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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


sehr innig einwirken und deshalb eingerieben oder eingebürstet werden (z. B. an Möbeln, Wänden, Thüren und Fußböden), oder sie müssen vollkommen mit den zu desinfizierenden Dingen, z. B. mit den verschiedenen Absonderungen und Ausscheidungen der Kranken, gemischt werden und längere Zeit auf dieselben einwirken. Die sogenannte prophylaktische oder vorbauende Desinfektion hat keinen vernünftigen Zweck; denn wo keine Krankheitskeime zu vernichten sind, da ist sie überflüssig, und wo deren etwa vorhanden sind, da erreicht sie dieselben nicht, da die innige Mischung unterbleib. Ja, sie kann sogar schaden, wenn man mit ihr sich geschützt zu haben glaubt und nun andere Vorsichtsmaßregeln, besonders die immer nützliche und nothwendige Reinlichkeit vernachlässigt. Man kann nur in den Seufzer einstimmen, den Robert Koch schon vor Jahren ausgestoßen hat: „Möge endlich die sinnlose Vergeudung sogenannter Desinfektionsmittel am unrechten Orte unterbleiben!“




Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(14. Fortsetzung.)


Erich stand regungslos an seinem Platze, durch die geschlossene Thür von Cäciliens Zimmer drang jedes Wort Wildenrods zu ihm.

„Sei vernünftig, Cäcilie! Hast Du denn jede Selbstbeherrschung verloren? Du mußt Dich beim Abschied wieder den Gästen zeigen, Erich kann jede Minute kommen. Nimm Dich zusammen!“

Keine Antwort, nur dies krampfhafte trostlose Weinen.

„Ich habe etwas dergleichen gefürchtet, darum suchte ich Dich auf, aber auf einen solchen Ausbruch war ich nicht vorbereitet. Cäcilie, hörst Du mich nicht? Du mußt Dich fassen.“

„Ich kann nicht!“ stieß Cäcilie mit halb erstickter Stimme hervor. „Laß mich, Oskar! Ich habe lächeln und lügen müssen den ganzen Tag lang, muß es wieder thun, wenn ich mit Erich im Wagen sitze – ich sterbe, wenn ich mich nicht einmal, nur ein einziges Mal ausweinen kann.“

Der Bruder mochte wohl einsehen, daß er hier mit dem herrischen Tone nichts ausrichtete, seine Stimme klang milder, als er entgegnete: „Das ist wieder die unselige Leidenschaftlichkeit Deiner Natur, Du solltest Dir sagen, daß Du ihr in dieser Stunde am wenigsten nachgeben darfst. Ich habe alles gethan, um Dir Dein Glück zu sichern, und Du –“

„Mein Glück?“ wiederholte Cäcilie mit tiefster Bitterkeit. „Wozu die Lüge, Oskar – wir sind ja allein! Du hast mich täuschen können, so lange ich noch ein gedankenloses Kind war, aber Du kennst den Tag, der mir die Augen öffnete. Du hast Dir nur den Weg zu Deinem eigenen Glücke bahnen wollen, als Du alles daran setztest, mich mit Erich zu verloben. Du wolltest Herr werden in Odensberg, deshalb mußte ich das Opfer sein.“

„Und wenn ich dies Ziel im Auge hatte, so hob ich Dich mit mir empor zur Höhe,“ rief Wildenrod mit Nachdruck. „Ich habe es Dir oft genug gesagt, daß es sich für uns beide hier um Sein oder Nichtsein handelte. Als ein Opfer betrachtest Du Dich? Du hast heute fürstliche Huldigungen empfangen, und als jene endlosen Massen an Dir vorüber zogen, da ist es Dir doch wohl klar geworden, welche Bedeutung der Name, den Du jetzt trägst, in der Welt hat. Und das Leben in Odensberg, das Dich immer schreckte, bleibt Dir erspart. Ihr kehrt nach Italien zurück, Erich betet Dich an, er hängt nur an Deinen Blicken und wird Dir keinen Wunsch versagen, Dich mit allem überschütten, was der Reichthum zu geben vermag, Was verlangst Du weiter von Deiner Ehe? Das ist Glück, und Du wirst es mir dereinst noch danken.“

„Nie! Niemals!“ rief die junge Frau außer sich. „O wäre ich doch diesem Glücke entflohen, aber Du – Du banntest mich mit der furchtbaren Drohung, dem Beispiel unseres Vaters zu folgen, und ich mußte bleiben, um Dich zu retten. Du ahnst nicht welche Qual ich seitdem ausgestanden habe bei all der Güte und Zärtlichkeit Erichs. Ich habe ihn nie geliebt, werde ihn nie lieben, und jetzt, wo die Kette unzerreißbar geschmiedet ist, jetzt fühle ich, daß sie mich erdrücken wird. Ich möchte lieber in den Tod als in seine Arme!“

Sie verstummte plötzlich. „Was war das?“ fragte sie hastig.

„Was?“

„Ich weiß nicht – es klang wie ein Seufzer!“

„Einbildung! Wir sind allein, ich habe uns vor Lauschern gesichert. – Was soll dieser verzweifelte Ausbruch? Ist Dir etwa jetzt erst an Deinem Vermählungstag klar geworden, daß Du einen andern liebst? Weißt Du die Wahrheit nicht oder willst Du sie nicht wissen? Ich ahnte sie seit dem Tage, wo Du mit Egbert Runeck auf dem Albenstein warst. Du bist ja wie von Sinnen gewesen bei dem bloßen Gedanken, von diesem Manne verachtet zu werden, vor ihm als Abenteurerin dazustehen. Ich habe Dich nicht mahnen, nicht aufschrecken wollen – Nachtwandler weckt man nicht auf ihrem gefährlichen Wege. Jetzt aber ist es Zeit, aufzuwachen. Seit dieser Egbert in Dein Leben getreten ist –“

„Nein! nein!“ unterbrach ihn Cäcilie mit angstvoller Abwehr.

„Ja!“ sagte Oskar mit eisiger Bestimmtheit. „Denkst Du, es sei mir entgangen, wie Du heute morgen, während ich als Brautführer mit Dir zur Kirche fuhr, totenbleich wurdest und dann wie gebannt nach der einen Stelle im Walde blicktest? Du hattest ihn bemerkt, der vermuthlich gekommen war, um Dich noch einmal zu sehen. Er stand freilich fern genug, halb verborgen hinter den Bäumen. In solcher Entfernung erkennt man nur seinen Todfeind oder den Mann, den man liebt – und wir haben ihn beide erkannt.“

Die junge Frau antwortete nicht und widersprach nicht, ihr Schweigen gestand alles zu. Jetzt aber war es Oskar, der aufschreckte. Er hatte nebenan ein Geräusch wie von einer leise zufallenden Thür gehört, und von einer unbestimmten Ahnung ergriffen, öffnete er hastig die nach dem Salon führende Thür. Täuschung! Der Salon war leer, der Riegel noch vorgeschoben. Aber ein Blick auf die Kaminuhr überzeugte den Freiherrn, daß es die höchste Zeit sei, die Unterredung zu beendigen; er kehrte zu seiner Schwester zurück.

„Ich muß wieder in den Saal,“ sagte er gedämpft, „und auch Du mußt Dich zur Abreise fertig machen. Du hast Dich ausgeweint, jetzt bedenke, was Du Dir und mir schuldig bist! Du bist Erichs Gattin, und morgen schon liegen Meilen zwischen Dir und jenem anderen, den Du hoffentlich nie wiedersiehst. Ich habe dafür gesorgt, daß er hier in Odensberg nicht mehr schaden kann, und Du wirst ihn vergessen, denn Du mußt.“

Er riegelte die Thüre auf und klingelte dem Kammermädchen, das er fortgeschickt hatte, um mit Cäcilie allein zu sein. Die verweinten Augen der jungen Frau konnten in dem Abschied von dem Bruder ihre Erklärung finden, trotzdem wollte er sie keinen Augenblick mehr sich selbst überlassen. Erst als Nannon eintrat, verließ er das Zimmer.

Unten in der Eingangshalle begegnete der Freiherr einem Diener, der den Handkoffer und Reisemantel Erichs trug, und fragte im Vorbeigehen flüchtig: „Herr Dernburg ist wohl noch in seinem Zimmer?“

„Nein, Herr Baron, er ist oben bei der jungen gnädigen Frau,“ lautete die verwunderte Antwort.

„Noch nicht, ich komme eben von meiner Schwester.“

„Ich sah den jungen Herrn aber doch selbst die Treppe hinaufgehen,“ wagte der Diener zu entgegnen. „Es war etwa vor einer halben Stunde. Haben der Herr Baron ihn denn nicht gesprochen? Er trat in Ihr Zimmer durch die kleine Tapetenthür.“

Wildenrod wurde bleich bis in die Lippen, an diesen Eingang hatte er nicht gedacht. Wenn Erich wirklich im Salon gewesen war, wenn er gehört hatte, was – Oskar wagte es nicht, den Gedanken auszudenken, er ließ den Diener stehen und eilte nach der Wohnung seines Schwagers.

Im ersten Zimmer war niemand, als der Freiherr aber die Thür des Schlafgemachs öffnete, fuhr er unwillkürlich zurück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_252.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)