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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Sie gingen schnell, immer schneller über den Rasen, ihre Pfade durchkreuzten sich.

Mit fröhlichem Luftsprung that sich der Vogelsteller hervor, schwang seinen hohen Festhut, auf dem die Rohrflöte steckte, und faßte Irmelein bei den Händen. Lachend drehten sie sich umeinander herum.

Und Gotelinde war hinüber gewandelt, hoch und weiß wie Lilie, und streckte dem finsteren Kühnrich die Hand entgegen. Der ergriff sie und sah trotzig um sich. Nun war es sein gutes Recht; das wollte er schon vertheidigen.

Elsemuth aber stürmte, daß der Saum ihres mit rothen Fäden ausgenähten Leinwandrockes flog, zum Müller und führte ihn samt seiner schönen Haube unter Schellengeklingel davon wie ein Lamm zur Schlachtbank.

Und da niemand wagte, Einhalt zu thun, fanden sich mehr und mehr zusammen. Es mußte unter der Asche stark geglimmt haben. Zu fröhlichem Zuge ordneten sich die Paare.

Aber nun schauten sie verlegen drein. Nach welcher Tanzweise sollten sie den Reigen anheben? Reinald begann zwar zu singen: „Stab aus!“ Jedoch Irmelein hielt

ihm den Mund zu wie er vordem seinem Star den Schnabel. Herr Albrecht hatte ja das Lied heidnisch, grausam genannt. Aller Augen richteten sich auf ihn. Wer Altes stürzt, muß Neues schaffen können.

Da winkte Albrecht einem Knaben, daß er ihm die Harfe bringe. In freier edler Haltung, wie die Sänger auf der Wartburg vor dem Landgrafen gestanden hatten, stand er jetzt vor seinem Bauernvölkchen. Seine schmalen Hände glitten über die goldflimmernden Saiten, holder Wohllaut rauschte auf, und in der halb sprechenden, halb singenden Weise seiner Dichterzunft erfand er ihnen ein neues Tanzlied:

„Auf den Wiesen die Blümlein springen,
Kleine Vöglein im Walde singen
Fröhlich mit süßem Schalle.
Ihr Knaben und Mägdlein alle,
Nun hebet auch Ihr Euch zum grünen Plan,
Die holde Sommerzeit zu empfahn!“

Enger schloß sich der Kreis. Die jungen Dörfler raunten, die Mägdlein wisperten die Verse nach.

Ueber Herrn Albrechts Züge flog es wie Schelmerei. War tief in ihm ein Stücklein von dem Geiste des wilden Tannhäuser verborgen?

Schnelle Griffe auf der Harfe folgten. Dann sang er keck:

„Zu Zwei und Zweien
Im Doppelreihen
Nun sollt Ihr springen! Heiahei!
Auch dem Spielmann springt –“

„das Herz dabei“, wollte er enden, aber der Propst hob mahnend den Finger

„Eine Saite entzwei,“ schloß das Lied.

Lauter Jubel folgte. Zu Zwei und Zweien ging’s im künstlichen Zippelschritt davon, um das Osterfeuer herum.

Die Chorherren schauten dem Hoppaldei zu und dem schönen lustigen Firlefei.

Erst als nach alter Sitte klafterlange Sprünge über das Feuer gethan wurden, wandelten sie langsam hinab. Auch Albrecht zog sich nach seiner Klause zurück.

Da umringten ihn plötzlich die drei klugen Jungfrauen. Sie drückten den Saum seines Obergewandes an die Lippen.

„Ihr habt harte Herzen erweicht, deß sagen wir Euch Dank,“ sprach Gotelinde.

„Das beste Krüglein Oel bringe ich Euch!“ betheuerte Elsemuth.

„Ja, wenn Ihr kein Chorherr wäret, da freilich,“ schäkerte Irmelein. Sie wollte weiter sprechen, aber das flinke Zünglein versagte.

„Willst Du mir das Herz schwer machen?“ lächelte er.

Da sah es plötzlich Thränen; die drei Augenpaare standen voll Perlen. Innig sahen sie ihn an.

„Eueren Gesponsen Kuß und Lachen,“ sagte er mit leiser Schwermuth. „Mir eine Thräne. Wem ist das bessere Theil geworden?“

Dann gingen seine Augen über sie hinweg nach dem funkelnden Sternenhimmel hinauf, und nun schien es, als strahlten sie in überirdischem Licht. Er hob die Hand ernst zum Segen über die tief sich beugenden jugendlichen Häupter: „Seid glücklich!“

Die Feier des Osterfestes auf dem Berge Unserer lieben Frau stieg zu immer höherem Glanze empor. Die Kapelle wurde mit einem Ablaß begabt, zahllose Wallfahrten pilgerten hinauf am steilen Weg reihten sich Verkaufsbuden.

Bei der Einführung der Reformation wurde das Stift aufgehoben, das Kirchlein geschlossen. Die Wallfahrten wandelten sich in Osterlustbarkeiten für die Umgegend.

Gemachsam schliefen auch diese ein. Die Trümmer der Kapelle überzog der grüne Rasen. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde das letzte Osterei mit seinem altherkömmlichen Kreuze am steilen Weg verkauft.

Nur blaue Glockenblumen läuten noch auf der Stätte, wo der Chorherr Albrecht sich mit der Uebertragung des Ovidius mühte, deren letzter Rest, nach sechshundert Jahren unter Einbänden von Einquartierungsregistern des Dreißigjährigen Krieges und unter Küchenabrechnungen hervorgezogen wurde.

Aber wenn die Osternacht anbricht, dann lodert eine mächtige Flamme auf dem Gipfel des Frauengberges empor; von den Ortschaften ziehen, die jungen Männer aus mit brennenden Fackeln und winken dem Feuer zu, heut

wie vor tausend Jahren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_194.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)