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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Sie machte aus diesem allem kein Hehl; war sie doch, wie sie von sich bekannte, die Offenheit selber. Frau von Méninville war überhaupt eine Vereinigung guter und nützlicher Eigenschaften. Zu den letzteren gehörte ihre große christliche Dienstfertigkeit. In den Häusern, in denen sie, besonders zu Anfang ihres Aufenthalts in Birkenfeld, verkehrt hatte, ehe sie soviel am Hofe war wie jetzt, hatte sie ohne den geringsten Stolz zu allerhand Verrichtungen, Dienstleistungen sogar, sich gebrauchen lassen; sie hatte die Dienstboten, die Kinder überwacht, hatte geholt, gebracht – dafür dann natürlich die Mahlzeiten und die volle häusliche Vertraulichkeit ihrer Gönner getheilt, die meist dahin gekommen waren, sich vor der guten harmlosen Seele in jedem Sinne, auch moralisch, im Negligé zu zeigen. Frau von Méninville war aber zuverlässig und verschwiegen – wieder zwei gute und brauchbare Eigenschaften; man hatte nie davon gehört, daß sie die genaue Kenntniß einzelner Haushaltungen, die sie besaß, etwa in anderen verwerthet hätte. Kurz, Klatsch gewöhnlicher Art konnte man ihr nicht zum Vorwurf machen.

Uebrigens lagen jene Zeiten ihrer bescheidenen Anfänge in Birkenfeld jetzt weit hinter ihr, jetzt, wo die höchste Person des Landes, die Pfalzgräfin Sabine Eleonore selber, Frau von Méninville immer ausschließlicher ihres Vertrauens würdigte.

Die beiden Damen waren also allein. Die Pfalzgräfin hatte nach des Herrn von Nievern Abgang noch eine Weile aufrecht und steif dagesessen, ohne zu reden. Die umständliche Handarbeit, die in einem vergoldeten Korbe ihr zur Seite stand, hatte sie noch nicht wieder aufgenommen. Es war eine mit reicher Gold- und Seidenstickerei zu verzierende Altardecke, ein großes Unternehmen. Gerade aber, als die hochfürstliche Geduld der Dame für diese Arbeit zu erlahmen und ihre anfängliche Lust daran einem mäßigen Abscheu Platz zu machen begann, da hatte es sich gezeigt, daß Frau von Méninville dieser Stickerei kundig war und eine wahre Leidenschaft für dieselbe hegte – wenn man bei einer so sanften Seele überhaupt von Leidenschaften sprechen konnte. Sie bat bescheiden um die besondere Gunst und Gnade, zuweilen an der fernsten Ecke der Decke arbeiten zu dürfen, während die hohe Frau an der von ihr angefangenen Seite derselben beschäftigt war; schon durch diesen Zwischenraum konnte die ungeheuere Rangabstufung ausgedrückt werden. Gern gestand Gräfin Sabine Eleonore ihr die Erlaubniß zu. Und so saß denn Frau von Méninville jetzt oft stundenlang im Gemach der Pfalzgräfin, in der hochfürstlichen Gegenwart, auf einem niederen Tabouret etwas hinter dem kronengeschmückten Sessel, in den fleißigen Händen ihren Zipfel der Altardecke, an der Frau Sabine Eleonore auch ihrerseits ein weniges stichelte, mit vielen Pausen, ein Zustand, dem ein unsagbares Etwas von Schmeichelhaftem und Auszeichnendem für die bescheidene Witwe anhaftete.

Eben wanderten die leeren blauen Augen der Pfalzgräfin nach dem Zifferblatt der Wanduhr mit ihrem verschnörkelten Gehäuse, und sie sagte gedehnt: „Ma foi, die Erbauungsstunde im Gartensaal muß ja längst begonnen haben!“

Frau von Méninville, die sie beobachtet hatte, war gleich mit ihrer Bemerkung bereit. „Die Erbauung dürfte nunmehr fast beendet sein,“ sagte sie. „Hoheit beliebem sich zu erinnern, daß die Frau Obersthofmeisterin ein für allemal die Weisung hat, nicht auf Pfalzgräfliche Hoheit zu warten, wenn hochdieselbe einmal durch wichtige geschäftliche Angelegenheiten verhindert sein sollte, zu erscheinen, wie es heute der Fall war.“

„Ja, ganz recht; es ist für heute nichts mehr damit,“ sagte die fürstliche Dame erleichtert. Also eine wichtige geschäftliche Angelegenheit hatte sie vorhin mit dem Herrn von Nievern erledigt. Wie hübsch von ihr! Sie empfand beifällig gegen sich selbst. Sie war dessen vorher gar nicht recht inne geworden, aber die Méninville hatte zugehört, die mußte es ja wissen.

„Der Herr vom Nievern nimmt sich, dünkt mich, seines Postens recht gut an,“ ließ sie sich jetzt vernehmen. Sie konnte der Versuchung, noch einmal den Namen dieses Mannes ins Gespräch zu bringen, so wenig widerstehen, wie es das allerunfürstlichste Frauenzimmerchen gethan haben würde.

Frau von Méninville durchschaute sie wie Glas. Die gute Méninville – sie sagte immer, was man gerade zu hören wünschte. Den kleinen Skrupel wegen der Versäumniß der neu eingerichteten Erbauungsstunde hatte sie da eben so hübsch aus dem Wege geräumt. Jetzt entgegnete sie mit ihrer bescheidenen Zurückhaltung: „Daa ist die allgemeine Stimme. Jeder rühmt den Scharfblick Eurer Pfalzgräflichen Hoheit, mit dem Hoheit diesem Kavalier gerade dies wichtige Amt übertragen haben.“

„So!“ sagte die Pfalzgräfin geschmeichelt. „Erst wollten einige meinen, er wäre nicht sérieux genug dafür.“

„Er ist ein Herr von Geschmack und vortrefflichen Manieren. Hier zu Lande soll aber einer, der die Geschäfte versteht, immer auch zugleich ein grober Bär sein.“

Die Pfalzgräfin lachte über die anzügliche Bemerkung ihrer Gefährtin. Frau von Méninville aber wußte, daß der Gegenstand, an dem man war, einiges Verweilen recht wohl vertragen würde. Daher begann sie wieder: „Der Herr von Nievern ist, wie ich neulich von den Damen Ihrer Hoheit hörte, längere Zeit auf Reisen gewesen? Man merkt es seinem Betragen auch wohl an, daß er sich an fremden Höfen umgethan hat.“

„Ja. Mein seliger Herr, dem er hart darum anlag, hat ihm damals noch in Gnaden Permiß gegeben,“ sagte die Pfalzgräfin. „Er hatte Geschäfte in Holland, wo ein Oheim von ihm kinderlos verstorben war; es hieß, er sollte erben. Wie es damit geworden ist, hat der schlaue Vogel nie recht kundthun wollen. Bar Geld muß er aber wohl einiges überkommen haben; hat er sich doch von da nach England gewendet und ist, um seine Lust am Abenteuer zu büßen, dort gar zur See gegangen und zu Schiff in der Neuen Welt gewesen!“

Selten, daß die Pfalzgräfin so anhaltend sprach; Frau von Méninville machte sich ihren Vers darauf. „Man hört dergleichen nicht von vielen deutschen Edelleuten,“ sagte sie in bescheidenem Tone. „Die meisten begnügen sich mit ein paar Campagnen, die sie in anderer Herren Ländern mitmachen, unter einem Feldherrn von Renommee, und es ist ihnen darum zu thun, mehr mit heimzubringen, als sie fortgetragen hatten. Seine Reiselust hat doch aber den Herrn von Nievern seiner gnädigen Herrschaft nicht abwendig gemacht. Als eine Sonne hat dieselbe diesen schweifenden Planeten wieder an sich gezogen. Und man merkt es, er ist jetzt zufrieden genug, dieselbe in größerer Nähe umkreisen zu dürfen.“

Die Pfalzgräfin begriff nicht rasch und war meist viel zu träge zum Nachdenken. Hier aber verlohnte es sich. Die Meinung der Méninville war jedenfalls schmeichelhaft gewesen, und wie gut gewählt der Ausdruck! Die fürstliche Dame suchte sich ihn im Geiste zu wiederholen, was ihr ziemlich gelang. Sie eine Sonne – das war sie gewohnt, was hätte sie im System der Weltkörper wohl anders sein können! – und der Planet dieser liebenswürdige Mann, der in angemessener Entfernung – die Entfernung brauchte ja nicht sehr groß zu sein – aber an diesen seinen Platz gebannt jahraus jahrein um sie seine Bahn zog, die Augen stets nur auf ihre Person gerichtet, stets bewundernd wie heute ... sie war das wohl zufrieden! „Sie reden zuweilen wie ein Buch, liebe Méninville,“ sagte sie denn auch nach einer Pause gnädig. „Wenn doch unsere andern Damen auch so unterhaltend wären!“

„Mein Glück ist vollkommen, wenn ich Eurer Hoheit zuweilen die Zeit kürze,“ erwiderte darauf Frau von Méninville, sich im Sitzen verneigend. „Das Hauptverdienst beim Genuß dieser für mich so unschätzbaren Stunden darf aber Pfalzgräfliche Hoheit selber beanspruchen, die meinen bescheidenen Bemerkungen mit so feinem Verständniß entgegenkommt.“

Leute, welche die Sache nicht selber betreiben, die ehrlicheren Naturen, haben meist keinen Begriff davon, wie dick aufgetragen eine Schmeichelei sein darf, um doch noch vortrefflich zu wirken. Sabine Eleonore stand nach kurzer Zeit auf und begab sich in eine Ecke des Gemaches, wo auf geschweiftem Tischchen eine Schatulle stand. Sie öffnete und zog die zierlichen Schubfächer auf. Frau von Méninville war auch in die Höhe gefahren; sobald die Hoheit stand, stand alles, was sich in ihrer Gegenwart befand. Sie hielt dabei nicht ohne Unbequemlichkeit die durch ihre Goldstickereien schon recht schwere Altardecke schwebend und verlor keine Bewegung der kleinen fürstlichen Pompfigur drüben aus den Augen. Die Gräfin hatte ein mittleres Fach geöffnet, und die matten Augen der Méninville hatten sich geschärft. Da lagen Schmucksachen von einigem Werthe, das wußte sie. Mit spitzen Wachsfingern stocherte die Pfalzgräfin ein weniges darin herum; sie nahm auch etwas zwischen diese Finger, verblieb aber damit im Schublädchen und mußte den Gegenstand wohl wieder hingelegt haben, denn die Hand kam leer heraus und verschloß das Fach wieder. Es schoß etwas über das Gesicht der sanften Witwe, blitzschnell – es war ein verächtliches Lächeln gewesen; man wußte, daß die kleine Pfalzgräfin geizig war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_226.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2020)