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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

noch ein ganz thörichtes Nachspiel haben, an dem mir für meine Person gar nichts gelegen ist.“

„Ich verstehe Dich nicht,“ rief Anna ungeduldig, „bringe doch Thatsachen – sonst schweige!“

„Schön,“ sagte Rudolf. „Also – Thatsachen! Excellenzens machen umgehend, wie sich das bei Excellenzen von selbst versteht, ihren Gegenbesuch, wobei sie etwas geschickter verfahren als Ihr, tags darauf kommt die Einladung für Professors – bis dahin alles ganz hübsch. Nun aber weiter!“

„Schnell, schnell!“ rief ich, vor Ungeduld vergehend.

„Kommt alles!“ fuhr Rudolf unerschüttert fort. „Wir gehen also auf den Ball –“

„Sehr richtig!“ bekräftigte Anna.

„Kommen herein – Excellenz, ganz in taubengraue Seide und Huld gekleidet, tritt uns entgegen. Wir lächeln und neigen uns – sie, mit dem anerzogenen Gedächtniß hochgestellter Persönlichkeiten für Gesichter, sieht die heute morgen noch ohnmächtige Professorin strahlend und blühend mit einem Assessor anturnen – sieht bald darauf den Professor mit seiner Kammerjungfer am Arme in den Saal schweben – eine Erklärung ist unausbleiblich!“

„Nun, was schadet das!“ unterbrach ihn seine Frau, aber schon etwas weniger sicher. „Die Excellenz scheint eine so gutmüthige Frau zu sein, daß sie unfehlbar, wenn es zur Erklärung kommt, die Sache sehr lustig finden wird.“

„Ich bedaure, Deine Ansicht ausnahmsweise nicht theilen zu können,“ sagte Rudolf. „Erstens wollen Leute, die in der Stellung des Oberpräsidenten fünfhundert Menschen zu begrüßen haben, nicht länger als unvermeidlich mit jedem ihrer lieben Gäste sprechen. Sodann aber – Ihre Excellenz ist vielleicht ein Engel, eine Seele – was Ihr wollt, aber das steckt nicht an, und Seine Excellenz soll es nicht immer sein. Nun nehmt hinzu, daß er mein höchster Vorgesetzter ist, addiert die ganze Geschichte und zieht das Facit! Ich habe gesprochen!“ Er legte sich in seinen Schaukelstuhl zurück und rauchte weiter.

Wir beiden Missethäterinnen sahen uns wie begossen an. „Du hast nicht unrecht!“ sagte Anna dann halblaut.

„Das kommt von das!“ bemerkte Robert. „Und nun, Frauchen, komm’ nach Hause! Ich habe viel Arbeit nachzuholen, und Du bist seit zehn Uhr heute früh fort.“ Diese mit erhobener Stimme gesprochenen Worte mahnten mich an meine schmählich versäumten Pflichten – Anna und ich trennten uns sehr niedergeschlagen, und nur Robert triumphierte, daß das Sprichwort „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ sich an uns und ihm so glänzend bewahrheitet hatte.

Am nächsten Tage fuhren, wie Rudolf prophezeit hatte, Herr und Frau Oberpräsibent oder besser gesagt: ihr Wagen bei uns vor, der Diener gab die Karten ab und entfloh so eilfertig, als fürchtete er, wir würden uns rächen und ihm sagen: „Professors lassen bitten!“

Abermals am nächsten Tage wurde uns, als wir beim zweiten Frühstück saßen, die Einladungskarte zum Balle überreicht, gleichzeiag aber ein Briefchen mit Wappenstempel. Ahnungsvoll öffnete ich den Umschlag, um wirklich tief beschämt zu werden – die liebenswürdige Excellenz fragte in theilnehmenden Worten nach dem Befinden der „Frau Professor“ und bat, ihr durch den Diener Nachricht über das Ergehen der Patientin zu schicken. Ich saß stumm und mit reuigem Herzklopfen da, den Brief in der Hand. Auf diese Freundlichkeit wieder mit einem Schwindel zu antworten, schien mir zu ruchlos. Ich ließ dem Boten sagen, ich würde die Antwort später schicken, und begab mich, da Robert mir auch nicht zu rathen wußte, zu Anna, um dieser die Sachlage mitzutheilen und meinen Beschluß zu fassen. Ich traf Anna samt ihrem Manne zu Hause und gab ihnen mit dem lakonischen Worte „Lest!“ die Zeilen der Oberpräsidentin. Sie durchflogen sie gleichzeitig mit fieberhafter Spannung.

„Nun,“ sagte Anna dann und ließ das Briefchen sinken, „wenn die Frau keine Flügel hat, ist es wirklich ein Versehen der Natur – die hat ihren Beruf als Engel verfehlt!“

„Ja, das sage ich auch!“ pflichtete ich aus vollem Herzen bei. „Aber was machen wir nun? Soll man als Dank noch einmal lügen? Das kann ich nicht! Wir kommen aus der Geschichte nie mehr heraus – es ist zum Verzweifeln!“

Wir sahen uns alle drei stumm und nachdenklich an, endlich brach Anna das Schweigen. „Ach was!“ rief sie entschlossen, „‚sprich in Bedrängniß nicht von Verhängniß – ein Alexander haut’s auseinander‘. Wir machen der Sache ein Ende, sonst haben wir nie Ruhe! Lisa – Du und ich fahren zum zweiten Male zur Oberpräsidentin, aber diesmal mit der ganz bestimmten Absicht, daß ‚Excellenz bitten lassen‘ – und beichten ihr de-, weh- und reumüthig unseren Pagenstreich von Anfang bis zu Ende – das ist der einzige Ausweg!“ Rudolf sah etwas besorgt aus, ihm steckte doch der „Vorgesetzte“ noch in den Gliedern.

„Nun, Rudolf,“ fragte ich zaghaft, „sollen wir?“

Da blickte er auf, sah uns beide an und lachte. „Meinetwegen,“ sagte er, „aber macht’s ganz einfach und natürlich – sie wird ja nicht so sein! Excellenzen sind auch einmal jung gewesen!“

Und so geschah es. Nachdem wir auf der Hinfahrt ungefähr in zehnfacher Steigerung die Empfindungen durchgemacht hatten, die man im Vorzimmer des Zahnarztes im Besitz eines rettungslos verlorenen Backenzahns verlebt, ging die Sache schließlich sehr gut – viel besser, als wir es verdient hatten.

Die Oberpräsidentin war zu gutherzig, um mit unserer tödlichen Verlegenheit nicht Mitleid zu haben – sie nahm uns das Bekenntniß auf halbem Wege ab. Wir plauderten schließlich eine ganze Weile mit ihr von allen Wohlthätigkeitsbestrebungen der Stadt, deren eifrige und thätige Vorsteherin sie war, und trennten uns von ihr mit dem Gefühl aufrichtiger Dankbarkeit für eine Schonung und Nachsicht, die um so hübscher war, je weniger wir sie erwarten durften.

Auf der Rückkehr rechneten wir uns freilich aus, daß jede von uns Mitglied von ungefähr sechs Vereinen geworden war, aber dieses Lehrgeld zahlten wir gern.

Moralischerweise hätten unsere Männer uns nun wirklich nicht auf den Ball gehen lassen dürfen, aber vernünftigerweise thaten sie’s, wir amüsierten uns prächtig dort und tanzten bis in die tiefe Nacht. Und als eine unserer guten Bekannten, welche das etwas bedeutungsvoll lächelnde Gesicht der Excellenz bei unserer Begrüßung bemerkt hatte, ganz ehrfurchtsvoll fragte: „Die Oberpräsidentin war ja sehr huldvoll gegen Sie!“ da erwiderte meine Schwägerin mit großer Würde: „Wir haben Beziehungen von früher her!“

„Aha!“ sagte die Dame.




Korfu.

Schilderung in Wort und Bild von Gustav Conz.


Nach einem Besuche Athens landete ich im Monat September zum zweiten Male in Korfu, das ich auf der Hinreise nur flüchtig berührt hatte. Wie damals im Juli, so wölbte sich auch jetzt der Himmel in wolkenloser Klarheit über den weißen Häusern der Stadt, und die Sonne hatte, wie ich auf dem Wege zum Hotel – es war Mittagszeit – genügend erfuhr, noch nichts von ihrer südlichen Gluth verloren. Der Reisende, der einige Ansprüche macht, hat die Wahl zwischen zwei Gasthöfen, „St. George“ und „Bella Venezia“ (Hotel Angleterre). Sie liegen nahe beisammen in derselben Häuserflucht und genießen beide mit Recht des besten Rufs. Ich fand in der „Bella Venezia“ bei mäßigem Pensionspreis ein gutes Zimmer und vortreffliche Kost; der noch junge sehr gefällige Wirth hat eine Tochter des Reiseunternehmers Stangen zur Frau und spricht geläufig deutsch; im übrigen wird das Italienische, in der Stadt wenigstens, fast allenthalben verstanden. Es war früher weit allgemeiner im Gebrauch, aber die Kraft des griechischen Volksgeistes hat sich auch hier bewährt: die Einwohner sprechen jetzt untereinander fast ausschließlich griechisch, und ohne den starken Fremdenverkehr würde die Kenntniß der andern Sprache noch weit rascher abnehmen.

Zur Zeit meines Besuches war jedoch von Fremden wenig zu sehen; nicht selten saß ich in stiller Größe allein an der Speisetafel, denn erst gegen Ende September pflegt die Hitze sich zu mildern und die eigentliche Fremdenzeit fällt in die Wintermonate.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_212.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2020)