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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

befreundeten Familie; sie sollte erst zur Hochzeit des Bruders zurückkehren. –

Egbert Runeck war von Radefeld gekommen, um seinem Chef den gewohnten Bericht zu erstatten. Er pflegte schon seit Wochen bei dieser Gelegenheit nur im Arbeitszimmer zu verweilen und sofort zurückzukehren, wenn das Geschäftliche erledigt war; dem Familienkreise schien er ganz fremd geworden zu sein. Heute aber hatte er zuerst Erich aufgesucht, der ihn mit freudiger Ueberraschung, aber auch mit Vorwürfen empfing.

„Endlich läßt Du Dich einmal wieder sehen! Ich glaubte schon, Du hättest mich ganz vergessen und überhaupt unser Haus in Acht und Bann gethan. Nur der Papa bekommt Dich noch zu Gesicht!“

„Du weißt, wie sehr ich in Anspruch genommen bin,“ versetzte Egbert ausweichend. „Meine Arbeiten –“

„Jawohl, Deine Arbeiten müssen immer den Vorwand liefern! Aber komm, laß uns plaudern – ich bin so froh, Dich einmal ungestört für mich allein zu haben.“

Er zog den Jugendfreund neben sich auf das Sofa nieder und begann zu fragen und zu erzählen. Er sprach jedoch fast allein. Runeck zeigte sich auffallend schweigsam und zerstreut, nur bisweilen antwortete er wie mechanisch, als habe er ganz andere Dinge im Kopfe. Erst als Erich von seiner bevorstehenden Vermählung zu sprechen begann, wurde er aufmerksamer.

„Wir wollen noch am Hochzeitstage abreisen, gleich nach dem Festmahl,“ sagte dieser mit einem glücklichen Lächeln. „Einige Wochen denke ich mit meiner jungen Frau in der Schweiz zu bleiben, dann aber fliegen wir beide nach dem Süden. Nach dem Süden! Du ahnst nicht, welchen Zauber das Wort für mich hat. Dieser kalte nordische Himmel, diese düsteren Tannenberge, dies ganze Leben und Treiben hier, das alles liegt so schwer auf mir. Ich kann hier nicht völlig genesen – Hagenbach, der soeben bei mir war, meint das auch und schlägt vor, daß wir den ganzen Winter in Italien bleiben. Leider wird Papa davon nichts hören wollen – es wird einen Kampf kosten, das bei ihm durchzusetzen.“

„Du fühlst Dich wieder leidender?“ fragte Egbert, dessen Auge mit einem seltsam forschenden Ausdruck auf den bleichen eingefallenen Zügen des Freundes ruhte.

„O, das hat nichts zu bedeuten,“ sagte Erich sorglos. „Der Doktor ist nur so unglaublich ängstlich. Er hat mir das Reiten verboten, giebt mir alle möglichen Verhaltungsregeln und jetzt will er gar die Vermählungsfestlichkeiten beschränkt wissen, weil sie mich anstrengen könnten. Nur keine Aufregung! Das ist sein erstes und letztes Wort. Ich fange nachgerade an, ärgerlich zu werden, er behandelt mich wie einen Schwerkranken, dem jede Erregung den Tod bringen kann.“

Runecks Blick haftete noch immer schwer und düster auf dem Gesicht des jungen Mannes, und es lag wie ein verhaltener Kampf in seinen Zügen und in seiner Stimme, als er fragte:

„Also Doktor Hagenbach fürchtet die Aufregung für Dich? Freilich, Du hast damals einen Blutsturz gehabt –“

„Mein Gott, das war vor zwei Jahren und ist längst ausgeheilt,“ unterbrach ihn Erich ungeduldig. „Mir bekommt nur die Luft in Odensberg nicht, und auch Cäcilie kann und wird sich nie in das Leben hier finden. Sie ist für die Freude und den Sonnenschein geschaffen, das ist das Element, in dem allein sie leben kann, hier, wo alles auf Arbeit und Pflicht gestellt ist, wo die strengen Augen meines Vaters sie wie in einem Banne halten, kann sie nicht gedeihen. Wenn Du wüßtest, was aus meiner strahlend heiteren Cilly geworden ist, die von Leben und Uebermuth sprühte, die selbst in ihren Launen so entzückend war! Wie bleich und still ist sie geworden in den letzten Wochen, wie seltsam verändert in ihrem ganzen Wesen! Manchmal fürchte ich, daß da etwas ganz anderes zu Grunde liegt. Wenn sie das Wort bereute, das sie mir gegeben, wenn – ach, ich sehe überall Gespenster!“

„Aber Erich, ich bitte Dich,“ fiel Runeck beschwichtigend ein. „Befolgst Du so die Vorschrift des Arztes? Du regst Dich in ganz unnöthiger Weise auf.“

„Nein, nein!“ rief der junge Mann leidenschaftlich. „Ich sehe und fühle es, daß Cäcilie mir irgend etwas verbirgt – vorgestern hat sie sich verrathen. Ich sprach von unserer Hochzeitsreise, von Italien, da brach es plötzlich hervor: ‚Ja, laß uns fort, Erich, wohin Du willst, nur weit weit fort von hier! Ich ertrage es nicht länger!‘ Was erträgt sie nicht? Sie wollte mir darüber nicht Rede stehen, aber es klang wie Verzweiflung.“

Erregt sprang er auf. Auch Egbert erhob sich, dabei trat er wie zufällig aus dem hellen Sonnenschein, der durch das Fenster hereindrang, in den Schatten. „Du liebst Deine Braut wohl sehr?“ fragte er langsam, mit schwerer Betonung.

„Ob ich sie liebe!“ Das blasse Gesicht Erichs röthete sich und seine Augen leuchteten auf in schwärmerischer Zärtlichkeit. „Du hast nie geliebt, Egbert, sonst könntest Du nicht so fragen. Wenn Cäcilie mir damals, als ich um sie warb, ein Nein geantwortet hätte, vielleicht hätte ich es ertragen. Wenn ich sie jetzt verlieren müßte – das gäbe mir den Tod!“

Egbert schwieg. Er stand zur Hälfte abgewendet, noch immer lag der stumme qualvolle Kampf in seinen Zügen. Bei den letzten Worten aber richtete er sich empor, trat zu dem Freunde und legte die Hand auf dessen Arm.

„Du sollst sie nicht verlieren, Erich,“ sagte er fest, aber mit zuckenden Lippen. „Du wirst leben und glücklich sein.“

„Weißt Du das so genau?“ fragte Erich, befremdet aufblickend. „Du sprichst ja, als wärest Du Herr über Leben und Tod.“

„So nimm es als eine Prophezeiung, die sich Dir erfüllen wird. – Doch ich muß fort, ich kam überhaupt nur, um Dir Lebewohl zu sagen, denn meine Thätigkeit in Radefeld ist früher zu Ende, als ich glaubte.“

„Um so besser, dann kehrst Du doch nach Odensberg zurück, und wir sehen uns hoffentlich vor meiner Abreise noch häufig genug!“

„Schwerlich, ich habe andere Pläne, die es mir nicht möglich machen, in Odensberg zu bleiben. Ich will eben heute mit Deinem Vater darüber sprechen.“

„Du bist eine beneidenswerthe Natur!“ sagte Erich mit einem Seufzer. „Immer vorwärts, immer aufwärts zu neuen Zielen, ohne Rast und Ruhe! Kaum ist eine Arbeit zu Ende, so hast Du schon wieder neue Entwürfe im Kopfe. Was sind denn das für Pläne?“

„Das wirst Du besser von Deinem Vater hören, jetzt bist Du doch nicht in der Stimmung dazu. Also – leb’ wohl, Erich!“ Er bot ihm mit mühsam unterdrückter Bewegung die Hand, die Erich unbefangen nahm.

„Aber nicht wahr, wir nehmen noch keinen Abschied voneinander? Du kehrst doch einstweilen nach Radefeld zurück?“

„Allerdings, allein ich verlasse es vielleicht schon in den nächsten Tagen, und wer weiß, wo ich mein Zelt aufgeschlagen habe, wenn Du im Frühjahr aus Italien zurückkommst.“

„Aber dann sehen wir uns doch noch bei meiner Hochzeit!“ warf Erich ein.

„Wenn es mir möglich ist –“

„Das muß Dir möglich sein, ich lasse Dich ohne dieses Versprechen nicht gehen. Dich will ich an diesem Tage nicht entbehren. Du kommst unter allen Umständen, Egbert, hörst Du? Und nun muß ich Dich wohl fortlassen, denn ich sehe, daß Dir schon wieder der Boden unter den Füßen brennt. Also auf Wiedersehen!“

„Ja – leb’ wohl, Erich!“

Es war ein heftiger, beinahe krampfhafter Druck, mit dem Runeck die Hand des Jugendfreundes preßte, dann wandte er sich rasch ab und verließ das Zimmer, als fürchtete er, zurückgehalten zu werden. Erst draußen auf dem Gang blieb er stehen und sagte leise mit einem tiefen Athemzug: „Das wäre überstanden! Er hat recht, es würde ihm den Tod geben. – Nein, Erich, Du sollst nicht sterben, nicht durch mich! Das will ich nicht auf mich nehmen!“

Dernburg befand sich wie gewöhnlich um diese Zeit in seinem Arbeitszimmer. Er sah ernst und sorgenvoll aus, während er dem Doktor Hagenbach zuhörte, der ihm gegenübersaß. Oskar von Wildenrod war gleichfalls anwesend; er lehnte mit verschränkten Armen am Fenster, ohne sich an dem Gespräche zu betheiligen, dem er gleichwohl mit gespannter Aufmerksamkeit folgte.

„Sie machen sich übertriebene Sorgen,“ sagte der Arzt in beruhigendem Tone, obgleich auch seine Miene nicht besonders zuversichtlich war. „Herr Erich leidet noch unter den Nachwirkungen unseres rauhen Frühjahres. Er hätte länger im Süden bleiben und noch eine Uebergangsstation wählen müssen; der jähe

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