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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

zu merken war. Die Prinzessin neigte ohnehin schon zu bürgerlicher Einfachheit, und dieser Zug machte sich hier auf dem Lande doppelt geltend. Nur die Anreden und die Ehrerbietung von seiten der Begleitung zeugte von dem Rangunterschied innerhalb der munteren Gesellschaft.

Die allgemeine Lustigkeit steigerte sich noch hei der Landung. Denn zwischen Boot und Ufer blieb ein Raum, der durch keine Laufplanke zu überbrücken war. Man mußte also wohl oder übel die Arme der Matrosen oder in weniger ceremoniellen Fällen deren Rücken in Anspruch nehmen. Die Leute vollzogen willig den ebenso leichten als heiteren Dienst, nachdem sie, die Beinkleider hoch hinaufgestreift, in die durchsichtige Fluth gesprungen waren.

„Mama, Mama, dürfen wir auch so ins Wasser gehen?“ flehten die beiden Nesthäkchen von Prinzessinnen und wollten sich schon daran machen, Schuhe und Strümpfe auszuziehen. Zu ihrer Betrübniß ward ihnen diese Anpassung an die Marine nicht gestattet, und so mußte Frettwurst den Christophorus für sie spielen. Das war auch nicht übel. Auf seinen Schultern saß man unermeßlich hoch, und außerdem ließ er sich’s gerne gefallen, wenn man dabei kräftig sein kurzes Haar zerzauste.

Einen der Hofkavaliere, der wegen seiner Eitelkeit und storchartigen Grandezza überhaupt oft Gegenstand harmloser Scherze war, ließen die heimtückischen Träger vorzeitig niedergleiten. Plötzlich sah sich der Arme mit seinen unzeitgemäßen Lackstiefeln und weißen Steghosen mitten in einet zurückrollenden Welle stehen, aus der er sich durch einen verzweifelten Sprung in den tiefen Sand retten mußte. Allgemeines Gelächter erscholl, und die scheinbar betrübten Matrosen entschuldigten sich aufs eifrigste damit, daß die allzulangen Beine des Herrn Grafen vorzeitig auf den Grund gestoßen seien.

Nach vollzogener Ausschiffung begab sich die Karawane ins Innere des unbekannten Landes, um Brombeeren und Haselnüsse einzusammeln. Die Dienerschaft aber machte sich daran, den Proviant auf einen idyllisch zwischen hochragenden Buchen gelegenen grasbewachsenen Lagerplatz zu schaffen. Frettwurst durfte, als besonders verwendbar für hochragende Haselnußbüsche und müdgewordene Kinderbeinchen, die Herrschaften begleiten.

Lachend und scherzend zogen diese durch das Grün. Die Frau Prinzessin, eine hochgewachsene Blondine mit schönen klugen Augen, schritt voran, begleitet von dem Grafen mit den nassen Lackstiefeln und von Herbert, die sie beide an ihre Seite gerufen hatte. Die fürstliche Frau besaß eine große Gewandtheit, in solchen Fällen eine angeregte Unterhaltung mit dem einen Begleiter zu führen, ohne im anderen das Gefühl der Ueberflüssigkeit wachzurufen. So bekam der Graf fortwährend Gelegenheit, auf huldvolle Bemerkungen zu antworten, während sie sich aufs freundlichste mit Herbert über seine Familie, seine Reisen, seine Vorliebe für den Segelsport unterhielt.

Von Zeit zu Zeit schaute die Prinzessin den jungen Offizier prüfend von der Seite an. Das Einzige, was sie an ihm auszusetzen fand, war sein steter Ernst. Nicht, daß ihr dieser an sich mißfallen hätte, durchaus nicht. Nur das Uebermaß davon an dem jugendlichen Mann, der oft so traurige Blick seiner braunen Augen, in dem sie Weltschmerz sah, das wollte ihr nicht am Platze scheinen. Dazu trat bei ihm gelegentlich eine auffällige, im Hofleben sehr wenig beliebte Zerstreutheit. Als Menschenkennerin hatte die Prinzessin die Ursache für das gedrückte Wesen Herberts ziemlich richtig errathen, und ihre Absicht war, bei der ersten Gelegenheit der Sache auf den Grund zu gehen, um dem jungen Manne womöglich aus seinem thörichten Schmerze herauszuhelfen.

„Sind Sie auch der Ansicht, Herr Lieutenant,“ fragte sie nach einer Pause in dem Gespräch, „daß das Leben auf dem Meere melancholisch macht?“

„Nein, Königliche Hoheit! Das Seeleben für sich macht bestimmt nicht melancholisch. Das verschulden nur zuweilen Verhältnisse, die bei der völligen Abgeschiedenheit an Bord schärfer als sonst fühlbar werden.“

„Aber ich denke, einem Mann, einem Offizier vollends, bliebe immer noch der Ehrgeiz, rastlos vorwärts zu streben, und damit ein ausreichendes Gegengewicht gegen ein weltschmerzliches Ueberwuchern des Gefühlslebens.“

„Gewiß, Königliche Hoheit! Allein auch die Männer sind nun einmal verschieden beanlagt, und was bei dem einen der Ehrgeiz thut, muß bei dem andern die Zufriedenheit mit stillem Wirken vollbringen.“

„Aber solche Zufriedenheit schädigt, weil sie der Kraft ein allzuenges Ziel setzt. Der Ehrgeizige dagegen, mag er auch aus Eigennutz handeln, wirft die Menschen durcheinander, regt anderer Thätigkeit durch die seinige an. Er betheiligt sich an dem vollen Umsatz der Kräfte; also an dem, was überhaupt den Inhalt des Daseins bildet.“

„Es liegt viel Wahrheit in den Worten Eurer Königlichen Hoheit; mir aber bleibt jener andere doch die Erscheinung, mit der ich mich besser befreunden könnte.“

„Weil Sie selber ein Träumer sind.“

„Ich glaube, das ist keine besondere Schmeichelei für einen Soldaten, Königliche Hoheit.“

„Nein,“ erwiderte die Prinzessin ehrlich. „Ich halte Sie aber trotzdem für einen tüchtigen Offizier; Ihre Art im Dienste hat mir das gezeigt – unsereins lernt ja, dergleichen zu beobachten. Sie sind nur zu Zeiten ein Träumer und stehen dann wohl unter romantischen Einflüssen, unter tiefgreifenden gemüthlichen Erregungen. Oder sollte ich mich darin täuschen?“

Herberts Herz schwoll bei dem theilnehmenden Klang dieser Frage. In etwas aufgeregtem Ton entgegnete er: „Königliche Hoheit haben sich nicht getäuscht. Gerade jetzt – – “

„Sind Ihre Füße, wieder trocken, lieber Graf?“ wandte sich die Prinzessin, die Rede ihres jungen Begleiters abschneidend, an den Kavalier zur Linken.

Herbert biß sich auf die Lippen.

Der Graf erklärte, wieder ganz angenehm einherzuwandeln, und wehrte sich mit feierlicher Ehrfurcht gegen die Neckereien der Prinzessin, über die geschädigten Lackstiefel und den sicher bevorstehenden Schnupfen.

So plaudernd, langte man bei einem Gebüsch an, wo die Nüsse in dichten Trauben aus dem Laube sahen. Eifrig betheiligten sich die Herren am Pflücken, sogar der Graf ließ sich durch die freundlichen Warnungen, bei seinen dünnen Stiefeln vor dem Angriff von Igeln, Schlangen und ähnlichem schlimmen Gethier auf der Hut zu sein, nicht abschrecken, in die knackenden rauschendes Büsche einzudringen.

Als die mitgebrachten Säckchen genügend vollgestopft waren, begab man sich auf den Rückweg. Das jüngste Prinzeßlein hatte auf Frettwursts Arm Platz genommen, weniger aus Müdigkeit als in dem Wunsch, auf diese Weise besser mit ihm spaßen zu können. Der lange Bursche fühlte sich ganz wohl unter dem wilden, aber gutmüthigen Regiment des kleinen Volkes, nachdem er biedersten Schwierigkeiten der Anredeform durch kühne Selbsthilfe überwunden hatte. „Kleine Prinsessin, Sie müssen nich so mit die Beine strampeln,“ mahnte er gelegentlich, oder: „Hoheit Prinsessin dürfen mich die Brummelbeeren aberst nich aufs Hemd smeißen, das giebt Placken, die nich auszukriegen sünd.“ Das übermüthige Ding steckte ihm nämlich jubelnd eine Brombeere nach der andern in den Mund, der ebenso wie der ihrige schon eine gehörige Einfassung zeigte.

Als man wieder auf dem Lagerplatz eintraf, waren die über ein Reisigfeuer gesetzten Kartoffeln noch nicht weich. Man setzte sich daher im Kreise ins Gras und hielt den Hunger einstweilen mit Nüssen hin.

„O, ich hab’ ein Vielliebchen!“ rief das jüngste Prinzeßchen, das eine Doppelnuß geknackt hatte, freudig aus. „Das muß Frettwurst mit mir essen!“ Und schnell enteilte sie zu dem jetzt am Herde beschäftigten Kameraden.

Völlig im Unklaren über den Brauch des Vielliebchens, ließ sich Frettwurst willig den Kern zwischen die Zähne schieben; im nächsten Augenblick drückte ihm die Kleine einen Löffel in die Hand und schrie triumphierend: „Guten Morgen, Vielliebchen! Gewonnen, gewonnen! Nun müssen Sie mir etwas schenken! Wissen Sie was? Sie müssen mir ein Schiff mit drei Masten machen, das ordentlich segeln kann! Wollen Sie das? Bitte, bitte!“

Frettwurst versprach, sein Bestes zu thun, obgleich er von dem Rechtsgrund seiner Verpflichtung sehr wenig überzeugt schien.

Herbert war wieder an die Seite der Frau Prinzessin gerufen worden. Er handhabte zwei Feldsteine, zwischen denen er die Nüsse seiner Gönnerin zertrümmerte. Und auch hier wurde ein Doppelkern gefunden.

In der Zwanglosigkeit des Augenblicks, angeregt durch das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_112.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)