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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Diese öffnete ein anderes Gefach und enthob demselben nach einigem Zögern ein Etwas, das auch glimmerte und gleißte, als sie jetzt damit auf Frau von Méninville zukam. Aber ach, der Schimmer war nur derjenige dünner Goldflitter; sie hingen franzenartig von dem kleinen Dinge herab, einem mit Gold- und Silberfäden verzierten Buchzeichcn, welches die Pfalzgräfliche Hoheit jetzt der devot dastehenden Méninville hinhielt. „Da, nehmen Sie das, liebe Méninville, als ein kleines Andenken ... ich ... ich hatte es Ihnen zugedacht,“ sagte Sabine Eleonore dabei, etwas ungeschickt und stotternd, wie ihr das bei Gnadenbezeigungen geschehen konnte.

Die Méninville empfing das Ding, augenscheinlich eine Klosterarbeit, mit tiefer Verneigung und einem durch den Respekt gemilderten Entzücken, dessen Ausdruck ihr vorzüglich gelang. Zugleich haschte sie nach der Hand der Fürstin und küßte sie inbrünstig. Dann versenkte sie sich in die Beschauung des Geschenkes, dessen Werth sie zugleich im stillen auf einen viertel Gulden etwa taxierte.

„Es ist nur eine Kleinigkeit,“ sagte die Pfalzgräfin in einem Tone, in dem deutlich ihre kindische Bewunderung der Herrlichkeit durchklang.

„Von unschätzbarem Werthe für mich als ein Souvenir an die Huld und Gnade Pfalzgräflicher Hoheit gegen dero unwürdige Dienerin“ erwiderte die Méninville.

Jetzt trat, nach beendigter Erbauungsstunde, die Obersthofmeisterin von Kallenfels ihren Dienst bei der Pfalzgräfin wieder an, und Frau von Méninville zog sich zurück.

Sie wohnte in der Nähe des Schlosses, immerhin aber hatten ihre ziemlich verwöhnten Füße sie durch mehrere Gassen zu tragen, die ein außerordentlich holperiges Pflaster aufwiesen und zudem durch allerhand Abhub aus den Häusern, der unbekümmert hinausgeworfen wurde, alles andere eher als sauber waren. Auch eng waren diese Gassen, und als jetzt eine von zwei schweren Pferden gezogene Karosse hinter ihr her kam, mußte Frau von Méninville sich dicht an die Häuser drücken, um sie vorüber zu lassen.

In der großen veralteten Kutsche, vor welcher die Fußgängerin dergestalt Front machen mußte, saßen zwei Personen, links ein Knabe, zu seiner Rechten hochaufgerichtet ein junges Fräulein. Die Leyens waren es, Vetter und Base, die sich nach der eine viertel Meile von dem Städtchen entfernten Herrenmühle zurückbegaben. Frau von Méninville, im Begriff, ihren Gruß anzubringen, mußte bemerken, daß Polyxene von Leyen in aller Aufrichtigkeit ihrer nicht acht hatte, und kniff die Lippen zusammen. Des jungen Ludwig helle fröhliche Blauaugen aber waren sie gewahr geworden. Sie mochte eine etwas wunderliche Figur abgeben, auf einem abschüssigen Haufen Küchenabfall stehend, platt an die Wand des Hauses gedrückt, an dem derselbe sich niedersenkte, in ihrem schwärzlichen weiten Faltenmantel, dessen Kapuze hoch über ihrem Kopfe aufstand und der wohl ehrbar und halb geistlich, aber nicht eben schön ließ. Ludwig von Leyen packte lachend den Arm seines Bäschens und sagte ihr halblaut etwas, worauf sie ein weniges den hochgetragenen Kopf wendete und flüchtig nach der Seite neigte, der Frau von Méninville so einen sehr leichten Gruß spendend. Uebrigens hatte der Junker, sich seiner Kavalierspflicht erinnernd, doch auch noch zuguterletzt den Federhut gerückt.

Als die Kutsche glücklich vorüber gerumpelt war – sie hing in ziemlich altersschwachen Federn – stieg Frau von Méninville von ihrer unsauberen Höhe herab auf das Niveau der Gasse. Das Gesicht mit der empfindlichen Blondinenhaut sah fleckig geröthet aus und die dünnen Lippen verschwanden fast. Wie waren die Worte gewesen, die sie da eben hatte hören müssen, von dem unbesonnenen Knaben gesprochen? „Sieh doch die Krähe, die Scheuche dort!“ – Frau von Méninville wiederholte sich bedächtig den schmeichelhaften Vergleich – sie würde ihn nicht vergessen!

Dem Knaben war der lustige Spott von seiner Verwandten auch verwiesen worden. „Das war nicht fein, Lutz,“ hatte Polyxene ernsthaft gesagt. Sie hatte zwar die fromme Witwe bisher weit weniger beachtet, als diese jedenfalls verdiente; aber es lag nicht in ihrer Natur, unbedeutende oder gar dürftige Leute mit Worten mißhandeln zu lassen. Daß sie von Fräulein von Leyen für letzteres, sehr mit Unrecht aber auch für das erstere, für völlig unwichtig nämlich, gehalten wurde, merkte Frau von Méninville selber gar wohl. Und es ist noch die Frage, was sie den Verwandten mehr übel nahm, den unartigen Uebermuth des einen oder die geringschätzige Duldung der anderen.




2.

Es war in der ersten Morgenfrühe eines dieser Septembertage und noch nicht fünf Uhr, als in dem alten weitläufigen Gebäude, welches man die Herrenmühle nannte, und auf dem Hofe drunten ein gedämpftes Regen begann. Menschenstimmen hörte man nicht oder kaum. Der Mann, der die beiden Pferde aus dem Stalle führte und an einen ländlichen Wagen spannte, enthielt sich jedes lauten Zurufs. Die Pferde freilich schnaubten und scharrten, aber der dicke Herbstnebel, der noch alles einhüllte und ihnen alsbald in Tropfen um die Mäuler hing, schluckte diese Laute ein.

Während dessen traten aus dem Thor des Herrenhauses Ludwig und Polyxene von Leyen in den Hof. Sie waren beide zur Jagd gerüstet. Er wie sie trug eine Flinte am Lederriemen über dem dunklen Ueberrock. Diese beiden tuchenen Jagdkamisole mit langen Schößen waren einander sehr ähnlich und die Filzschlapphüte, an einer Seite mit altersgeschwärzter Goldschnur in die Höhe geheftet, auch. Nur daß, wo er in wildledernen Beinkleidern steckte und hoch gestiefelt war, bei ihr ein langer Rock herabfiel, machte einen Unterschied in der Tracht.

Das junge Mädchen warf den Blondkopf zurück und zog behaglich die herbe Morgenluft ein, sie selber frisch und rein wie der Morgen.

Der junge Ludwig hatte sofort mit dem Verständniß eines Erwachsenen nach den Pferden gesehen und hier und dort eine Schnalle am Geschirr fester angezogen. Jetzt legte er sein und Polyxenens Gewehr, welches sie inzwischen abgenommen hatte, sorgfältig auf den Rücksitz. Man hätte den prächtigen Jungen, der erst zwölf Jahre zählte, für fünfzehnjährig halten können, so groß und kräftig war er und so verständig, mannhaft und geschickt in allen Leibesübungen. Polyxene, seine Base, war ihm bei diesen früher wie ein guter älterer Kamerad gewesen. Jetzt, da sie in die Fräuleinsjahre gekommen war, hielt sie sich wohl mehr zurück, aber die alte Lust brach doch noch zuweilen durch. Ihm war von früher ein tüchtiger Respekt geblieben vor allerhand, was sie trotz einem Jungen gekonnt hatte und vielleicht noch konnte, wenn sie nur gewollt hätte. Und ihrer Besonnenheit und Einsicht pflegte er sich meist willig unterzuordnen.

Der ältliche Mann, der den Kutscher machte, stand jetzt mit der Mütze in der Hand. „Also wo hinaus, Euer Gnaden?“ fragte er, zu den beiden gewendet. Ludwig seinerseits sah wieder Polyxene an. „Auf Keula zu?“ sagte er halb fragend.

Sie entschied sich rasch. „Ihr fahrt über Keula hinaus, den alten Kirchweg hinauf, so hoch es geht, nach dem Moor zu,“ rief sie als eine Person, die das Befehlen gewohnt war und verstand. Der Mann wagte nicht, etwas zu erwidern, obwohl ihm die Weisung nicht recht zu gefallen schien. Keula war eines der Dörfer unterhalb des Heidenkopfes, und zwar das diesem kahlen Rücken am nächsten gelegene. Gleich über dem Dorfe begannen, mit Wald abwechselnd, die öden übelberufenen Moorstrecken. Auch Polyxene hatte sich früher vor dem Wald und Moor da oben gefürchtet, so gut wie andere Leute. Als sie aber auf ihren Pirschgängen mit dem heranwachsenden Vetter dahintergekommen war, daß der Heidenkopf besonders wildreich sei und gerade das seltenere Weidgethier hege, da hatte die Jagdlust über die halb zweifelnde, halb gläubige Furcht vor allerlei Spuk den Sieg davongetragen. Und was war ihnen seitdem nicht schon alles vor die Büchse gekommen da oben, während sie weder im Morgen- noch im Abenddämmer je etwas Unheimliches wahrgenommen hatten!

Heute galt es nur einem Rehbock, das merkte Ludwig nun, da Polyxene den Weg über Keula hinaus nehmen ließ. Dort über dem Dorfe in der Tannung hatte dies dreiste Wild seinen Stand und that den magern Aeckern der Dorfleute Schaden genug, wenn es morgens und an mondhellen Abenden weit heraustrat.

Die Nebelluft biß Polyxenens sonst zartgefärbte Wangen mit scharfem Kusse glühend roth, und die Morgenfeuchte hing wie Perlen an dem rauhrandigen großen Hute und dem blonden Haar. Sie saß und blickte mit ihren ruhigen Augen zufrieden vor sich hinaus, ließ dieselben auch wohl aufmerksam schweifen, wenn undeutlich sichtbar und kaum hörbar der Flügelschlag eines aufgescheuchten Gefieders durch die Luft strich, nach dem Walde zu.

Auch Ludwig sah sich hell um. „Sieh’ nur die Sonne, Polyxene,“ sagte er; „man kann hineinschauen.“ Strahlenlos war die blasse runde Scheibe eben rechts über den ersten niedrigen windschiefen Häusern des Dörfchens Keula sichtbar geworden.

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