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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Von allen Theilnehmern an den geistigen Kämpfen jener Zeit leben heute nur noch drei: der 89jährige ehemalige Drechsler Daniel Hirtz, der bald 84 Jahre alte Korbwarenfabrikant Christian Hackenschmidt und der ein Jahr ältere Rentner Alphons Pick. Der bedeutendste derselben ist Daniel Hirtz.


1.

Daniel Hirtz schrieb mir im Jahre 1888:

„Obgleich der ehemalige, bald fünfundachtzigjährige Drechslermeister keineswegs Anspruch macht, zu den berühmten Männern Straßburgs gezählt zu werden, so will ich doch die von Ihnen gewünschte Unterredung willig und gern gewähren. Das Beste wäre vielleicht, Sie würden sich zu mir bemühen in mein stilles und gemüthliches Urgroßvaterstübchen im Versorgungshause der Diakonissenanstalt. Da können wir ungestört eines Abends mitsammen plaudern.

Christian Hackenschmidt.   Daniel Hirtz.   Alphons Pick.
Die drei letzten Meistersänger von Straßburg.

Seit jener Zeit bin ich sehr oft im „Urgroßvaterstübchen“ gewesen, und gar viele unterhaltende Stündchen habe ich bei dem würdigen Greise verlebt. Ich will versuchen, nach des Dichters eigenen Worten seinen Lebensgang zu schildern.

Am 2. Februar 1804 wurde Daniel Hirtz als Sohn eines Drechslermeisters in der Langestraße in Straßburg geboren. Nach dem Besuche des protestantischen Gymnasiums trat er bei seinem Vater in die Lehre, und im Jahre 1823 unternahm er zu Fuß, als wohlbestallter Drechslergeselle, seine Wanderung durch Deutschland und Frankreich, genau nach damaligem Handwerksbrauch, nur daß er einen wohlgespickten Beutel Geld mit auf den Weg nehmen konnte und das „Gott grüß die Kunst“ nicht im Sinne der meisten „auf der Walz“ befindlichen Gesellen zu benutzen brauchte. Gar manches Erlebniß weiß der Dichter in seinem Werke „Des Drechslers Wanderschaft“ aus jener Zeit zu berichten. Ein solches mag auch hier Aufnahme finden.

Hirtz war mit einem Wittenberger Drechstergesellen nach Harburg gekommen und beide hatten in einem Bauernhause Nachtquartier gefunden. Nun erzählt er:

„Unser Nachtlager ward in der nahen Nachbarschaft der friedlichen Rinder bereitet, deren Aufenthalt eine gemäßigte Wärme entströmte, die uns in der rauhen Märznacht nicht zu verachten schien. Wir legten, wie gewöhnlich, die Felleisen als Kopfkissen unter und streckten bald die müden Glieder auf dem raschelnden Bette aus. Nach kurzer Zeit herrschte die tiefste Stille im ganzen hannoverischen Bauernhause; der Schlaf hatte sich auf alle seine Bewohner erquickend niedergesenkt, und schnell wurden die ersten Stunden der Nacht verträumt.

Ich lag im besten Schlummer, als der neben mir ruhende Wittenberger mich mit dem Ellbogen anstieß und ziemlich ängstlich frug:

‚Straßburger, hörst Du nichts?‘

‚Was giebt es denn?‘ entgegnete ich gähnend und richtete mich schlaftrunken auf.

‚Höre nur, wie es da so sonderbar schnaubt,‘ meinte mein Nachbar, ‚es kommt mir ganz unheimlich vor!‘

Jetzt vernahm ich das geisterhafte Schnauben auch und verspürte einen warmen Lufthauch, der meine Wange leise überstrich, zugleich raschelte auch etwas an unserm Stroh herum und zog es uns unterm Leibe weg.

Im ersten Augenblick des Erwachens dachte ich nicht gleich an den Ort, an welchem wir uns befanden, und griff mit der rechten Hand rings um mich herum. Plötzlich kam meine Hand an einen rauhen haarigen Gegenstand; betroffen fuhr ich in die Höhe und erfaßte ein spitziges Ochaenhorn, wodurch mir unsere Lage aufgeklärt wurde.

‚Das Rindvieh frißt uns das Bett weg!‘ rief ich und war schnell auf den Beinen. ‚Wittenberger, steh auf!‘“ –

In Berlin arbeitete Hirtz bei dem Meister Engel und half die Möbel drechseln, welche für den Haushalt des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. und der Prinzessin Elisabeth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_157.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)