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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

in Verbindung stehendes Manometer angebracht, welches jedesmal durch die unruhige Bewegung des Zeigers die Störung verrieth.

Im Jahre 1859 nahm Reis die zwei Jahre zuvor in der Gallusgasse zu Frankfurt begonnenen experimentellen Untersuchungen über elektrische Strahlung und zwar diesmal mit besseren Hilfsmitteln wieder auf. Er arbeitete ohne jemand hinzuzuziehen, für sich allein. Doch erinnert sich Herr E. Albert jun., aus dessen Werkstätte er damals die erforderlichen Hilfsmittel bezog, daß er Schirme von verschiedenem Material zwischen die Hohlspiegel brachte, um ihre Durchdringlichkeit für elektrische Strahlen zu prüfen, und daß er auch verschiedene Körperflächen zu Reflexionsversuchen benutzte. Seine Versuche scheinen diesmal nicht ohne Erfolg gewesen zu sein; denn er fühlte sich ermuthigt, eine Abhandlung „Ueber strahlende Elektricität“ an Professor Poggendorff in Berlin mit der Bitte zu senden, dieselbe in den „Annalen der Physik“ zu veröffentlichen. Zu seiner großen Enttäuschung nahm Poggendorff die Arbeit nicht auf, ein empfindlicher Schlag, der auf den jungen strebsamen Lehrer einen so entmuthigenden Eindruck machte, daß er die Lust verlor, seine Versuche weiter zu verfolgen. Erst 30 Jahre später, als ihn längst das Grab deckte, sind seine Vermuthungen durch die epochemachenden Entdeckungen des Professors Hertz bestätigt worden. Von der Abhandlung selbst ist keine Spur mehr vorhanden.

Philipp Reis, der Erfinder des Telephons.

Ueber all dem hatte Reis einen Gedanken nicht aus den Augen verloren, der schon dem 18jährigen Lehrling aufgestiegen war, den Gedanken nämlich, durch den galvanischen Strom unter Mitwirkung schwingender Membranen nicht nur musikalische Töne, sondern sogar gesprochene Worte in der Ferne vernehmbar zu machen. Schon auf jener gemeinsamen Schweizerreise hatte er mir Andeutungen über Versuche gemacht, zu denen ihn Pages Entdeckung von dem galvanischen Tönen eines von einer Drahtspirale umgebenen Eisenstabes angeregt hatte. Jetzt, im Jahre 1860, nahm er die damals wegen scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten aufgegebenen Versuche wieder auf und jetzt gelang es ihm, festen Boden zu gewinnen. In freudiger Erregung theilte er mir eines Tages mit, daß ihm die Fortpflanzung beliebiger Töne auf ziemlich große Entfernung endlich geglückt sei, und er lud mich und meine Frau ein, uns selbst mit Aug’ und Ohr davon zu überzeugen. So begaben wir uns denn vor Schluß der Sommerferien, an einem schönen Junitag des Jahres 1860, nach Friedrichsdorf und suchten Reis in seinem Heim auf. Nach einigen vorbereitenden Anordnungen wurde zur Probe mit dem von Reis eigenhändig angefertigten, allerdings noch sehr unvollkommenen Versuchsapparat geschritten, dem er den Namen Telephon beigelegt hatte.

Die schematische Skizze Fig. 1 mag zur Veranschaulichung dieser ursprünglichen Anlage dienen. Der Empfänger A, welcher auf einem in der Mitte des Zimmers befindlichen Tische seinen Platz hatte, bestand aus einem Resonanzkästchen – soviel ich mich entsinne, einer leeren Cigarrenkiste – und einer mit sechs Lagen übersponnenen Kupferdrahtes umwickelten Rolle oder Magnetisierungsspirale a, welche über eine dicke Stricknadel n n geschoben war[1]. Letztere ruhte mit ihren aus der Rolle hervorragenden Enden auf zwei Stegen des Kästchens. Zwei Klemmschrauben c und g nahmen die beiden Drahtenden der Rolle und die vom Sender B und der Batterie kommenden Leitungsdrähte L L auf. Einige Minuten nachdem sich Reis in das durch den Hofraum von seiner Wohnung getrennte Hintergebäude zum Absende-Apparat begeben hatte, erschallte aus der Richtung des Resonanzkästchens leise, doch im ganzen Zimmer vernehmbar, in einem summenden Tone die Melodie des Volksliedes „Muß i denn, muß i denn zum Städtele ’naus“. Dann folgten noch einige andere bekannte Volkslieder ohne Worte. Daß direkte Schallleitung nicht im Spiele sein konnte, ließ sich leicht feststellen. Als Reis wieder ins Zimmer trat, war mein Erstes die naheliegende Frage, ob er mit der Melodie auch die Worte in den Absender gesprochen habe. Er bejahte es mit der Bemerkung, daß seine Bemühungen, auch das gesungene oder gesprochene Wort auf elektrischem Wege deutlich zu übertragen, bis jetzt ohne befriedigenden Erfolg gewesen seien. Indessen gebe er die Hoffnung nicht auf, mit sorgfältiger gebauten Apparaten und nach Anbringung einiger Verbesserungen auch dieses Ziel noch zu erreichen, ja er hoffe sogar, die Herstellung eines mündlichen Verkehrs zwischen zwei meilenweit voneinander entfernten Stationen noch zu erleben. Ihm selbst sollte dieses Glück nicht beschieden sein. Wie nahe er indessen ohne es zu ahnen, diesem Ziele war, darauf werde ich weiter unten zurückkommen.

Den Sender konnte ich an jenem Nachmittag leider nicht mehr in Augenschein nehmen, da die vorgeschrittene Zeit zur Rückfahrt mahnte. Höchst wahrscheinlich ist es derselbe Apparat gewesen, welchen Reis das Jahr darauf bei Gelegenheit eines im Physikalischen Verein zu Frankfurt gehaltenen Vortrages „Ueber Telephonie durch den galvanischen Strom“ beschrieben hat und der später in den Besitz des Professors Thompson gekommen ist. Er besteht aus einem Holzwürfel B, welcher als Schalltrichter eine konische Höhlung besitzt, deren engere Mündung durch eine straff gespannte Membrane aus Schweinsdünndarm verschlossen ist. Auf die Mitte der letzteren ist ein Platinplättchen m gekittet und dieses durch einen dünnen Kupferstreifen p mit der Klemme s verbunden. Ein an der Klemme befestigter Platinstreifen q, das sogenannte Hämmerchen, endigt über der Mitte der Membrane in einer Spitze, mit der es das Plättchen m berührt. Sobald durch diesen Kontakt, welcher in der Folge durch eine besondere Schraube reguliert wurde, die Kette geschlossen war, nahm der Strom von dem positiven Pole x einiger Bunsenschen Elemente aus durch den Leitungsdraht L den Weg x r p m q s g a c y. Die Schallwellen, welche in abwechselnden Verdichtungen und Verdünnungen der Luft bestehen, setzen die Membrane in Schwingung. Nach des Erfinders Erklärung wird bei der Verdichtung das Hämmerchen q von der Membrane zurückgedrängt, bei der Verdünnung kann dasselbe der zurückschwingenden Membrane nicht folgen und der Strom bleibt solange unterbrochen, bis die Membrane durch den Druck einer neuen Verdichtung wieder an q gedrängt wird. In dieser Weise bewirkt jede Schallwelle ein Schließen und Oeffnen des Stroms, also auf der entfernten Station gleichzeitig eine Magnetisierung und Entmagnetisierung der Stricknadel, d. h. eine entsprechende Aenderung und Wiederherstellung der Gleichgewichtslage ihrer Moleküle. Die Folge ist ein Ton, dessen Höhe oder Tiefe den Stromunterbrechungen in gegebener Zeit entspricht.

  1. Bei dem allerersten Hörapparat hatte Reis eine Geige als Resonanzboden benutzt, auf der eine Magnetisierungsspirale senkrecht befestigt war.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_237.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)