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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Klimawechsel ist ihm schädlich gewesen. Er muß einstweilen zurück nach Italien, und ich habe eben mit ihm über den Winteraufenthalt gesprochen. Er würde Rom vorziehen, der jungen Frau wegen. Ich bin eher für Sorrent oder, wenn es denn doch eine größere Stadt sein soll, für Palermo.“

Dernburgs Stirn verfinsterte sich bei den letzten Worten noch mehr, und mit kaum verhehlter Unruhe fragte er: „Halten Sie es für unbedingt nothwendig, daß Erich den ganzen Winter fortbleibt? Ich hoffte, er würde zum Weihnachtsfeste mit seiner Frau zurückkehren.“

„Nein, Herr Dernburg, das geht für diesmal nicht,“ entgegnete Hagenbach mit Bestimmtheit. „Das hieße ja alles wieder aufs Spiel setzen, was wir im vergangenen Winter gewonnen haben.“

„Und was haben wir denn gewonnen? Eine halbe Genesung, die schon nach wenigen Monaten in Frage gestellt ist! Seien Sie aufrichtig, Doktor – Sie glauben, daß mein Sohn unser Klima überhaupt nicht verträgt.“

„Vorläufig dürfte es allerdings nöthig sein –“

„Nichts von ‚vorläufig‘! Ich will die Wahrheit wissen, die volle Wahrheit! Halten Sie es für durchführbar, daß Erich dauernd in Odensberg leben, daß er mein Mitarbeiter, mein dereinstiger Nachfolger werden kann, wie ich es hoffte, als er im Frühjahr scheinbar genesen zurückkehrte?“

Sein Blick hing mit unruhiger Spannung an den Lippen des Arztes, ebenso wie das Auge Wildenrods, der aus der Fensternische hervorgetreten war. Hagenbach zögerte mit der Antwort, sie schien ihm schwer zu werden. Endlich sagte er ernst:

„Nein, Herr Dernburg – da Sie die Wahrheit verlangen – wie die Dinge liegen, ist ein dauernder Aufenthalt im Süden Lebensbedingung für Ihren Sohn. Er kann im Sommer auf einige Monate nach Odensberg kommen, aber einen Winter in unseren Bergen erträgt er nicht mehr, so wenig wie die Anstrengungen einer Berufsthätigkeit. Das ist meine feste Ueberzeugung.“

Wildenrod machte eine unwillkürliche Bewegung bei dieser mit aller Entschiedenheit gegebenen Erklärung, Dernburg schwieg, er stützte nur den Kopf in die Hand, aber man sah es, wie schwer ihn der Ausspruch des Arztes traf, obgleich er ihn geahnt haben mochte.

„Dann heißt es also Abschied nehmen von den Plänen, die ich so lange genährt habe,“ sagte er endlich. „Ich hoffte trotz alledem – gleichviel, Erich ist mein einziger Sohn, ich will ihn mir erhalten, auch wenn ich meine liebsten Hoffnungen dabei begraben muß. So mag er sich denn irgendwo im Süden ein Heim gründen und seine Thätigkeit darauf beschränken, es zu bauen und auszuschmücken – ich kann’s ihm ja gewähren.“

Ein schwerer halbunterdrückter Seufzer verrieth, was ihn der Entschluß kostete. Dann wandte er sich zu dem Arzte und bot ihm die Hand. „Ich danke Ihnen für Ihre Aufrichtigkeit, Doktor. Wenn die Wahrheit auch bitter ist, ich muß mich damit abfinden. Wir sprechen noch näher darüber!“

Hagenbach verabschiedete sich und ging. Einige Minuten herrschte Schweigen im Zimmer, dann fragte Wildenrod mit gedämpfter Stimme: „Hat Sie der Ausspruch überrascht? Mich nicht, ich fürchtete längst etwas dergleichen. Wenn Erich nur dauernd gesundet, dann, hoffe ich, werden Sie und er sich leichter in die Trennung finden.“

„Erich wird sich sehr leicht darein finden,“ sagte Dernburg mit aufquellender Bitterkeit. „Er hat stets Furcht vor der Lebensstellung gehabt, die seiner wartete, ihn ängstigte dies mächtige rastlose Getriebe, dessen Herr und Leiter er sein sollte, mit all seinen Anforderungen und Pflichten. Er wird weit lieber am Strande des blauen Meeres sitzen, Baupläne für seine Villa machen und froh sein, wenn ihn nichts in seiner träumerischen Ruhe stört – und ich stehe allein hier, gezwungen, mein Odensberg, das Werk meines Lebens, dereinst in fremden Händen zu lassen. Das ist hart!“

„Müssen Sie das wirklich?“ fragte Oskar bedeutungsvoll, indem er näher trat. „Sie haben ja noch eine Tochter, die Ihnen einen zweiten Sohn geben kann, aber Sie versagen ihrem Erwählten noch immer die Sohnesrechte.“

Dernburg machte eine abwehrende Bewegung.

„Lassen wir das! Nicht jetzt –“

„Gerade jetzt, in dieser Stunde möchte ich zu Ihnen sprechen. Sie haben meine Werbung um Maja in einer Weise aufgenommen, welche ich nicht erwartet und nicht verdient habe. Sie machten mir fast einen Vorwurf daraus, als hätte ich damit ein Unrecht begangen.“

„Ein Unrecht ist es auch, Herr von Wildenrod. Sie durften dem sechzehnjährigen Kinde nicht von Liebe sprechen und es mit dem Geständniß Ihrer Leidenschaft an sich ketten, ohne der Einwilligung des Vaters sicher zu sein. Einem Jüngling verzeiht man es, wenn er sich von der Empfindung des Augenblickes hinreißen läßt, einem Manne in Ihren Jahren nicht.“

„Und dieser Augenblick hat mir doch das höchste Glück meines Lebens gegeben,“ rief Oskar aufflammend, „die Gewißheit, daß auch Maja mich liebt! Sie hat dieses Geständniß vor Ihnen wiederholt – wir hofften beide auf den Segen des Vaters. Statt dessen werden wir zu einem endlosen Warten verurtheilt. Sie haben Maja aus Odensberg verbannt, sich selbst ihrer Nähe beraubt, nur um sie mir zu entziehen –“

„Und was hätte ich denn sonst thun sollen?“ fiel Dernburg ein. „Nach Ihrer übereilten Erklärung war ein unbefangener täglicher Verkehr nicht mehr möglich, wenn ich nicht sofort der Verlobung zustimmte.“

„So thun Sie es jetzt! Majas Herz gehört mir, daran wird weder Zeit noch Trennung etwas ändern, und ich liebe sie grenzenlos. Ihren Sohn müssen Sie in die Ferne ziehen lassen – nun wohl, so lassen Sie mich an seine Stelle treten! Ich habe Ihr Odensberg lieben gelernt und bringe ihm die volle ungebrochene Kraft eines Mannes entgegen, der seines zwecklosen Daseins müde ist und ein neues Leben anfangen möchte. Wollen Sie mir das versagen, nur weil zwei Jahrzehnte zwischen mir und meiner jungen Braut liegen?“

Er sprach mit heißer dringender Bitte und er hätte keine bessere Zeit wählen können als diese Stunde, in welcher dem Manne, der da mit umdüsterter Stirn vor ihm saß, all die Hoffnungen zusammenstürzten, die er auf seinen Sohn gebaut hatte und auf jenen anderen, den er seinem schwachen unselbständigen Erben dereinst an die Seite hatte stellen wollen; auch dieser Plan war gescheitert, seit Dernburg wußte, daß Majas Herz nicht mehr frei war. Und nun brauchte er sein Lieblingskind nicht von sich zu lassen, wenn sie die Gattin Wildenrods wurde, und dieser bot ihm mit seiner kraftvollen entschlossenen Persönlichkeit Ersatz für das, was er verlor! Die Wahl war in der That nicht schwer.

„Das ist ein ernster folgenschwerer Entschluß, Herr von Wildenrod,“ sagte Dernburg. „Wenn Sie sich wirklich zu einer so völligen Umgestaltung Ihres bisherigen Lebens verstehen könnten – es ist keine leichte Aufgabe, die Ihrer wartet, und sie hat vielleicht nur deshalb einen Reiz für Sie, weil sie Ihnen neu und fremd ist. Sie sind an keine regelmäßige Thätigkeit gewöhnt –“

„Aber ich werde es lernen,“ fiel Wildenrod ein. „Sie haben mich oft im Scherz Ihren Assistenten genannt, seien Sie jetzt im Ernst mein Lehrer und Führer, Sie sollen sich Ihres Schülers nicht schämen müssen! Ich habe endlich eingesehen, daß man schaffen und arbeiten muß, um glücklich zu sein, und ich werde arbeiten. Und nun gewähren Sie meine Bitte ... Sie haben Erich erlaubt, glücklich zu sein, wollen Sie es Maja und mir verweigern?“

„Wir werden sehen“ entgegnete Dernburg, aber in seinem Tone lag schon halb und halb die Gewährung. „In drei Wochen ist Erichs Hochzeit, dann kehrt Maja nach Odensberg zurück und –“

„Dann darf ich um meine Braut werben!“ fiel Oskar stürmisch ein, „O, ich danke Ihnen, wir danken beide unserem strengen und doch so gütigen Vater!“

Ein flüchtiges Lächeln erhellte Dernburgs Stirn und wenn er die Einwilligung auch noch nicht aussprach, so wies er doch den Dank nicht zurück.

„Aber nun genug davon, Oskar,“ sagte er, zum ersten Male die vertrauliche Anrede gebrauchend. „Sie zwingen mir sonst mit Ihrem stürmischen Drängen noch alles Mögliche ab, und ich habe noch Geschäftliches zu erledigen. Egbert muß gleich hier sein, er kommt heute von Radefeld herein, um mir Bericht zu erstatten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_184.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)