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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

der Ordnung,“ meinte der Direktor, „und die Theilnahme der Odensberger Arbeiterschaft ließ sich auch nicht zurückweisen. Ich denke, wir werden Ehre einlegen mit unserem Zuge, er muß sich in dem hellen Sonnenschein prächtig ausnehmen. Ich begreife übrigens Ihre Besorgniß für den jungen Herrn nicht. Er sieht vortrefflich aus – ich habe ihn nie so heiter und frisch gesehen wie heute.“

„Eben deshalb fürchte ich. Es liegt etwas Fieberhaftes in seiner Aufregung, und jede Aufregung ist Gift für seinen Zustand. Ich wollte, er säße erst ruhig mit seiner Frau im Wagen und hätte den ganzen Jubel hinter sich.“

Sie wurden unterbrochen, ein Diener meldete, daß die Aufstellung des Zuges vollendet sei und daß nur noch auf das Erscheinen der Herrschaften gewartet werde. Der Direktor trat zu dem jungen Ehepaar und bat im Namen der gesamten Arbeiterschaft von Odensberg, deren Huldigung anzunehmen. Erich lächelte und bot seiner jungen Frau den Arm, um sie nach der Terrasse zu führen. Dernburg und die Gäste schlossen sich an.

Es war ein mächtiges und fesselndes Bild, das sich jetzt draußen in dem hellen Mittagssonnenschein entfaltete. Die Oberbeamten standen am Fuße der Terrasse, während ihre Untergebenen die einzelnen Gruppen des Festzuges anführten, der auf der weiten Strecke bis nach den Werken hinüber Aufstellung genommen hatte und sich nun in Bewegung setzte. In dichten endlosen Scharen, mit Musik und wehenden Fahnen zogen die Tausende von Arbeitern vorüber, denen sich auch die Leute aus den Eisenhütten oben im Gebirge angeschlossen hatten. In sehr geschickter Anordnung hatte man Kindergruppen dazwischen gestellt, die wirksam die Einförmigkeit des Zuges unterbrachen. Die Schüler der von Dernburg gestifteten Schulen marschierten in ihrem Sonntagsstaate daher, die helle Festfreude leuchtete aus den Gesichtern; als sie der Braut ansichtig wurden, schwenkten sie Mützen und Blumensträuße und die kleinen Kehlen brachten jubelnd ein Hoch nach dem andern aus.

Es kostete Mühe, die Bahn für den Zug frei zu halten, denn die Frauen der Arbeiter mit den kleinsten Kindern auf den Armen hielten die Ränder des Weges besetzt und außerdem war die Bevölkerung der ganzen Umgegend herbeigeströmt. Alle Blicke waren auf die Terrasse gerichtet, auf die weiße Gestalt der Braut, vor der sich alle Fahnen senkten, der all dieser Jubel galt; sie war der Mittelpunkt des ganzen Festes und empfing Huldigungen, wie sie sonst nur einer Fürstin zutheil werden. Unaufhörlich neigte sie mit freundlichem Danke das Haupt, aber es lag wie ein Zwang in dieser Bewegung und die großen dunklen Augen blickten fremd auf den Jubel und die Festfreude, als sähen sie gar nichts davon, als suchten sie in weiter weiter Ferne etwas ganz anderes.

Erich dagegen nahm, ganz wider seine Gewohnheit, den lebhaftesten Antheil. Er machte Cäcilie auf Einzelheiten des Zuges aufmerksam, wandte sich wiederholt zu dem Direktor, um ihm seinen Dank und seine Freude auszusprechen, und schien seine Schüchternheit und Zurückhaltung völlig abgelegt zu haben. Sonst war es ihm peinlich und drückend, die Hauptperson bei derartigen Veranstaltungen zu sein, heute begrüßte er sie um seines jungen Weibes willen mit freudigem Stolze.

Dernburg stand neben seinem Sohne und nahm mit ernster Freundlichkeit den Jubel hin. Wer konnte es ihm verdenken, daß seine Brust sich stolzer hob und seine mächtige Gestalt sich höher aufrichtete beim Anblick der Tausende, die an ihm vorüberzogen. Das waren seine Arbeiter, denen er dreißig Jahre lang ein Herr, aber auch ein Vater gewesen war, für deren Wohl er gesorgt und gearbeitet hatte wie für sein eigenes, und die wollte man ihm entfremden! Die sollten sich von ihm abwenden, um einem anderen zu folgen, der noch nichts für sie gethan hatte, der seine Laufbahn damit begann, daß er dem Manne, der ihm ein größerer Wohlthäter gewesen war denn allen sonst, als Feind gegenübertrat! Ein verächtliches Lächeln spielte um die Lippen des Herrn von Odensberg – der Grund, auf dem er stand, war felsenfest, das fühlte er heute mächtiger denn je.

Aber noch ein anderer blickte mit hochgeschwellter Brust und blitzenden Augen auf die vorbeifluthenden Massen, Oskar von Wildenrod, der mit Maja unter einem der Orangenbäume stand. Wie großartig ihm auch das Getriebe der Odensberger Werke von jeher erschienen war, die volle Macht und Bedeutung der Stellung, die Dernburg einnahm, hatte sich ihm noch nie so deutlich gezeigt – und das war seine dereinstige Stellung. Der Gebieter einer solchen Welt zu sein, sie mit einem Worte, einem Winke zu lenken, das war sein Ziel gewesen von jenem ersten Abend an, an welchem er nach den im nächtlichen Dunkel liegenden Werken hinübergeblickt hatte – jetzt endlich stand er dicht vor der Erfüllung.

Sein Blick wandte sich auf Maja, und der stolze Triumph in seinen Zügen ging unter in einem glücklichen Lächeln. Die halb komische, halb feierliche Würde, mit der das junge Mädchen die ungewohnte lange Schleppe des blauen Seidengewandes trug, kleidete sie zum Entzücken; das rosige Gesichtchen glühte vor freudiger Erregung. Mit dem Frohsinn eines Kindes ließ sie sich von den Wogen des Festjubels und des Glückes tragen, das sich in ihrem Herzen barg. Sie wußte ja bereits, daß der Vater den Widerstand gegen ihre Liebe aufgegeben hatte.

„Ist es nicht schön?“ fragte sie, die braunen strahlenden Augen emporhebend. „Und Erich ist so glücklich!“

Oskar lächelte und beugte sich zu ihr herab.

„O, ich kenne einen, der noch glücklicher sein wird als Erich, wenn er dort an jener Stelle steht; sein junges bräutliches Weib zur Seite, wenn –“

„Still, Oskar!“ unterbrach ihn Maja mit erglühendem Gesicht. „Du weißt – Papa will nicht, daß schon jetzt etwas davon verlautet.“

„Es hört uns niemand,“ sagte Oskar, und in der That verschlang der Lärm der Musik und der Hochrufe sein leidenschaftliches Flüstern. „Auch ist der Papa nicht so streng, wie er sich anstellt. Mir hat er freilich die Bitte versagt, unsere Verlobung schon heute zu verkündigen, es war schwer genug, ihm die Einwilligung überhaupt abzuringen. Aber jetzt bist Du hier, und wenn sein Liebling ihn bittet, wird er nicht Nein sagen. Ich wage morgen einen erneuten Sturm – wirst Du mir helfen, meine Maja?“

Sie antwortete nicht, nur ihre Augen sagten ihm, daß es an der erbetenen Hilfe nicht fehlen werde; mit leisem innigen Drucke faßte er ihre Hand. Er hatte offenbar gar nichts dagegen, wenn die Gesellschaft errieth, was sie vorläufig noch nicht erfahren sollte.

Eben zog die letzte Gruppe der Arbeiter vorüber, der Vorbeimarsch war zu Ende und die ganze Masse der Zuschauer wogte in die nun freigegebene Bahn, um sich dem Zuge anzuschließen. Auch auf der Terrasse kam jetzt alles in Bewegung. Der Direktor nahm nochmals den Dank Dernburgs und seines Sohnes und die Artigkeiten der Gesellschaft für den gelungenen Festzug in Empfang, dann begab sich das junge Ehepaar mit seinen Gästen in das Haus zurück.

In dem großen Festsaal empfing rauschende Musik und eine reich mit Blumen und Silbergeräth geschmückte Tafel die Eintretenden. So wenig Dernburg es liebte, mit seinem Reichthum zu prahlen, heute ließ er alle Schätze seines Hauses glänzen. Das Mahl verlief in der bei solchen Gelegenheiten üblichen Weise, es wurden Reden gehalten, Gesundheiten ausgebracht, und als nach Verlauf von einigen Stunden die Tafel aufgehoben wurde, begann der Tanz, den der jüngere Theil der Gesellschaft sehnsüchtig erwartet hatte.

Die Neuvermählten nahmen nur an dem ersten großen Rundgang theil und zogen sich dann zurück. Maja, die von Wildenrod nach ihrem Platze zurückgeleitet wurde, sah mit einiger Verwunderung, daß sie den Saal verließen.

„Warum brechen denn Erich und Cäcilie schon auf?“ fragte sie. „Die Abreise sollte ja erst in einer Stunde stattfinden.“

„Das ist Doktor Hagenbachs Schuld,“ erklärte Oskar. „Er fürchtet, daß Erich sich zu viel zugemuthet habe – ganz unnöthigerweise, wie mir scheint, denn Erich hat nie wohler ausgesehen als heute.“

„Das finde ich auch, aber Cäcilie sieht um so bleicher aus. Sie war überhaupt so ernst und still – eine glückliche Braut habe ich mir ganz anders gedacht.“

Wildenrods Blick war gleichfalls der Schwester gefolgt und die tiefe düstere Falte erschien auf seiner Stirn. Aber dann zuckte er die Achseln und entgegnete in gleichgültigem Tone:

„Sie ist ermüdet und abgespannt, und das ist kein Wunder. Der Herr Direktor hat uns etwas viel zugemuthet mit diesem endlos langen Festzug, dem wir bis zur letzten Gruppe stand halten mußten.“

Maja schüttelte das Köpfchen, ihre kindlichen Züge wurden ernst und nachdenklich. „Erich meint, es sei etwas anderes, das er schon erfahren werde.“

„Was will Erich erfahren?“ fragte Wildenrod plötzlich so scharf, daß das junge Mädchen ihn befremdet ansah.

„O, er irrt sich vielleicht, aber er klagte mir schon bei meiner Rückkehr über die Veränderung, die seit Wochen mit Cäcilie vorgegangen sei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_234.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)