Seite:Die Gartenlaube (1893) 178.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Da hast Du unser Gespräch wörtlich, Toni! Ich weiß freilich noch nicht, ob ich diesen Brief abschicke oder ihn in mein Tagebuch lege. Edwin hatte leichtes Spiel. Weshalb? Weil der wundeste Punkt eigentlich gar nicht berührt wurde. Ich weiß nicht, weshalb ich mich scheute, den Finger darauf zu legen. Aber ich scheute mich. Handelte es sich um irgend eine andere Dame ... Nein! auch jetzt will ich diese Gedankenreihe nicht zu Ende führen. Wer weiß, was da auf dem Wege steht? Aber sicher ist’s: ich habe die Partie verloren.

Hast Du bemerkt, daß er sich schließlich an seine „kluge“ Frau wendete? Das war ein Kunstgriff, den ich durchschaue. Er hält nämlich sonst von meiner Klugheit gar nicht viel. Ich habe mancherlei andere Eigenschaften, die ihm schätzbar sind, und dazu gehörte früher auch gerade eine gewisse durch das Temperament bedingte Unklugheit, die angeborene Neigung, nach Gefühlseindrücken zu urtheilen und zu handeln. Ich war ihm gern „der Mensch in seinem dunklen Drange“. Und nun? Er wollte mir eine Schmeichelei sagen und warf mir eine Unwahrheit ins Gesicht. Seine kluge Frau bin ich nicht, will ich nicht sein. Und wenn er seine unkluge Frau nicht mehr liebt, Toni, was fängt sie dann an, um sich vor Dummheiten zu bewahren? – – –




13.

Wie ich das Blatt auch drehe und wende, liebste Toni, es steht immer mit großen Buchstaben darauf geschrieben: der Mann hat seine Frau verleugnet. Und wenn alles richtig ist: daß es an sich keine gleichgültigere Sache geben kann als diese Wohlthätigkeitsvorstellung, daß mein Mann sich durch seine Betheiligung nicht das mindeste vergiebt, im Gegentheil in der Schätzung seiner angesehensten Mitbürget nur gewinnen kann, daß es in diesem Falle nur in der Ordnung war, wenn man sich an ihn wandte, daß ich sehr übereilt meine Abneigung zu erkennen gab und ihn dadurch in eine schwierige Lage brachte, daß meine Empfindlichkeit mich verleitete, das schlechteste Mittel zu seiner Beeinflussung zu wählen, daß er ... Gut! ich sage auch das: daß er Grund hatte, an eine eifersüchtige Grille seiner Frau zu glauben – es bleibt doch der schreckliche Satz stehen: der Mann hat seine Frau verleugnet. So muß es auch Hermia ansehen. Sie weiß ja, daß ich ihre Gegnerin bin, erräth, daß ich meinen Mann vergeblich fernzuhalten bemüht war. Sie triumphiert über mich!

Und das nicht nur einmal, sondern hundertmal. Wochenlang wird er ihr täglich seine Aufwartung machen, seine Verse vorlesen, seine Vorschläge unterbreiten, seine Begleitung zu Konferenzen und Proben anbieten müssen. Sie wird seine Dienste um so eifriger in Anspruch nehmen, je unzufriedener sie mich weiß. Sie wird alle Künste der Koketterie aufwenden, ihn bei guter Laune zu erhalten. Und ist sie ihm denn so ganz ungefährlich, die Frau „mit der wundervollen Büste“? Solange er und ich im besten Einvernehmen miteinander stehen – ja! Aber wir stehen nicht im besten Einvernehmen miteinander – gar nicht.

Und ich kann mich nicht überwinden, einen Strich zu ziehen und meine Niederlage zu vergessen. Ich hab’s versucht, Toni – es ist doch einmal geschehen und nicht zu ändern – aber ich kann’s beim besten Willen nicht. Beim besten Willen? Nein, den habe ich wahrscheinlich nicht, Dann doch: bei aller vernünftigen Einsicht. Ich bring’s nicht über mich, auch nur ruhig zu sein. Die Augen stehen mir immer voll Wasser, meine Hände bedeckt kalter Schweiß, mein Herz schlägt unregelmäßig. Ich habe keine Stetigkeit bei irgend einer häuslichen Beschäftigung, ich lasse in der Küche das Essen verderben, ich gehe aus und laufe an den Läden vorüber, in denen ich Einkäufe machen will. Wahrhaftig, ich befinde mich in einem jämmerlichen Zustande und bin doch nicht krank. Wenn sich die Thür öffnet, erschrecke ich, wenn die Schere auf die Erde fällt, fahre ich zusammen. Ich bin todmüde und kann nicht schlafen. Fallen mir die Augen zu, so träume ich das abscheulichste Zeug. Ich lese dreißig Seiten in einem interessanten Roman und weiß nicht, was in einer einzigen Zeile steht. Jeden Nerv fühle ich, als ob er gebrannt würde. Was kann ich dagegen thun? Und mein Mann –?

Mein Mann geht in seinem Zimmer auf und ab – ich höre jeden seiner langsamen Tritte – sucht die Reime zu den Versen für Frau Hermia und bleibt von Zeit zu Zeit an seinem Pulte stehen, sie mit Bleistift auf eine leere Briefseite zu schreiben. Das ist so seine Art. An mich zu denken hat er nicht Zeit.

Zum Verzweifeln. -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -0 -




14.

Ich bin mit mir einig, Toni: das halte ich nicht länger aus. Hast Du einmal in einer Scheune dreschen hören? Klipp – klipp klipp! Klipp – klipp klipp! immer dieselbe eintönige Melodie. So klippt’s in meinem armen Kopfe. Entweder – oder!

Entweder Edwin schreibt eine Absage, oder ... Ja, was? Da giebt’s mancherlei Möglichkeiten, und die zahmste ist noch, ich laufe davon.

Du wirst mich für gestört halten. Vielleicht bin ich’s auch. Ein solches Entweder ist gar nicht denkbar. Oder doch? Warum nicht? Wenn Edwin mich liebt – – !

Darauf kommt’s hinaus: wenn Edwin mich liebt. Der Schritt muß ihn ja eine Riesenüberwindung kosten. Aber um so stärker der Beweis seiner Liebe, um so untrüglicher! Er kann ein für allemal gelten. Giebt Edwin in diesem einen Falle nach, so zweifele ich nie mehr. Ich will ihm so dankbar sein! Ach Gott! ich weiß gar nicht, was ich für ihn thäte, wenn er ... wenn er sich nur dies eine Mal gegen mich schwach zeigte. Er sollte der glücklichste Mann unter der Sonne sein, wie ich die glücklichste Frau.

Und da ist’s ja nun, was ich ersehnt habe: die Gelegenheit für eine Kraftprobe der Liebe. Denke Dir ein Verhältniß von Mann und Frau ... welche zwei Menschen Du willst, auch für die stumpfsten wird die Stunde kommen, in der ausgemacht werden muß, was einer dem andern durch das ist, was sich als das Besondere dieser menschlichen Vereinigung darstellt. Meist wird es nur die Machtfrage sein, die zur Entscheidung drängt, ganz unten geradezu in einem körperlichen Ringen, höher hinauf mehr und mehr im Kampf mit geistigen Waffen. Wer ist dem andern überlegen? Hat sich dies einmal unzweifelhaft ergeben, so mag wohl in den meisten Fällen eine Beruhigung eintreten, die für die Dauer einen wohlthätigen Friedensstand herbeiführt. Der Mann ist der von Natur stärkere Theil. Der Kampf pflegt deshalb mit seinem Siege zu enden. Aber nothwendig ist das nicht: mitunter (und vielleicht öfter, als es den Anschein hat) beweist die Frau in einem entscheidenden Augenblick ihre Ueberlegenheit; der Mann erkennt sie stillschweigend an, und die Regel wird, daß er sich fügt. Auch so gelangt man zum Frieden.

Warum setze ich Dir das auseinander? Damit Du siehst, daß ich zu unterscheiden weiß. Du darfst mir nicht die Lächerlichkeit zutrauen, Liebste, mit Edwin um die Herrschaft kämpfen zu wollen. Ich gebe ohne weiteres zu: er ist der Stärkere, geistig Ueberlegene, ich habe mich zu fügen. Und ich thu’s gern, ich habe das Bedürfniß der Unterordnung. Was ich eine Kraftprobe der Liebe nenne, ist etwas ganz anderes. Bei jenem Streit um die Herrschaft zwischen zwei an sich Gleichberechtigten, die doch eine friedliche Gemeinschaft erstreben müssen, spricht das Gefühl der Liebe noch nicht mit. Es kann gar nicht vorhanden sein. Es kann aber auch sehr stark vorhanden sein, ohne für die Machtfrage den Ausschlag zu geben. Denke Dir es nun besonders stark bei dem sich fügenden Theile: was ist natürlicher, als daß er die Kraft der Neigung des Herrschenden erproben will! Das Herz muß Gewißheit haben. Und wie kann das Herz sie sich verschaffen, außer wenn es einmal wenigstens einzig und allein vom Herzen eine Entscheidung fordert: überlege nicht, prüfe nicht, rechne nicht, frage nicht nach den Folgen – thu’ mir das zu Liebe! Willst Du, so bin ich glücklich. Willst Du nicht, so weiß ich, was ich Dir gelte.

Habe ich mir da in einer schlaflosen Nacht künstlich etwas ausgeklügelt, Liebste? Es kann sein. Ich brauchte es zu meiner Rechtfertigung. Es liegt nun einmal in mir, daß ich von Trieben beherrscht werde und hinterher den vernünftigen Grund suche. Das Ursprüngliche und das Reflektierte wächst ineinander und läßt sich bald nicht mehr scheiden. Ich schreibe da nur eine Bemerkung nach, die Du selbst in einem Deiner letzten Briefe machst. Ich halte sie für treffend. Was nützt aber diese

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_178.jpg&oldid=- (Version vom 4.10.2022)