahm. welche er zu Lebzeiten nie erreicht hätte.

Fr. B. in Bergen. Am meisten Arme, d. h. in öffentlicher Unterstützung stehende Personen, hat im Verhältniß zu seiner Bevölkerungszahl der Ortsarmenverband Posen, wo beinahe 11 Arme auf 100 Einwohner kommen. Im großen und ganzen haben die großen Städte verhältnißmäßig höhere Armenziffern als die kleinen. In Berlin z. B. kommen auf 100 Einwohner 6,12, in Königsberg 8,36, in Frankfurt a. M. 8,36 Unterstützte. Andererseits zählte das kleine Wismar mit seinen 15000 Einwohnern nach der Statistik von 1885 nicht weniger als 8,6 Arme auf 100 Bewohner. Wir entnehmen diese Angaben dem „Ersten Jahressupplement“ von Meyers Konversationslexikon (Leipzig, Bibliographisches Institut); dort finden Sie genaueren Aufschluß über die neuere deutsche Armenstatistik.

Th. B. in Brooklyn. An und für sich geschieht ja in dem Hervorziehen geschichtlicher Gedenktage jetzt vielfach des Guten zu viel. Immerhin aber mag diese Sitte weiter gepflegt werden, denn sie wird doch manchmal eine vergessene Größe oder ein vergessenes Verdienst wieder in Erinnerung bringen. Den litterarischen Hilfsmitteln zur Auffindung solcher Gedenktage hat sich im vorigen Jahre ein weiteres hinzugesellt, Karl Wörles Geschichtskalender (Leipzig, Abel und Müller), ein Buch von handlichem Umfang und sachgemäßer Anordnung. Ueber die Auswahl der einzelnen Ereignisse, welche der Verfasser in seine Liste aufgenommen hat, wird man z. Th. abweichender Ansicht sein können. Doch thut das dem Werthe des Werkes keinen Abbruch. Es wird auch Ihnen für Ihre Zwecke gute Dienste leisten.


Inhalt: [ Verzeichnis des Inhaltes von Heft 15/1893 - z. Zt. nicht transkribiert. ]




[Verlagswerbung von J. G. Cotta für Werke von Widmann, Fulda und Anzengruber; wird derzeit nicht transkribiert.]




Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_260.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2023)