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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Fort in die Ferne fühlte sie sich getrieben, durch Wandern und Kämpfen den Schmerz zu betäuben, Vergessen und Frieden zu finden! –

„He kümmt!“

Dieser Ausruf, den Trina hochrothen Gesichtes in die Stube hereinbrüllte, um dann sofort wieder zu verschwinden, platzte wie eine Bombe in die stille Gesellschaft.

„He kümmt!“ – Wer kommt? Verblüfft schauten sich die drei Menschen an. Herr Jaspersen wollte gerade ärgerlich aufspringen und die Enteilende festhalten, als eine Erscheinung in den Rahmen der Thür trat, welche genügende Aufklärung brachte, aber gleichzeitig die Ueberraschung verstärkte. Da stand der, an den die Drei jeden Tag gedacht, in blitzender Uniform, in feierlicher Haltung und streckte Hilde wortlos die ausgebreiteten Arme entgegen. Und von einer Ahnung ihres Glückes durchzuckt, vermochte sie sich nicht zu halten – mit einem Ausruf der Erlösung, der Seligkeit flog sie ihm entgegen und hing an seinem Halse.

So hielten sie einander fest umschlungen, während die Eltern, noch immer wortlos, aber offenbar ohne die geringste Absicht, Einsprache zu thun, daneben standen.

„Vater! Liebe Mutter!“

Herbert umarmte das Paar, als ob in denkbar klarster Weise alles zwischen ihnen geordnet wäre. Und doch war noch kein Wort der Erklärung gegeben! Nun, das fliegende Berichten des Geschehenen kam rasch genug hinterher und riß im Nu die Schranken nieder, die sich seither jeder guten Wendung entgegengethürmt hatten.

An diesem Abend erhob sich in dem von tödlichem Banne befreiten Schulhaus ein Gläserklingen ohn’ Ende, an dem auch Frettwurst, durch Trina kurzer Hand für einige Zeit als Schiffswache abgelöst, reichlichen Antheil nahm. Trinkspruch folgte auf Trinkspruch, und mit besonderer Begeisterung ward der des Lehrers auf den Prinzen August und seine Gemahlin angenommen, die eine so liebenswürdige Vermittlerin und Spionin gewesen.

„Und Papa,“ rief Hilde fröhlich, „das Vielliebchen wollen wir auch nicht vergessen. Hoch lebe der alte Brauch, der Prinzessinnen bezwingt und Glückliche schafft!“

„Ja, Kinder, der hübsche Brauch soll leben! Doch wißt Ihr, was Euer Glück vor allem geschaffen hat?“

„Unsere Liebe, Papa!“

„Gewiß, auch sie. Aber die tiefere Ursache liegt in Euerem Charakter. Ihr gehört beide zu den Menschen, die ihren Stolz darein setzen, dem Schicksal nichts schuldig zu bleiben, die, wo sie nehmen dürfen, auch vollwichtig geben wollen, Darum ist mir auch um Euere Zukunft nicht bange, Noch finden würdige Menschen überall ihren Platz. Selbst wenn Ihr zunächst nicht die Verschickung in eine andere Garnison zu erwarten hättet – durch eigene Kraft, nicht durch die Sonne fürstlicher Huld, würdet Ihr Euch Euere Stellung im fest geschlossenen Kreise auch hier sichern, in der Nähe Euerer Eltern, der einfachen Schulmeistersleute!“

*      *      *

Längst ist der Konsens in Gnaden bewilligt worden, längst hat die Hochzeit stattgefunden.

Und der Schulmeister hat recht behalten. Frau Hilde erfreut sich heute einer Stellung in den Marinekreisn, die nichts zu wünschen übrig läßt, trotzdem ihr Mann längst wieder nach der alten Station zurückversetzt ist und mit den anspruchslosen Eltern ein eifriger Verkehr gepflegt wird. Am glücklichsten sind über diesen die Kinder. Wenn Papa die „Bachstelze“ klar machen läßt, um mit ihnen zu den Großeltern hinüberzusegeln, ist es jedesmal ein Festtag für sie. Unter der Linde, zwischen den Obstbäumen und Stachelbeerbüschen, bei den Bienenkörben – überall sind sie zu Hause, Der Großvater hat seine helle Freude daran, welche wißbegierige kleinen Imker seine Enkel sind. Sehr zärtlich hängt die muntere Schar auch an der alten Trina, die bis an ihr seliges Ende felsenfest von ihren großen Verdiensten um das Zustandekommen der Ehe von Herrn und Frau Kapitän Gebhardt überzeugt bleiben wird.

Vom gleichen Verdienst nicht minder durchdrungen ist in der Ferne ein anderer braver Mensch: der Fischer Frettwurst. Die Liebe zu seinem ehemaligen Herrn und dem „lütten Katteker“ füllt neben der zärtlichen Neigung zu Weib und Kind noch immer sein treues Herz. Von der großen Welt will er nichts wissen, trotz der beklemmend ehrenvollen Aufnahme, die ihm bei der Ablieferung seines Vielliebchengeschenkes an die kleine Prinzessin widerfuhr.

Zum Geburtstage seines früheren Herrn rafft sich Frettwurst mit einer aus Mangel an Uebung alljährlich unbotmäßiger werdenden Hand zu einem schriftlichen Glückwunsch auf. Sein jüngstes derartiges Werk schließt mit den Zeilen:

„Meine Lena hat mir, ebenso wie bei Ihnen und die gnädige Frau Kaptän, wieder mit ein kleines Mädchen beschert. Ich konnte nun heil zufrieden sein, aberst, Herr Kaptän, so, wie in die Zeit, als wir zu die gnädige Frau Kaptän mit die ‚Bachstelze‘ als Braut fuhren und ich mit die Jolle und die Botter umslug, wird es doch allmeintag nich wieder! Das haben Herr Kaptän mich auch dunnemals schon über das menschliche Leben im voraus gesagt. Womit ich mit meine und meine Frau ihre Grüße an den gnädigen Herrn Kaptän und die gnädige Frau Kaptän und die lieben kleinen Kinder und nochmalichen Glückwunsch bis zu nächstes Jahr bin

Ihr immer verbleibender

August Frettwurst.“ 




Zwei Morgen im Schlosse zu Versailles.

Von Dr. H. Ellermann.

Es war am 15. August 1785, dem Feiertag von Mariä Himmelfahrt, da trat aus dem Kabinett des Königs Ludwig XVI. im Schlosse zu Versailles ein Mann, angethan mit der ganzen pomphaften Tracht des hohen geistlichen Würdenträgers. Aber seine Miene stimmte schlecht zu dem festlichen Gewande, das er trug, und sein Weg führte ihn nicht zum feierlichen Hochamt in die Kirche, sondern geradeswegs zur Bastille. In dem Saal des Oeil de boeuf ward er auf Befehl des Königs durch den Herzog von Villeroi verhaftet und alsbald nach dem Gefängniß abgeführt.

Der Gefangene war niemand anderes als der berüchtigte Kardinal Rohan, Großalmosenier von Frankreich, Bischof von Straßburg, Inhaber einer ganzen Anzahl der einträglichsten Pfründen. Drinnen aber im Kabinett des Königs waren sehr peinliche Dinge verhandelt worden. Der Kardinal, der eben im Begriffe stand, sich zur Abhaltung der großen Messe in die Kirche zu begeben, hatte plötzlich den Befehl erhalten, sich zum König zu verfügen. Als er eintrat, empfing ihn der König mit der Frage:

„Sie haben bei Böhmer ein Diamantenhalsband für 1600000 Franken gekauft?“

„Ja, Sire!“ erwiderte der Kardinal.

„Und was ist damit geschehen?“

„Ich denke, es befindet sich in den Händen Ihrer Majestät der Königin!“

„Wer hat Ihnen den Auftrag gegebe?“

„Eine Gräfin de Lamotte-Valois. Sie wies mir einen Brief der Königin vor, und ich mußte glauben, Ihrer Majestät einen Dienst zu erweisen, indem ich die Besorgung übernahm.“

Da unterbrach ihn die Königin, die mit einigen Herren des Gefolges Zeuge der Unterredung war, mit den Worten:

„Mein Herr, wie haben Sie, mit dem ich seit acht Jahren kein Wort geredet, glauben können, ich würde Sie zu diesem Geschäfte ausersehen, vollends durch die Vermittlung einer solchen Frau!“

„Ich sehe wohl,“ war die zerknirschte Antwort des Kardinals, „daß ich das Opfer eines schnöden Betrugs geworden bin. Ich werde das Halsband bezahlen. Das Bestreben, Eurer Majestät einen Gefallen zu erweisen, hat mir den Blick getrübt. Ich sah keinerlei Hinterhalt dabei, und es thut mir außerordentlich leid.“ Er zog, währenddem einen Brief aus der Tasche, in welchem in der That die Königin der Lamotte jenen Auftrag gab. Der König nahm ihn, warf einen Blick darauf und hielt ihn dann dem Kardinal vor mit den Worten:

„Das ist doch weder die Handschrift noch die Unterschrift

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_128.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2020)