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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Freie Bahn!
Roman von E. Werner.
(9. Fortsetzung.)


Auf der Terrasse des Odensberger Herrenhauses gingen Eberhard Dernburg und Oskar von Wildenrod im Gespräch auf und nieder. Sie hatten sich in eine politische Erörterung vertieft, die von seiten des älteren Herrn mit Lebhaftigkeit geführt wurde, während der jüngere sich ganz gegen seine Gewohnheiten schweigsam und zerstreut zeigte. Sein Blick flog bisweilen hinüber zu dem großen Rasenplatz, wo Maja und Graf Viktor von Eckardstein Croquet spielten.

„Es wird voraussichtlich in dieser Sitzung des Reichstags heiße Kämpfe geben,“ sagte Dernburg soeben. „Die Einberufung soll sofort nach den Wahlen erfolgen, und ich werde mich wohl darauf gefaßt machen müssen, den größten Theil des Winters meinem Mandat zu opfern.“

„Sie rechnen also mit Bestimmtheit auf Ihre Wiederwahl?“ fragte Wildenrod.

„Allerdings!“ Dernburg sah ihn befremdet an. „Ich vertrete seit zwanzig Jahren meinen Wahlkreis, und die Odensberger Stimmen allein genügen, um mir die Wahl zu sichern.“

„Eben deshalb fragte ich. Sind Sie dieser Stimmen auch wirklich gewiß? Es ist in den letzten drei Jahren vieles anders geworden.“

„Bei mir nicht,“ sagte Dernburg ruhig. „Ich und meine Arbeiter – wir kennen einander seit Jahrzehnten. Ich weiß zwar, daß auch hier allerlei Einflüsterungen und Aufreizungen stattfinden, davor kann ich Odensberg mit all meiner Macht nicht schützen; diese Einflüsterungen mögen auch hier und da bei einzelnen Gehör finden, die Masse meiner Leute aber steht fest zu mir.“

„Wir wollen es hoffen!“ Es klang ein leiser Zweifel in der Stimme des Freiherrn, der sich trotz seines kurzen Aufenthaltes doch schon mit den Verhältnissen vollkommen vertraut zeigte. „Die Sozialdemokraten in der Umgegend sind diesmal ungemein rührig, überall wird gepredigt, gehetzt, geschürt; und man hat schon in manchem Wahlkreise, der für unbedingt sicher galt, unliebsame Ueberraschungen erlebt.“

„Aber hier stehe ich – und ich glaube, den Herren denn doch noch einigermaßen gewachsen zu sein,“ sagte Dernburg mit der ruhigen Ueberzeugung eines Mannes, der sich in seiner Machtstellung unerschütterlich weiß. Wildenrod war im Begriff, zu antworten, da schallte helles Lachen vom Rasenplatz herüber, und sofort richtete sich sein Auge dorthin.

Sie boten ein anmuthiges Bild, die beiden schlanken jugendlichen Gestalten dort drüben mit den geschmeidigen Bewegungen, mit den vor Eifer und Aufregung glühenden Wangen. Jedes suchte dem anderen den Rang abzulaufen, triumphierte, wenn dem Gegner ein Wurf mißlang, und dazwischen jagten und neckten sie sich mit lustigem Uebermuth wie ein paar Kinder.

Dernburgs Auge war der Richtung gefolgt, die der Blick seines Begleiters genommen, und über seine ernsten Züge flog ein Lächeln. „Die ausgelassenen Kinder! Meiner kleinen Maja mit ihren sechzehn Jahren kann man den Uebermuth allenfalls noch hingehen lassen, aber der Herr Lieutenant vergißt bisweilen ganz, daß er kein Knabe mehr ist.“

„Ich fürchte, Graf Eckardstein wird überhaupt nie den Ernst des Mannes kennenlernen,“ sagte Wildenrod kühl. „Er ist eine liebenswürdige, aber wohl auch sehr oberflächliche Natur.“

„Da thun Sie ihm unrecht! Viktor ist ein Leichtfuß – leider – und hat seinen Eltern manche Sorge gemacht mit allerlei tollen Jugendstreichen; auch Odensberg weiß davon zu erzählen. Doch das Herz hatte er immer auf dem rechten Fleck, Er ist kein Genie, aber offen und ehrlich und begabt genug, um dereinst einen tüchtigen Offizier abzugeben“

„Um so besser,“ warf der Freiherr hin. „Für den Grafen und – für Maja.“

Dernburg wandte sich um und sah ihn fragend an. „Für Maja? Wie meinen Sie das?“

„Das bedarf wohl kaum der Erklärung, Graf Eckardstein zeigt seine Wünsche und Absichten deutlich genug, und ich bin überzeugt, daß es ihn nicht die geringste Ueberwindung gekostet hat, dem Plan seines Bruders zuzustimmen.“

„Welchem Plan?“ Zwischen den Brauen Dernburgs erschien eine Falte, als er die Frage that, Wildenrod zuckte leicht die Achseln.

„Nun, der junge Graf scheint ziemlich leichtsinnig zu sein. Sie geben ja selbst zu, daß er das von jeher gewesen ist, und er hängt gänzlich von seinem Bruder, dem Majoratsherrn, ab. Daß ein junger lebenslustiger Offizier Schulden macht, ist am Ende natürlich, aber hier muß es das zulässige Maß überschritten haben, wenigstens nach der Ansicht des Grafen Konrad. Es soll da zu heftigen Auftritten gekommen sein, und man kann es dem Majoratsherrn wirklich nicht verdenken, wenn er ein Gewaltmittel für seinen leichtsinnigen Bruder in Aussicht nimmt.“

„Und dies Mittel wäre?“

„Eine reiche Heirath! Es heißt, der junge Graf sei auf Wunsch oder Befehl seines Bruders gekommen, um die Beziehungen zu Odensberg wieder aufzunehmen, zu einem Zwecke, der sich leicht errathen läßt. Sie wundern sich, daß ich so genau darüber unterrichtet bin? Ein Zufall! Ich hörte kürzlich, als wir nach Eckardstein geladen waren, das Gespräch zweier Herren, die wohl keine Ahnung hatten, daß ich mich im Nebenzimmer befand, sonst hätten sie diese Dinge nicht so ausführlich erörtert. Sie schienen die Verbindung bereits als feststehende Thatsache anzunehmen.“

Dernburgs Stirn hatte sich bei der Erzählung tiefer und tiefer gefurcht, aber seine Stimme behielt den gewohnten Klang, als er erwiderte: „Bei einer solchen ‚Thatsache‘ hätte doch wohl ich das letzte Wort zu sprechen, denn Maja ist noch ein halbes Kind und viel zu jung, als daß eine Heirath jetzt schon in Frage kommen könnte. – Nun Erich, da bist Du ja! Hat sich Cäcilie immer noch nicht blicken lassen?“

Erich, der zu ihnen trat, sah erregt und besorgt aus. „Nein, noch immer nicht!“ antwortete er hastig. „Ich war in den Ställen drüben, um nachzufragen aber niemand weiß, wohin sie gefahren ist. Sie hat den kleinen Ponywagen anspannen lassen, schon in aller Frühe, als das ganze Haus noch schlief, und nur den Bertram mitgenommen. Ich begreife das wirklich nicht.“

„Es wird eine ihrer Launen sein,“ warf Oskar hin, „Cilly ist eben unberechenbar in ihren Einfällen, daran wirst Du Dich gewöhnen müssen, lieber Schwager.“

„Ich glaube, Erich thäte besser, seiner künftigen Frau diese Unberechenbarkeit abzugewöhnen,“ sagte Dernburg mit einiger Schärfe. „Diese Eigenschaft trägt nicht gerade zum Glück einer Ehe bei.“

Der arme Erich sah nicht aus, als ob er die Macht oder auch nur den Willen hätte, seiner Braut irgend etwas abzugewöhnen. Wildenrod aber fiel rasch und beschwichtigend ein: „Vielleicht steckt eine Neckerei dahinter. Ich wette darauf, daß Cäcilie es bei dieser geheimnißvollen Fahrt auf eine Ueberraschung abgesehen hat.“

Das Spiel auf dem Rasenplatze hatte inzwischen seinen Fortgang genommen, jetzt schien ein Streit auszubrechen, der jedoch von beiden Seiten mit offenbarem Vergnügen geführt wurde und schließlich mit einer Versöhnung und einem hellen Gelächter endete. Dernburg blickte aufs neue hinüber, aber diesmal ohne Lächeln; er rief ungeduldig: „Ich dächte, Maja, es wäre nun Zeit, aufzuhören. Komm zu mir, mein Kind!“

Maja gehorchte, sie kam, noch ganz erhitzt von dem Spiel, und Viktor Eckardstein folgte ihr auf dem Fuße.

„Ich habe Ihnen im Namen meines Bruders eine Bitte vorzutragen, Herr Dernburg,“ sagte der Lieutenant in seiner heiteren offenen Weise. „Konrad feiert am Mittwoch seinen Geburtstag – es wird nur ein kleiner Kreis von Gästen da sein, allein die Odensberger Herrschaften sollen selbstverständlich nicht darin fehlen. Wir dürfen doch auf Ihre Gegenwart rechnen?“ Die Bitte wurde in einem Ton ausgesprochen, als sei jeder Zweifel an ihrer Gewährung ausgeschlossen, jedoch die Antwort lautete sehr kühl:

„Es thut mir leid, Herr Graf, Wir erwarten am Mittwoch Gäste aus der Stadt und müssen selbst die Pflicht der Wirthe üben.“

„Gäste? Wen denn, Papa?“ fragte Maja neugierig und verwundert. „Ich habe ja noch kein Wort davon gehört.“

„So hörst Du es jetzt. Jedenfalls bedauern wir, die Einladung nicht annehmen zu können.“

Die Erklärung wurde mit einer Bestimmtheit gegeben, die jede weitere Erörterung ausschloß. Viktor schwieg, aber der ungewohnt

kühle Ton fiel ihm ebenso auf wie die Anrede mit „Herr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_150.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)