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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Bastschuhe wegwerfen, die er bis dahin getragen; doch ihr König bittet:

„Laßt mir meine Schuh’ von Lindenrinde
Und mit Bast von meiner Hand genähet,
Daß es meine Söhn’ und Enkel sehen;
Wie ihr Königsvater einst gegangen.“

Die Fürstentugenden des schönen Königspaares treiben denn auch im Lande Böhmen die herrlichsten Blüthen. So lange der Haselstrauch grünte, d. h. so lange die Könige den Pflug mehr als das Schwert ehrten, gebrach es nie an Brot, und so lange die Bastschuhe im Prager Königsschloß zu schauen waren, kehrte nie Uebermuth und Stolz dort ein. Kein Herrscherpaar, sondern ein Vater und eine Mutter walteten über Böhmen, und die Sage erzählt noch weiter von der überaus glücklichen und langen Regierung des edlen Fürstenpaares Primislaus und Libussa. Doch am Schlusse klagt sie bitter:

„Weh’, ach weh’, die Ruthe ist verdorret
Und die armen Schuhe sind gestohlen
Und der Eisentisch ist güldne Tafel!“

Nun wieder aus der schönen Sage in die blutige Geschichte zurück! Unfern des Hügels Bihana, unserm Standpunkt auf dem Mückenberg näher, aber nicht sichtbar, liegt ein anderes Schlachtfeld, auf welchem gleichfalls Tausende um eines Größenwahnes willen ihr Leben lassen mußten. Die Schlacht bei Dresden im Jahre 1813 war geschlagen, alle Heerstraßen über den Kamm des Erzgebirges waren bedeckt mit den Truppen der Verbündeten, die sich geordnet zurückzogen. Das letzte Mal vor der Entscheidungsschlacht bei Leipzig hatte Napoleons Glücksstern aufgeleuchtet, und mit einem gewissen Uebermuth verfolgten seine Generale den geschlagenen Gegner. Der russische Heerführer Ostermann hatte sich für seinen Rückzug den östlichsten Paß über Nollendorf ausersehen. Vandamme folgte ihm mit Ungestüm, und schon bei Pirna am Kohlberg begannen erneute Kämpfe. Ostermann wehrte sich wie verzweifelt und machte in der Nähe von Nollendorf den letzten und stärksten Vorstoß, um die Franzosen nach Sachsen zurückzudrängen. Vergebens, er konnte die Höhen nicht halten, wurden ins Thal hinabgedrängt, und Vandamme folgte bis in die Gegend von Kulm. Aber nicht zu seinem Heile!

Das Bergstädtchen Graupen.

Rings auf den Feldern zu unsern Füßen lagerten die Preußen unter General von Kleist. Der Kanonendonner drüben im Osten verzog sich mehr und mehr nach der Tiefe, und jetzt war die Zeit gekommen, die Falle, in die sich der heißblütige Vandamme begeben, zuzuziehen. Kleist eilte mit seinen Truppen über die Höhen nach dem Nollendorfer Paß, verlegte diesen und griff die Franzosen im Rücken an. Die Oesterreicher richteten ihren Angriff gegen die Flanke, und in der Front gingen die Russen aufs neue vor. So wurde Vandamme durch einen glücklichen Schachzug an den Steilhang des Erzgebirges, also buchstäblich an die Wand gedrückt. Das ganze französische Armeecorps wurde gefangen. Drei großartige Denkmäler bei Pristen und Arbesau ehren die gefallenen Preußen, Oesterreicher und Russen. An die Franzosen erinnern nur noch einige mit Unkraut überwucherte Erdhügel.

Aber damit ist die Schlachtenchronik unseres Thalkessels noch nicht erschöpft. Im Jahre 1040 schlug Kaiser Heinrich II. zwischen dem Bihana und Kulm den slavischen Herzog Bretislav von Böhmen. Am 11. Februar 1126 fochten die Herzöge Sobeslav und Lothar wider einander zwischen Kulm und Graupen. Gegen Norden hin auf den Höhen, welche die Altstadt Dresden dem Blicke entziehen, wurde am 26. und 27. August die vorhin erwähnte Schlacht bei Dresden geschlagen. In derselben Richtung, zwei Meilen näher am Mückenberg, bei dem schon genannten Maxen, erhebt sich eine Bergkuppe, die im Volksmunde „der Finkenfang“ genannt wird. Hier nahm der österreichische General Daun am 21. November 1759 den preußischen General Fink mit 12,000 Mann gefangen.

An den Dreißigjährigen Krieg erinnern mehrere Burgruinen, so die auf dem Schloßberg zu Teplitz und einige andere am Fuße des Mittelgebirges. Hinter den Zacken dieses Gebirges breiten sich die Felder von Lobositz aus, und in derselben Luftlinie liegt Kollin, zwei Namen von gar verschiedenem Klang in Preußens Kriegsgeschichte. Und wer am 3. Juli 1866 auf dem Mückenberg stand, der konnte, so berichten die Einwohner von Obergraupen, die Kanonen von Königgrätz aufblitzen und die Flammen der brennenden Dörfer zum Himmel lohen sehen.

Doch nun genug der blutigen Erinnerungen! Wir nehmen Abschied von dem Mückenthürmchen, steigen gegen 500 Meter abwärts ins Land und treten ein in das hochgegiebelte Bergnest Graupen.

Wie heimlich sitzt es sich hier in den Schenkgärten der Rosenburg oder auf der Wilhelmshöhe, wo König Wilhelm IV. jahrzehntelang allsommerlich einkehrte, um Mensch unter Menschen zu sein. Mit seligem Behagen schweift das Auge immer und immer wieder über die reichgeformte Landschaft, und wenn erst der Abend hereinbricht und die zahlreichen Flammengarben der Industriestätten emporflackern, die tausend Lichter der Städte und Dörfer des Bielathales herüberschimmern und die vielen Eisenbahnzüge mit ihren Gluthaugen das Dunkel durchkreuzen, da füllt sich das Herz mit wohliger Genugthuung über die unverwüstliche Volkskraft in diesem merkwürdigen Lande, das so oft von Leidenschaften durchwühlt und von Kriegsvölkern zertreten worden ist.




Blätter und Blüthen.


Ein Dichter „für Herz und Haus“. Wer kennt nicht den Herrn v. Miris der „Fliegenden Blätter“, den Sänger jener heiteren Lieder, die unter dem Titel „Von mir is’s“ gesammelt erschienen sind, den schalkhaften Verfasser der „Lustigen Naturgeschichte“ und der „Lustigen Botanik und Mineralogie“! Nur wenige aber werden wissen, daß hinter diesem Pseudonym und dem Humor, der unter solcher Flagge segelt, ein Dichter voll innigen Ernstes, voll ursprünglicher Poesie sich verbirgt – Franz Bonn, ein bayerischer Jurist, seit 1881 Präsident der Domänenkammer des Fürsten von Thurn und Taxis in Regensburg. Bonn hat sich seit langen Jahren – er ist am 30. Juli 1830 zu München geboren – mit Glück auch in der erzählenden und dramatischen Dichtung versucht, aber als Lyriker ist er erst in seinem letzten Werke (Regensburg, J. Habbel) hervorgetreten, indem er seine ernsten Gedichte zu einem Bande vereinigte, der die einfache bezeichnende Ueberschrift trägt: „Für Herz und Haus“. Es sind die alten vertrauten Stoffe deutscher Poesie, die er behandelt; Lenz und Liebe, Vaterland und eigenen Herd, Elternglück und Kindeslust besingt er in schlichtem Tone, in der ungekünstelten Sprache wirklichen dichterischen Empfindens, und überall tritt uns dabei jenes warmfühlende Herz entgegen, das der Verfasser schon früher, namentlich in seinen preisgekrönten „Goldenen Regeln und Sinnsprüchen für den Thierschutzverein“, gezeigt hat. Besonders das Kleine und Alltägliche ist es, was Bonn poetisch erfaßt und verklärt, an dem er sich als einen rechten Dichter „für Herz und Haus“ beweist. Als Probe möge hier das Gedicht „Der alte Regenschirm“ folgen:

Seht ihr den alten Mann dort langsam geh’n,
Den Regenschirm im Arm? – Ob hell und rein
Der blaue Himmel auch, voll Sonnenschein,
Ihr werdet niemals ohne Schirm ihn seh’n.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_259.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2020)