Seite:Die Gartenlaube (1893) 166.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

geworden? Ich fürchte, da ist ein anderer Einfluß thätig gewesen, den ich errathe.“

Dernburg runzelte die Stirn, die Hindeutung auf Wildenrod, die nur allzu verständlich war, verletzte ihn, aber er war gewohnt, den geraden Weg zu gehen. Weshalb auf Umwegen zu erfahren suchen, was er wissen wollte! Er blickte in das hübsche offene Gesicht des jungen Mannes, dann sagte er langsam: „Ich lasse mich nicht beeinflussen und es ist nicht meine Art, jemand ungehört zu verurtheilen, am wenigsten Sie, Viktor, den ich seit den frühsten Knabenjahren kenne. Da Sie die Sache selbst zur Sprache bringen, mag sie zwischen uns erörtert werden. Wollen Sie mir einige Fragen beantworten?“

„Ich bitte darum.“

„Sie sind Ihrer Heimath so lange fern geblieben und haben seit Jahren Eckardstein mit keinem Fuße betreten. Wie kommt das?“

„Das lag in persönlichen, in Familien-Verhältnissen –“

„Die Sie zu verschweigen wünschen – ich sehe es.“

„Nein Herr Dernburg, Ihnen will ich sie nicht verschweigen! – Mein Verhältniß zu meinem Bruder war nie ein besonders freundliches und seit dem Tode unseres Vaters ist es vollends peinlich geworden. Konrad ist der Aeltere, der Majoratsherr, ich bin auf ihn angewiesen und kann ohne seine Hilfe meine militärische Stellung nicht behaupten. Er hat mich das oft genug fühlen lassen und in einer so verletzenden Weise, daß ich es vorzog, ihm fern zu bleiben.“

Man sah es dem jungen Grafen an, daß diese Erklärung ihm schwer wurde, und doch sagte er seinem Zuhörer nichts Neues damit. Man wußte in der ganzen Nachbarschaft von der Spannung zwischen den beiden Brüdern, maß aber die Hauptschuld dem älteren bei. Der Majoratsherr, der zur Zeit noch unvermählt war und nur einige Jahre mehr zählte als Viktor, galt für hochmüthig und rücksichtslos, und sein Geiz war eine allbekannte Thatsache. Er war deshalb auch nichts weniger als beliebt. Dernburg wußte das gleichfalls, berührte es aber mit keiner Silbe, sondern fragte nur: „Und doch sind Sie jetzt gekommen?“

„Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch meines Bruders.“

„Der ganz bestimmte Pläne mit Ihnen hat!“

Viktor stutzte, und eine dunkle Röthe begann langsam in seinem Gesichte aufzusteigen. Dernburg betrachtete ihn scharf und forschend, während er fortfuhr: „Sie errathen ohne Zweifel, was ich meine. Ich will ganz offen gegen Sie sein, erwarte dann aber auch eine ebenso offene Antwort. Es heißt, Sie seien von dem Grafen Konrad nach Eckardstein berufen worden, um Ihre einstigen Beziehungen zu Odensberg zu – verwerthen.“

Viktor zuckte bei dem verletzenden Worte zusammen. „Herr Dernburg!“

„Viktor, ich frage Sie, ist dem so?“

Die Augen des jungen Mannes senkten sich in peinlicher Verlegenheit. „Sie stellen die Frage in einer Weise –“

„Die kein Ausweichen zuläßt. Also Ja oder Nein!“

„Sie scheinen meine Werbung als eine Beleidigung aufzufassen,“ sagte Viktor, ohne den Blick vom Boden zu heben. „Mein Gott, ist es denn ein so schweres Vergehen, wenn man mit solchen Gedanken an die einstigen Jugendbeziehungen herantritt? Nun ja, ich kam hierher, um ein Glück zu erringen, das schon den Träumen meiner Jugend als lockende Zukunft vorschwebte. Was ist dabei Böses? Sie hätten in meinen Jahren vielleicht dasselbe gethan.“

„Aber nicht auf Befehl eines anderen!“ sagte Dernburg schneidend. „Und ich hatte bei meiner Werbung jedenfalls ein anderes Los zu bieten als Sie, Herr Lieutenant.“

Der junge Graf wollte auffahren, mühsam bezwang er sich, aber seine Stimme bebte, als er antwortete: „Sie lassen es mich sehr bitter empfinden, daß ich arm bin.“

„Das thue ich nicht, denn die Armuth ist in meinen Augen kein Vorwurf. Sie theilen nur das Los der jüngeren Söhne in den Familien, deren ganzes Vermögen im Majorate liegt. Aber man sagt, Ihr Bruder habe noch andere dringendere Gründe, Ihnen eine sogenannte gute Partie anzurathen. Das verletzt Sie, Herr Graf, es thut mir leid, aber Sie haben diese Unterredung herbeigeführt, nicht ich.“

„Also auch das hat man Ihnen hinterbracht, und Sie deuten es nun in der schmählichsten Weise,“ sagte Viktor bitter. „Wenn ich leichtsinnig gewesen bin, so hat es mich mein Bruder schon hinreichend büßen lassen, und ich büße es zehnfach in diesem Augenblick. Nun ja, ich habe mich von Schulden nicht frei gehalten, nicht frei halten können bei den geringen Mitteln, die mir zu Gebote standen. Es wäre für Konrad ein Leichtes gewesen, mich von meinen Verpflichtungen los zu machen, er that es nicht, stellte mich sogar vor die Möglichkeit, meinen Abschied nehmen zu müssen, und da –“

„Da gingen Sie auf seinen Vorschlag ein!“ Die Stimme Dernburgs hatte einen herben verächtlichen Klang. „Ich begreife das vollkommen, aber Sie werden es Ihrerseits begreifen, daß ich meine Tochter zu einer solchen – Finanzoperation nicht hergeben will.“

In dem Gesicht des jungen Mannes wechselten Röthe und Blässe, bei dem letzten Worte aber fuhr er mit einem halbunterdrückten Schrei auf und ballte drohend die Hand gegen den Aelteren, der ihn fest ansah.

„Was soll das, Graf Eckardstein? Wollen Sie mich vielleicht fordern, weil ich mich unterfange, Ihnen zu sagen, wie ich von der Sache denke? Ein Mann in meinen Jahren und meiner Stellung geht auf dergleichen Thorheiten nicht ein.“

Viktor ließ die Hand sinken und trat zurück.

„Herr Dernburg, Sie sind mir lange Jahre hindurch ein väterlicher Freund, Odensberg ist mir eine zweite Heimath gewesen, und Sie sind der Vater Majas, die ich –“

„Die Sie lieben,“ ergänzte Dernburg mit bitterem Spott. „Das wollten Sie ja wohl sagen.“

„Ja, die ich liebe!“ rief Viktor, sich emporrichtend, und sein Auge begegnete klar und offen dem des gereizten Mannes. „Das ist mir klar geworden in der Minute, wo ich das Kind, das noch in meiner Erinnerung lebte, als erblühendes Mädchen wiedersah. Nach Ihren Worten bleibt mir nur übrig, Ihr Haus zu verlassen und es nicht wieder zu betreten, aber ich fordere bei diesem Abschiede wenigstens Ihren Glauben an die Wahrheit meiner Gefühle für Maja – wenn sie mir auch verloren ist.“

Es lag ein wahrer Schmerz, ein echter Herzenston in den letzten Worten, die einen anderen als Dernburg wohl überzeugt hätten. Allein der ernste strenge Mann da am Schreibtische hatte nie den Leichtsinn der Jugend gekannt und verstand es nicht, mit ihren Fehlern zu rechnen. Vielleicht war auch er in diesem Augenblick überzeugt, aber er verzieh es nicht, daß man bei einer Werbung um die Hand seines Lieblings gerechnet hatte.

„Ich bin nicht befugt, Ihre Gefühle zu beurtheilen, Herr Graf,“ sagte er mit eisiger Ablehnung, „jedoch ich begreife es, daß Sie nach dieser Unterredung Odensberg meiden. Es thut mir leid, daß wir so scheiden müssen, indessen, wie die Verhältnisse liegen, läßt es sich nicht ändern.“

Viktor erwiderte keine Silbe, er verneigte sich stumm und ging. Dernburg sah ihm finster nach.

„Auch der!“ murmelte er halblaut. „Der ehrliche offene Junge, der früher nie eine Berechnung gekannt hat! Geht denn alles zu Grunde bei dieser wilden Jagd nach dem Reichthum, den sie Glück nennen!“ –

Am Fuß der große Treppe, die in das obere Stockwerk führte, standen Wildenrod und Erich im Gespräch. Der erstere war soeben aus dem Park gekommen und traf hier mit seinem Schwager zusammen, der ihm sein Herz ausschüttete.

„Ich fürchte, Cäcilie ist ernstlich unwohl,“ sagte er erregt. „Sie klagt über heftige Kopfschmerzen und sieht erschreckend bleich aus, hat mir aber aufs bestimmteste verboten, Hagenbach rufen zu lassen. Sie behauptet, ein paar Stunden ungestörter Ruhe würden sie am schnellsten herstellen. Ich sah sie nur einige Minuten bei ihrer Ankunft und habe nicht erfahren können, wo sie eigentlich gewesen ist, sie schweigt hartnäckig darüber.“

Oskar lächelte und zuckte die Achseln. „Und darüber bist Du nun ganz außer Dir? Ich sagte es Dir schon vorhin, Du mußt mit dem Eigensinn unserer kleinen verwöhnten Prinzessin rechnen. Wenn Cilly übler Laune ist, legt sie sich auf das Sofa und schmollt mit aller Welt, sie hält es jedoch zum Glück nicht lange aus, ich kenne das. Dein Vater meint freilich, Du müßtest ihr die Launen abgewöhnen, aber dazu bist Du der Mann nicht, mein guter Erich. Es wird Dir also wohl nichts anderes übrig bleiben, als Dich in christliche Geduld zu fassen und schon jetzt Vorstudien zu machen für den musterhaften Ehemann, der Du ohne Zweifel werden wirst.“

Erich sah ihn verwundert an. „Was hast Du denn, Oskar?

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_166.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)