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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

er gedroht hatte, so war dem andern nicht nur dieses eine Mal ein Tort geschehen, sondern ein Prinzip konnte als entschieden gelten. Sein Prinzip oder mein Prinzip. Das war in der Wirkung ungefähr dasselbe.

Es wäre mir sehr lieb, in diesem Augenblick Deine Meinung zu wissen – nicht ob ich recht habe, das versteht sich von selbst, sondern ob ich klug daran thue, recht behalten zu wollen. Ich habe recht, die gesellschaftliche Lüge, die Edwin mir zumutet, garstig zu finden. Es ist doch jedenfalls der höhere Standpunkt, auf dem ich stehe. Welchen Grund habe ich, mich der Frau unterzuordnen, die ich – sagen wir auch nur: nicht achten kann? Es ist nicht richtig, daß es sich um eine bloße Höflichkeit handelt, in diesem Falle nicht. Sie hat mich längst durchschaut, fühlt sich von mir genau so abgestoßen wie ich mich von ihr. Dieser Glückwunsch ist nichts Gleichgültiges. Ich spreche nicht die üblichen Worte bedeutungslos hin. Sie sind vergiftet, und das Gift bleibt mir im Munde. Bin ich diesmal schwach, so richte ich mich nie mehr auf. Und schließlich: warum soll ich nicht meiner Abneigung ebenso folgen dürfen wie meiner Neigung? Aber ich verkenne gar nicht, daß ich Edwin in Verlegenheit bringe. Für ihn liegt die Sache doch anders. Er erfüllt nur eine Anstandspflicht. (Du darfst wirklich überzeugt sein, Toni, daß ich nicht eifersüchtig bin.) Kann er fortbleiben? Ich habe gesagt: ja. Aber ich glaube beinahe, ich könnte es nicht verantworten, ihn zurückzuhalten. Und wenn er doch gehen muß, darf er ohne mich gehen? Ich weiß nicht, was mir lieber wäre: wenn er ohne mich nicht ginge oder wenn er ohne mich ginge. Und eins von beiden geschieht unfehlbar. Denn daß ich gehe – nein, das ist schon deshalb unmöglich, weil ich’s ihm mit solcher Entschiedenheit abgeschlagen habe. Ich kann nicht zurück.

Ach, eine solche Lappalie! Es ist zum Weinen. Und da gehen nun zwei Menschen, die sich von Herzen gut sind, nebeneinander hin, als ob sie aus Pappe gemalt wären, schneiden Gesichter, blicken krumm herum, sprechen kein Wort und würgen bei Tisch den Bissen herunter. Zum Unglück hat jeder sein Zimmer, und jedes Zimmer hat seine Ausgangsthür. Brrrr!

Eigentlich ist’s ungeheuer lächerlich, wenn Liebesleute miteinander schmollen. Wenn sie sich selbst beobachten könnten, wie sie sich so erstaunliche Mühe geben, recht garstig zu sein und doch am liebsten ...

Diesen Satz schreibe ich nicht zu Ende. Du könntest Dir sonst einreden, daß ich schon schwach werde, Es geht diesmal wirklich nicht.




9.

Ich bin gestern nicht gegangen.

Edwin wartete bis zum letzten Augenblick, daß ich meinen Entschluß ändern würde – ich glaube, über den letzten hinaus, denn es war für eine Visite schon sehr spät geworden. Ich hielt tapfer stand.

Wenn er mir noch einmal gut zugeredet hätte, vielleicht ... Aber doch nur vielleicht. Das merkte er, und deshalb schwieg er. Nun konnte ich doch jedenfalls nicht so inkonsequent sein.

Und dann nahm er den schwarzen Hut und die weißen Handschuhe und – ging. Er ging wirklich – ohne mich. Er sah nicht ärgerlich oder erzürnt aus, aber sehr ernst. Ich habe ihn noch nie so fürchterlich ernst gesehen.

Als er fort war ... ich hätte mir ein Leid anthun mögen, so böse war ich auf mich. Und weshalb? Es wäre doch nicht zu ändern gewesen. Ich hatte die Empfindung, als wäre etwas zerrissen oder zerbrochen, woran ich meine Freude gehabt, und es würde sich nie mehr ganz wie früher herstellen lassen. Ich warf mich aufs Sofa und weinte wie ein Kind. Ja, wie ein Kind! Ist es nicht kindisch, sich um ein rechtes Nichts so schwere Gedanken zu machen?

Daß er zur Gratulation gegangen war, fand ich nun ganz in der Ordnung. Ich hätte allen Respekt vor ihm verloren, wenn er sich durch mein Schmollen vom Wege hätte ablenken lassen. Er mußte fest bleiben. So ein rechtes Nichts war es doch gar nicht. Ach ...! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mir zu Muthe war. Wenn er zurückkäme, wollte ich mich an seine Brust werfen und ihm gestehen ... Ich wußte selbst noch nicht, was; aber es würde wieder alles in Ordnung bringen.

Er blieb sehr lange aus. Und dann ließ er mir sagen, er sei zu Mittag eingeladen worden, und ich möchte nicht auf ihn warten.

Das brachte mich mit einem kräftigen Rucke wieder ganz zu mir selbst. Wofür hatte ich Verzeihung zu erbitten? Nein! Jetzt hatte ich sicher Grund, zu zürnen. Sollte das meine Strafe sein? Strafe! Straft man seine Frau? Eine solche Lieblosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Der Abend war sehr verdrießlich. Ich spreche lieber von ihm gar nicht.

Und was geschah heute? Setze Dich fest auf den Stuhl, Liebste! Frau Hermia ließ sich bei mir melden, als mein Mann auf der Redaktion war, und – kam, um sich teilnehmend nach meiner Gesundheit zu erkundigen. Edwin hatte mein Ausbleiben gestern mit Unwohlsein entschuldigt. Nichts Ernstliches – sonst wäre er ja nicht zu Mittag geblieben, aber doch Unwohlsein. Und sie, obgleich sie sicher keinen Augenblick zweifelte, daß es sich nur um einen Vorwand handelte, um die landläufigste Ausrede, fand es für sich vortheilhaft, die Gläubige zu spielen, um meinem Ausbleiben die von mir beabsichtigte Bedeutung zu nehmen.

Ich war nun also wirklich unwohl gewesen und deshalb nicht gekommen. Wie sie das bedauerte! Es hätte so hübsch bei ihr ausgesehen – die ganze Wohnung ein Blumengarten. Und das Diner habe einen so munteren Verlauf genommen, Alle die Trinksprüche! Mein Mann hätte sogar Verse improvisiert, die er ihr durchaus aufschreiben müsse. Ich kam gar nicht zu Wort. Und was hätte ich auch sagen können? Daß Edwin die Unwahrheit gesagt habe, daß er selbst gegen meinen Wunsch und Willen der höfliche Mann gewesen sei? Unmöglich! Das hätte mich vollends bloßgestellt, einen Abgrund zwischen mir und meinem Manne aufgedeckt! Es blieb mir nichts übrig, als weltklug zu verfahren und meine Rolle in der Komödie zu übernehmen, wie sie mir aufgezwungen wurde. Ich mußte noch dankbar sein für den liebenswürdigen und gütigen Krankenbesuch. Ach! Ich könnte ...

Liebste Toni, ich fange an einzusehen, daß ich mich auch Dir gegenüber auf eine abschüssige Bahn begeben habe. Was ich Dir bisher schrieb (soweit ich mich erinnere), war alles ganz unschuldiger Natur. Diese Stürme im Glase Wasser konnten Dir nicht bedrohlich scheinen – Dir so wenig als mir. Die kleinen Geheimnisse, die ich Dir verrieth, waren nicht des ängstlichen Hütens werth. Und nun plötzlich wird’s Ernst – und ich weiß nicht, ob ich noch aufrichtig sein darf. Wenn ich’s aber nicht bin, wirst Du’s sogleich merken und Dir wahrscheinlich allzu schwarze Gedanken machen. Ich bin in einer üblen Lage. Das Beste ist, ich sage Dir alles. Es ordnet sich mir selbst auch schon dadurch, daß ich mich nöthige, niederzuschreiben, was mich bewegt, meinem unklaren Gefühl eine sichere Deutung zu geben. Du bist ja auch verschwiegen wie das Grab!

Und am Ende, was ist’s denn auch? Eine Meinungsverschiedenheit, wie sie in der glücklichsten Ehe mitunter unvermeidlich ist. Ich weiß den Werth von Kompromissen zu schätzen, unter Umständen kann doch aber auch ein kleiner Krach wohlthätige Folgen haben. Ob in diesem Falle, das hat sich noch nicht klargestellt.

Natürlich war’s mit meiner Geduld aus. Von stummem Schmollen konnte nicht weiter die Rede sein. Als Edwin nach Hause kam, überhäufte ich ihn mit Vorwürfen – ich glaube, in allzu leidenschaftlicher Weise. Aber die improvisierten Verse gingen mir denn doch über den Spaß. Ich hoffte vergebens, ihn aus seiner empörenden Ruhe zu bringen. „Liebes Kind,“ antwortete er (liebes Kind!!), „was willst Du? Ich konnte Dich zu meinem größten Bedauern nicht hindern, thöricht zu handeln. Es war nun meine Pflicht, die üblen Folgen davon nach Möglichkeit einzuschränken. Es gab für mich gar keinen anderen Ausweg, als den, den ich wählte. Bei kaltem Blute wirst Du das anerkennen.“

„So?“ rief ich empört, „Du hältst es für Deine Pflicht, mir einen Zwang aufzulegen? Du glaubst Dich berechtigt, meinem moralischen Empfinden Gewalt anzuthun? Wenn ich nun brechen wollte mit dieser Frau, die mir verhaßt ist! Du bringst mich in die Lage, heucheln zu müssen, sie als meinen Gast mit Artigkeit zu behandeln. Aeußerlich ist zwischen ihr und mir nun wieder alles beim Alten, und nur unser häuslicher Friede hat gelitten – recht unnütz gelitten ...“ Ich schluchzte heftig.

„Das ist richtig,“ sagte er, „recht unnütz. Und ich gebe zu, daß dergleichen Störungen sich nicht ohne ernstlichen Schaden wiederholen dürfen. Es bleibt immer etwas hängen. So lieb ich Dich habe, in Deine Thorheiten werde ich mich nie verlieben, und ich hoffe, Dir deshalb um so achtenswerther zu erscheinen.“

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