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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(1. Fortsetzung.)


Nach der sonderbaren Begrüßung mit Ludwig und Polyxene trat der Jäger aus dem Gebüsch heraus, eine untersetzte und jetzt vom Alter gebeugte Gestalt, aber mit mächtigen Schultern und Armen. Daß der Strieger sich vor Gott nicht und auch nicht vor dem Teufel fürchtete, galt für ausgemacht; niemand band deshalb gern mit ihm an. Aber dazu war auch wenig Gelegenheit. Der Waldwart, mit seinen nunmehr fast neunzig Jahren auf dem Rücken, war für die Menschen außerhalb des Waldes nur noch wie eine Sage; hätte man genauer nachgeforscht, so würde man gefunden haben, daß viele von den Birkenfelder Städtern zum Beispiel wissen wollten, ja, einen solchen habe es gegeben, in ihrer Kinderzeit; der lebe aber nun schon lange nicht mehr.

Die Leyens wußten es besser. Der Alte lebte und gehörte ihnen, das heißt, er gehörte zu ihrem Walde mit Leib und Seele. Er saß im Forste fest, mit Recht über Leben und Tod, und wenig war in ihm, was ihn an dessen rücksichtsloser Ausübung, auch wenn es sich einmal nicht um ein Gethier handelte, hätte hindern können. Störrisch und widerborstig war er, auch gegen die eigenen Herren. Und so hielten ihn diese etwa wie man einen bösen untraktabeln Hund hält, der den Feind allerdings nicht herankommen läßt oder ihn zerfleischt, der aber auch imstande ist, einmal mürrisch nach der Hand zu schnappen, welche ihm sein Futter reicht.

Sei dem wie ihm wolle: während der langen Minderjährigkeit des jetzigen Erben, dessen Vater kurz vor der Geburt dieses Sohnes verstorben war, und bei den Eigenheiten des Vormundes, des Obersten von Gouda, eines stubenhockerischen Grüblers, hätte es schlimm um den Bestand der ausgedehnten Leyenschen Wildbahn ausgesehen, wenn nicht die Furcht vor dem alten Waldwart einen Bannkreis um den Forst gezogen hätte. Und der Alte war klug genug, das zu wissen, und nichts freute ihn mehr, als wenn die Birkenfeldschen drüben, die Hubertsteiner, sich bei seinem bloßen Namen bekreuztell. Wie hätte denn einer allein sonst des Reviers so gut zu walten vermocht ohne Untergebene, die ihm halfen? Nun, dem Strieger half kein Geringerer als der Böse mit einem ganzen Stabe von feurigen Männern, kopflosen Reitern und dergleichen – lauter Gestalten, die in der Phantasie seiner Reviernachbarn so wirksam lebten, wie man es nur verlangen konnte.

Wer ihn und diese seine Hilfsmächte vielleicht noch am wenigsten fürchtete, das waren seine Nachbarn auf der andern Seite, die armseligen Dörfler von Keula. In seinen Wald freilich kamen sie ihm nicht, davor war er sicher; kaum, daß ein paar Weiber, kühn gemacht durch die Noth des Winters, sich herzuwagten und Holz lasen, wenn er, grau zwischen den grauen Stämmen erscheinend und nie recht deutlich sichtbar, sie von weitem angerufen und ihnen einen Platz dazu ausdrücklich angewiesen hatte. Wenn ihnen aber das Wild in ihre mageren Aecker brach und dort einige feiste Stücke verschwanden und nicht wieder zum Vorschein kamen, so schien es, als ob des Striegers unheimliche Allgegenwärtigkeit ihm ein paarmal nicht stand gehalten habe. Und der Teufel, der es doch jedenfalls wissen könnte, hatte seinem Getreuen von dem wohlgezielten Knittelwurf auch nichts verrathen, mit welchem Melchior Krotze oder einer seiner Nachbarn sich an dem genäschigen Spießhirsche rächte.

Hier, bei seiner Herrschaft, begab sich der Strieger nun aber der Unsichtbarkeit, die er sonst liebte. Er war, wie gesagt, in ganzer Figur aus dem Tannendickicht getreten, stand vor ihnen und griff jetzt ohne weiteres nach der Wildtaube an Lutzens Jagdtasche und prüfte den Schuß, der sie herabgeholt hatte. Dann nickte er nur, indem er sie wieder fahren ließ, weiter nichts. „Den Rehbock gesehn, was?“ Dabei blickte er schlau von unten herauf aus den noch immer scharf funkelnden Augen.

„Gefehlt! Das wäre eine Kunst gewesen, da ihn der Luchs schon im Magen hatte,“ rief Ludwig voll Eifer, ehe noch Polyxene zu Wort kommen konnte.

Der Alte sah dem Knaben mit bedächtiger Aufmerksamkeit in das hübsche Gesicht. Allemal, wenn er nach längerer Pause seiner einmal wieder ansichtig wurde, betrachtete er ihn so genau; er mußte wohl in seiner Art Freude an dieser kräftig heranblühenden Jugend haben. „Der Luchs!“ warf er jetzt hin. „Was redet Ihr von einem Luchse, junger Herr – von dem müßt’ ich doch wissen.“

Verblüfft stockte Ludwig, aber ein Blick auf Polyxenens Gesicht machte ihn wieder sicher. „Das wißt Ihr auch!“ rief er. „Ihr und kein anderer wißt, wo er liegt. Polyxene sagt es, und Ihr sollt uns hinführen.“

„Polyxene sagt es?“ wiederholte Strieger nicht gerade ehrerbietig. „Das Fräulein, so!“ Jetzt wendete er sich um und musterte das junge Mädchen so scharf wie eben den Junker. „Es war kein Luchs, Fräulein,“ sagte er dann ruhig zu ihr.

„Doch, Strieger, und Ihr wißt es am bestem“ erwiderte sie ebenso.

„Woher wollt Ihr die Fährte kennen?“ hob er wieder an.

„Von Euch,“ sagte sie ohne Zögern. „Ihr habt sie vor Jahren dem Herrn aus Lothringen gewiesen, der den Oheim besuchte und den wir in den Wald begleiteten. Keinmal habe ich seitdem dergleichen wieder gesehen, bis heute. Aber ich irre mich nicht.“

„Ihr irrt Euch nicht, so? Und wo liegt der Luchs am Tage? Weiß das das junge Fräulein auch?“

Polyxenens graublaue Augen trafen ungekränkt durch den Spott gerade in die seinen. „Zwischen den großen Steinen links dicht unter dem Heidenkopf,“ antwortete sie kecklich aufs Gerathewohl. Da zuckte es doch über sein verwittertes Gesicht wie ein Verwundern. Und mit einem Male riß er den alten zerfetzten Filz von dem Graukopf herab, was er vorhin bei der Begegnung nicht gethan hatte, und sagte: „Vor Euch zieh’ ich den Hut, Fräulein ... das heißt, soviel noch davon da ist. Die Herrschaft dürfte mir einmal einen neuen verehren.“

„Den sollt Ihr haben, Strieger,“ sagte Polyxene lebhaft. Es war eigen, wie ein Lob von dem Alten wohl that.

„Wenn ich sage, einen neuen, so mein’ ich einen abgelegten vom Herrn,“ fuhr der Waldwart fort. „Etwas Frischeres paßt auf diesen alten Kopf nicht ... Den Luchs wollt Ihr wegschießen, so –“ er stellte sich breitbeinig hin, schlug Feuer und brannte die Stummelpfeife wieder an, die ihm ausgegangen war, ehe er fortfuhr: „Den Luchs, der sich dann und wann einen Rehbock holt, junger Herr? Meist begnügt er sich mit Kleinzeug, und dessen giebt’s hier oben genug. Leben will so ein Vieh doch auch. Ja, und wer noch leben will, das sind die von Keula, die Tröpfe. Sie sagen aber, Euer Wild fräße sie auf.“

„Und darum habt Ihr Spitzbube, der mit den Schlingeln immer unter einer Decke steckt, die Wildräuber geschont!“ rief da Ludwig, scharf dreinfahrend wie ein echter adliger Herr und mit einem raschen Verständniß fast über seine Jahre.

„Gebt Euch zufrieden, jetzt soll’s ihnen an den Kragen gehen,“ sagte der Alte, der diesen Zorn nicht übelzunehmen schien. Und dann, in sich hinein lachend: „Es sind ihrer heuer viere.“

„Vier Luchse?“ schrie Ludwig mit sprühenden Augen.

„Ja – aber ich werde sie doch wohl wegschießen müssen, junger Herr. Denn am Tag ist ihnen nicht beizukommen, und in der Nacht vermögt Ihr nicht heraus.“

„Doch, wir kommen in der Nacht, Polyxene kommt mit,“ rief Lutz. „Ich traut’s Euch zu,“ knurrte der Alte, halb wohlgefällig zu der jungen Dame hin. „Ja, wenn Lutz kommt, bin ich dabei,“ sagte diese einfach. „Allein gehen laß ich ihn nicht. Und wie wollt Ihr viere gemerkt haben, Strieger?“

„Von dreien wußt’ ich lange schon,“ entgegnete er kurz, wie ausweichend, „und jüngst hab’ ich auch den vierten gespürt.“ Dann, als wenn er sich anders besänne, sah er sie scharf mit den kleinen Funkelaugen an, diesmal nur sie, nicht ihren Vetter, und sprach weiter: „Ein Tager achte mögen es her sein, daß ich die Fährte von allen vieren fand; sie hatten ein Schmalthier niedergerissen, das vom Rudel versprengt war. Ich war lange vor Tag draußen dazumal, denn ich bestahl Euch, das heißt, meinen Herrn da. Dazu hab’ ich freilich alle vierundzwanzig Stunden Zeit, aber, was dünkt Euch, es ist doch klüger, wenn ich dazu die Stunde aussuche, in der Ihr mir nicht begegnen könnt?“

Lutz von Leyen horchte auf, betroffen, aber nicht allzu sehr, denn man war kuriose Reden von dem Strieger gewohnt. Das Antworten darauf überließ er seiner Base, und Polyxene meinte denn auch gelassen: „Man wird’s Euch wohl glauben dürfen, Strieger, da Ihr es selber sagt. Aber redet deutlicher!“

„Wollt Ihr alles erzählt haben? Warum nicht, da wir einmal dabei sind! An den Kragen geht’s dem Strieger nun auch

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