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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Seine Augen verloren sich träumerisch in dem klaren Himmel, folgten den eilig dahinsegelnden lichten Wölkchen. Es waren wunderbare Augen. Ihre Farbe schien sich zu wandeln nach dem, was sich darin spiegelte: dem blauen Himmel, dem lustig schimmernden, grünlichen Wald oder der düsteren grauen Zellendecke.

Wie die krausen Blättchen der wilden Rosen hereindufteten! Eia, der Blüthenschnee über dem Schwarzdorn! Warum plagte er sich damit, für die „Erdbeerbäume“ des üppigen römischen Dichters ein deutsches Wort zu finden? Er nahm die beiden heimischen Früchtchen Hagebutten und Schlehen dafür.

Da tönte Gekreisch. Jubelnd kam eine Kinderschar gezogen, barfuß, im rauhen flächsenen Hemd, einen grünen Busch dahertragend. „Wir haben den ersten Maikäfer im Walde gesucht; da ist er!“ Sie hatten dem Käfer einen Faden um ein Beinchen gebunden und ihn damit an den Busch befestigt.

Das konnte Albrecht nicht ansehen. Er legte die Federn nieder, ging zu den Kindern, band den Gefangenen los und ließ die Kleinen so lange „Flieg’ aus!“ singen, bis er davongebrummt war.

Dann nahm er wieder Platz und begann, an den Fingern die Versfüße abzuzählen.

Da schob sich plötzlich ein großer Strauß blauer Leberblümchen und weißer Frühlingssterne zwischen ihn und den Blick auf die grüne Bergfläche, und eine helle Stimme fragte: „Wer ist’s, ehrwürdiger Vater?“ lachend, als machte die Fragende sich lustig über die Anrede.

Auch der junge Chorherr lächelte. „Die Finger sind braun und schlank wie Schmerlchen – es ist die Fischerin Irmelein aus Bebra. Komm herein, mein Kind!“

Ein junges Mädchen mit einem Köpfchen braun wie eine Haselnuß schlüpfte in die Klause. „Errathen! Wir jungen Mägde sind in den Wald gegangen und holen zum Osterschmuck der Stiftskirche Epheu und Moos. Da bringe ich für Unsere liebe Frau auch einen Strauß.“

Er warf einen prüfenden Blick darauf. „Sind auch die Maiblumen dabei, die Du so sorglich den ganzen Winter gepflegt hast, damit sie zum heiligen Osterfest blühen sollten?“

Die Maiblumen fehlten; er hatte es gleich gewußt. Die Lieblingsblumen Ostaras sollten der Göttin geopfert werden beim Schöpfen des Osterwassers. Er hob drohend den Finger.

Irmeleins Blick wischte seitwärts durch das offene Kirchenfenster zu dem Bilde der Gottesmutter hin. „O, sie wird darum nicht ihr Angesicht von mir wenden,“ bat sie in weichem aber lautem Tone, daß es bis in die Kapelle schallte. „Sie ist so gut und mild. Ich habe daran gedacht, was sie gern mag. Seht, da sind Himmelsschlüssel, mit denen sie den Himmel aufthut, und eine Marienthräne. Gleicht sie nicht einer rosenrothen Aehre? Es ist die erste weit und breit. Ein Marienkühchen sitzt darauf, das Käferlein, dem Unsere liebe Frau hold ist.“ Es war klar, sie wollte die heilige Jungfrau überreden, daß sie auf die Maiblumen verzichtete.

Da tönte der Pfiff einer Amsel vom Walde her. Irmelein horchte auf und wandte sich um.

„Wohin willst Du?“ fragte er.

Ihr Gesichtchen wurde trübe, als flögen Wolkenschatten über die Sonne. „Es ist Reinald. Ach, wir müssen uns im Walde verstecken. Und wir gehören doch zusammen. Die Fischerin und der Vogelsteller sind beide leichtes Volk, das auf den Wellen schwimmt und in der Luft hängt. Aber die jungen Gesellen in Bebra sind dem Jechaburger ganz aufsässig, verstören ihm die Sprenkel, die Schlingen und bedräuen ihn, sie wollen ihn in den Bach werfen. Als er diesen Winter einen schönen Eisvogel gefangen hatte da riß ihn Hiltebold, der Müller, an sich und hat sich eine Haube davon, machen lassen.“

Wieder ein Amselruf. Sie nickte mit dem Köpfchen muthwillig nach dem Walde hin. „Pfeife nur! Ich weiß gar wohl: nach den klugen Vöglein, die am längsten sich vor den Leimruthen hüten, steigst Du am eifrigsten.“ Dann flüsterte sie Albrecht vertraulich zu: „Ehrwürdiger Vater, legt den Strauß und Eure Fürbitte Unserer lieben Frau zu Füßen.“

Noch einmal beschaute sie sich in dem Spiegelein, das sie an der Seite trug. Reinald hatte es bei der Domina in Münchelora gegen einen Dompfaffen eingetauscht, der schöne Tanzweisen pfiff. Sie strich sich die Ringellöckchen aus der Stirn und verschwand nach dem Walde zu.

Albrecht stützte das Haupt in die Hand, die Gedanken zu sammeln.

Lautes Schluchzen tönte aus der Kirche herüber, das Weinen eines Weibes. Gerade das konnte Albrecht nicht hören. Abermals stand er auf und trat in die Kirchenpforte.

Vor dem Altar kniete eine schlanke Mädchengestalt, das Gesicht in die gefalteten Hände gedrückt. Zwei lange gelbe Zöpfe fielen bis auf den Saum des aus weicher Lämmerwolle selbst gesponnenen und gewebten Rockes herab. Es war Gotelinde, die tugendreichste Maid von Jechaburg.

„Was bedrückt Dich so schwer, meine Tochter?“ fragte er sanft.

Sie erhob sich und kam schluchzend zu ihm heran. „Ach, ich mußte mein Herz einmal ausschütten, und St. Peter unten versteht solcherlei Dinge nicht recht. Da bin ich zu Unserer lieben Frau gegangen.“

Er nickte ihr ermuthigend zu. „Nun, so erzähle! Die heilige Jungfrau hört es auch von hier aus.“

Sie trocknete die Augen ab. „Der schwarze Kühnrich aus den Stockhäusern unten hat mir immer alles zu Liebe gethan. Wenn er seine Abgaben vom Korn dem Stiftsmeier brachte, dann legte er mir einen Kuchen aus Weizenmehl auf das Fensterbrett oder setzte eine bunte Ente in den Hof. Aber die jungen Gesellen in unserem Jechaburg, wollen keinen Fremden dulden. In diesem Jahre fand ich das erste Veilchen hart an dem Grenzstein unserer Fluren. Ich rief und winkte nach beiden Seiten. Unsere Bauern liefen von den Aeckern herbei, die Spielleute kamen, und wir hoben den Reigen um das Veilchen an, wie es aller Brauch ist. Auch Kühnrich kam und wollte neben mich in den Ringelreihen treten. Da quakte Reinald, der Vogelsteller, wie ein Frosch – Ihr wißt, die Stockhäuser stehen im Sumpf – und die jungen Burschen aus Jechaburg fielen über Kühnrich her. Er ist ja stark wie ein Wolf; aber es waren ihrer zu viele, und sie stürzten ihn hinab. Das arme Veilchen, das so bescheiden aus seinem Moosbettlein lugte, hatten sie zertreten. Und als ich Klage führte bei unserem Dekan, da schalt er über die Abgötterei, die wir mit

einer Blume trieben. Mein Vater aber lachte, daß Reinald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_190.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)