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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wieder zusammensinkenden, verwandelt und somit für die Uebertragung der Sprache geeignet. Die öfters beobachtete Unvollkommenheit und Unsicherheit dieser Uebertragung aber schreibt Thompson der großen Leichtigkeit zu, mit welcher der Kontakt unterbrochen werden konnte, wenn zu laut in den Schalltrichter gesprochen wurde. Nach dieser Erklärung würde Reis, dem der bestimmte physikalische Begriff ununterbrochener elektrischer Stromwellen nicht bekannt war, die Ströme seines Telephons irrthümlich für unterbrochene gehalten haben, während sie in Wirklichkeit undulatorische waren. „Aber alles das hat,“ wie ein Fachmann[1] einmal ausgesprochen hat, „mit der thatsächlichen Wirksamkeit seines Senders nichts zu thun. Es kommt für das Verdienst des Reis nicht darauf an, wie er sich den genauen physikalischen Vorgang vorgestellt hat, sondern wie dieser Vorgang wirklich beschaffen war.“ Um nun die wesentliche Uebereinstimmung des Reis’schen Telephons mit dem Telephon der Gegenwart möglichst anschaulich vor Augen zu führen, habe ich beide Systeme in den schematischen Skizzen Fig. 2 und 3 nebeneinander gestellt und zur Bezeichnung der entsprechenden Theile gleiche Buchstaben gewählt.

Unsere heutigen Fernsprecheinrichtungen, so vielgestaltig sie auch sein mögen, haben doch beinahe alle die folgenden Hauptorgane miteinauder gemein:

1. Die galvanische Batterie zur Erzeugung eines Lokalstroms, des „primären“ Stroms.

2. Ein in den Stromkreis dieser Batterie eingeschaltetes „Mikrophon“, welches die Schwingungen einer Schallplatte oder Membrane auf den Lokalstrom überträgt und in Stromwellen, d. h. Aenderungen der Stromstärke, umsetzt.

3. Den „Induktor“ oder „Transformator“, welcher den Zweck hat, mittels des undulatorischen Lokalstromes in dem Telephondraht einen sekundären undulatorischen Strom von größerer Spannung hervorzurufen.

4. Das Bellsche Hörtelephon als Empfänger.

Dieses ganze System ist in seinem Zusammenhange durch Fig. 2 veranschaulicht. Unter der Mitte der elastischen Schallplatte oder Membrane M ist ein Kohlenstück a befestigt, welches ein zweites auf fester Grundlage ruhendes Kohlenstück b unter regulierbarem Drucke dauernd berührt. Diese beiden Kontaktstücke, an deren Stelle auch öfters Platin gewählt wird, sind es, welche in Verbindung mit der Schallplatte das im einzelnen vielfach verschieden gebaute Mikrophon in einfachster Form darstellen. B ist die elektrische Batterie. Wird nun das Bellsche Hörtelephon T von dem Gehäuse des Senders (Gebers) abgehängt, um ans Ohr gebracht zu werden, so wird der Stromkreis geschlossen, und der Lokalstrom nimmt von dem positiven Pol x aus seinen Weg in der Pfeilrichtung durch beide Kontaktstücke a und b, umkreist die Spule c d des Induktors A und kehrt durch den Pol y in die Batterie zurück. Die von den Schallwellen hervorgerufenen Schwingungen der Platte M vermehren und vermindern, genau nach Maßgabe ihrer Stärke, die Innigkeit der Berührung beider Kontaktstücke, d. h. den Querschnitt des Leiters, und somit in gleichem Verhältnisse auch die Stromstärke, kurz sie bewirken jenes An- und Abschwellen, welches dem Lokalstrom den wellenartigen Charakter verleiht. Der Lokalstrom selbst aber ruft, indem er die Wicklung der Hauptrolle c d des Induktors durchfließt, in den Drahtwindungen der Nebenrolle i und somit in der Telephonleitung überhaupt, einen in gleicher Weise auf- und abschwellenden sekundären Strom von größerer Spannung hervor, welcher den Leitungswiderstand leicht überwindet. Letzteres würde auf große Entfernungen mit dem verhältnißmäßig schwachen primären Strom nicht ausführbar sein. Der sekundäre Strom ist es nun, welcher die Drahtrollen r der Bellschen Telephone T beider Stationen durchfließt und die feinen „Wogen“ entsprechenden Verstärkungen oder Verminderungen im Magnetismus der Stabmagnete n herbeiführt. Dadurch wird die dem Ende der letzteren nahe gegenüberliegende dünne Eisenscheibe s in Schwingungen gesetzt, welche dem Ohr die gegen M gesprochenen Laute in ihrer ganzen Reinheit und Klangfarbe wiedergeben.

Die Vergleichung dieses Systems, als des Typus der modernen Fernsprecheinrichtung, mit dem in Fig. 3 skizzierten Reis’schen Telephon vom Jahre 1863 läßt, was den Sender betrifft, den einzigen Unterschied erkennen, daß bei Reis der Induktor A fehlt, der Batteriestrom also die ganze Strecke bis zur entfernten Station zu durchlaufen hat. Die Kohlenstücke a und b sind hier durch Platinstücke, nämlich das Plättchen a und das Hämmerchen b, vertreten. Es unterliegt nun keinem Zweifel, daß die letzteren, wenn sie sich während der Membranschwingungen dauernd berühren, ein Mikrophon bilden und aus demselben Grunde wie die Kohlenstücke in Fig. 2 den elektrischen Strom in einen undulierenden verwandeln. Indem dieser in Fig. 3 auf dem Wege x a b c r g y die Drahtwicklung der Rolle r des Empfängers E durchfließt, erregt er in der Stricknadel n n Molekularschwingungen, welche den Stärkeänderungen des Stromes und somit auch den Membranschwingungen entsprechen und auf das Resonanzkästchen übertragen werden. Bei ununterbrochenem Kontakte vermag nun das dem Kästchen genäherte Ohr sowohl musikalische Töne als auch jedes gesprochene Wort, bei unterbrochenem aber nur musikalische Töne deutlich zu hören.

Vergleicht man endlich mit diesem Empfänger das in Fig. 2 gleichfalls als Empfänger dienende Bell-Telephon T, so ist auch hier die nahe Verwandtschaft nicht zu verkennen. Jeder unbefangene Beobachter wird in dem Bell-Telephon T sofort den Reis’schen Empfänger E in anderer, für den Gebrauch bequemerer Form erblicken. Denn in beiden ist eine Induktionsrolle r das wesentliche Hilfsmittel, durch das der Strom bei Bell in dem Magnetstabe n, bei Reis in der Stricknadel n n Zu- und Abnahme des Magneasmus im Rhythmus der Schall- und Stromwellen hervorbringt, welche schließlich bei Bell die Eisenmembrane s, bei Reis das Resonanzkästchen in Schall erregende Schwingungen versetzen.

Wir kommen also zu dem Schluß, daß das ursprüngliche Telephon, wenn auch seine unmittelbaren Erfolge durch die wunderbaren Leistungen der späteren Telephonie in den Hintergrund gedrängt wurden, doch den gesunden Kern enthält, auf welchem das heutige Fernsprechwesen sich entwickeln konnte. Wem also der Ruhm gebührt, als Urheber einer der glänzendsten und bedeutsamsten Errungenschaften des neunzehnten Jahrhunderts auf dem Gebiet der angewandten Naturwissenschaften bezeichnet zu werden, darüber kann kein Zweifel bestehen, und diesen Ruhm wird die Nachwelt unserem Philipp Reis nicht streitig machen.

Der deutsche Kaiser hat denn auch der Witwe des Erfinders aus seinem Dispositionsfonds als Zeichen dankbarer Anerkennung der Verdienste ihrers verstorbenen Gatten eine namhafte Pension bewilligt. Der Physikalische Verein zu Frankfurt a. M. ließ ihm auf dem Friedhof zu Friedrichsdorf einen schönen Gedenkstein errichten, und auch seine Vaterstadt Gelnhausen hat sein Andenken durch ein Denkmal geehrt.



  1. C. Grawinkel in der „Elektrotechnischen Zeitschrift“ 1888, S. 257.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_239.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)