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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


und dünner geworden, bis sie jene Verstärkung durch Messing, die fest eingelöthet wird, gebieterisch forderten. Die zweite Einlage dient auch dem Moloch Schein, sie besteht aus Silber- oder Kupferfolie und ist bestimmt, durch den Stein hindurchzuschimmern und seinen natürlichen Glanz zu erhöhen.

Die Hauptaufgabe bei der Fassung aller Edelsteine ist, diese möglichst unverlierbar festzuhalten und doch dabei so wenig als möglich von ihnen zu verdecken. Diese beiden Dinge vereinigen sich schlecht, müssen aber vereinigt werden. Der Arbeiter nimmt zu diesem Zwecke eine feine Laubsäge zur Hand und schneidet von den Rändern der Fassung alles hinweg, was ihm nur irgend entbehrlich erscheint. Das nennt man den Stein „freilegen“. Das kleine Werkchen erhält nun eine letzte Feile, und dann hat der Goldarbeiter nichts mehr damit zu thun. Das Polieren ist nicht seine Sache, das wird meist von jungen Burschen oder Mädchen besorgt, die kleine leichte Drehbänke mit verschiedenartigen Polierscheiben in Bewegung setzen (siehe die Abbildung auf S. 109 unten). Diese Scheiben bestehen aus Filz oder Tuch und sind mit Mischungen aus Oel, Stearin und feinen Poliererden getränkt. Die Winkel und Verzierungen, in welche man mit dem Polierrädchen nicht eindringen kann, werden mit der Hand poliert. Man streicht die Poliermittel auf dicke Zwirnzöpfe und fährt mit den Schmucksachen daran auf und nieder.

Bei der Stiftelarbeit bildet die Grundform des Schmuckes eine ziemlich kräftige Messingplatte, welche „Patrone“ genannt wird. Die zukünftige Lage der Steine ist genau darauf „angerissen“, das heißt aufgezeichnet. Mit dem Drillbohrer werden feine Löcher gebohrt, die Stiftel hineingestellt und mit dem Ganzen verlöthet. Bei sogenannten Stiftel-Ajourarbeiten bohrt man zwischen den Stifteln größere Löcher in die Patrone, auf welche die Steine mit der Rückseite zu liegen kommen. Diese letztere Fassung läßt das natürliche Licht des Steines zur vollsten Geltung kommen. Selbstverständlich wird diese bevorzugte Fassung nur solchen Steinen zu theil, die sich durch schöne Lichtbrechung hervorthun.

Neuerdings ist man soweit fortgeschritten, alle Schliff- und Fassungsarten zu vereinigen. Wer sich einen vollen Einblick in den Reichthum der Formen verschaffen will, der muß schon eines jener besonderen Geschäfte für böhmischen Granatschmuck besichtigen, wie sie im letzten Jahrzehnt fast in jeder Großstadt Deutschlands gegründet worden sind.

Ein vielbeklagter Uebelstand bleibt es für die schöne Industrie, daß die Menge der Käufer den Werth einer Granatarbeit schwer beurtheilen kann. Ein Granatarmband für 2 Gulden kann im Aeußeren einem solchen für 7 Gulden völlig gleich sein. Ja, der Laie wird oft versucht sein, das Billigere für das Bessere zu halten, weil grade die billigen Sachen gern hübsch herausgeputzt werden. Erst in einigen Monaten kommt der hinkende Bote nach, die Steine fallen aus, der zart wie ein Lufthauch über dem Reife liegende Goldüberzug ist verschwunden und die enttäuschte Schöne trägt am Arm einen zweiten Reif aus Metalloxyden, den sie aber keineswegs als einen Schmuck betrachtet, sondern gemeiniglich mit Seife rasch beseitigt.

Hätte sich jenes Mädchen, das Kind aus dem Volke, mit einem etwas schmäleren Reife, mit halb so viel, aber besseren Steinen begnügt, hätte sie eine achtkarätige Goldfassung, wie sie in soliden Fabriken einzig üblich ist, genommen, so hätte sie Zeit ihres Lebens einen Schmuck besessen, an dem sie bei jedem neuen Anlegen ihre Freude haben konnte.





Auf Geben und Nehmen.

Novelle von Johannes Wilda.
(6. Fortsetzung.)


Im Zimmer ihres Vaters stand Hilde mit bleichen Wangen. „Und jetzt, mein Kind, darf nicht mehr gezögert werden! Geh’ hinauf in Deine Stube und schreibe, was Du mußt! Die Ansichten Deiner Eltern kennst Du, hast auch Zeit gehabt, sie zu überlegen. Du bist vollständig frei in Deinem Entschluß!“

Minutenlange Stille folgte den Worten des Lehrers. Bekümmert schaute dieser auf die im heftigsten Seelenkampf Ringende. Nichts hätte ihn tiefer ergreifen können, als Zeuge ihrer Qual zu sein und dabei fest bleiben zu müssen.

Die Tochter sah seinen Kummer und stürzte an seine Brust. „Vater, ich will ja verzichten!“ rief sie bebend.

„Nein, nein, nicht so! Thue, was Pflicht und Gewissen Dir sagen!“

„Und meine Liebe,“ ergänzte sie tonlos. „Mich würde ja alle Unsicherheit der Zukunft nicht schrecken, aber ich darf sein Opfer nicht annehmen um seinetwillen!“

Heftig drückte der Lehrer sie an sich. „Zu Deinem Glücke, mein Kind!“

Schmerzlich schüttelte sie den Kopf. „Zur Strafe für meinen Leichtsinn, Papa, zu Euerem Frieden und – zu seinem Heile!“

Dann ging sie und machte sich ans Werk.

Sie stützte das schmerzende Haupt in ihre Hand und starrte auf das weißglänzende Papier, auf die Feder, die schreiben mußte und nicht wollte. Was sollte sie durch diesen Abschiedsbrief alles verlieren! Nie würde sie den Geliebten wiedersehen, nie mehr ihm ins Auge schauen, nie mehr seine Lippen küssen. Einer anderen würde er einst gehören, während sie selbst abseits stehen mußte, dürstend nach dem versagten Glück, fremd und einsam im Leben. Großer Gott, das war unerträglich! Wer durfte verlangen, daß sie solche Qual sich selber auflud! O, warum waren sie nicht in jener grauenvollen Nacht zusammen gestorben!

Doch nein, dieser Wunsch war Sünde! Wie klein, nur an sich zu denken, nicht an ihn! Mußte sie dem Himmel nicht ewig dankbar sein, der dem Geliebten das Leben bewahrt hatte? – Und auch seinem Beruf sollte er erhalten bleiben! O, wie genau erinnerte sie sich noch der ernsten Miene, mit der er damals im Boot von diesem Beruf gesprochen hatte: „Sollte ich ihn einmal aufgeben müssen – ich glaube, nichts in der Welt könnte mich für diesen Verlust entschädigen!“

Entschlossen, aber mit zitternder Hand setzte sie die Feder an und begann zu schreiben:

 „Geliebter!

Zum ersten und zum letzten Mal schreibe ich heute an Dich. Zum letzten Mal, Herbert! Das vermag ich nicht zu fassen, und doch muß es so sein. Ich darf, ich will Dich nicht mehr sehen. Du bist frei, Herbert, hast keine Verpflichtungen gegen mich. Es ist der größte Schmerz meines Lebens, Dir das sagen zu müssen, aber ich handle vollständig freiwillig, dies versichere ich Dir bei allem, was uns theuer ist. Ich weiß jetzt, daß Du als Offizier mich nicht heirathen darfst. Warum? begreife ich zwar nicht, allein es ist einmal so. Daß Du aber um meinetwillen Deinen Beruf aufgiebst und Dein Leben dadurch unglücklich machst, das nehme ich nie und nimmer an, selbst wenn Deine Liebe leugnen möchte, daß darin ein schmerzliches Opfer liege. So lebe denn wohl, Geliebter! Es war ein kurzer, schöner schöner Traum. Wie glücklich hat mich Deine Liebe gemacht, die in jener Schreckensnacht stärker gewesen ist denn der Tod, und wie sehr danke ich Dir für alles!

Noch eine Bitte, Herbert! Erschwere uns die Entscheidung nicht noch mehr! Komm’ nicht wieder hierher, antworte nicht! Es hilft doch nichts – mein Entschluß ist unabänderlich. Und nun leb’ wohl! Wenn es Dir einst gut geht im Leben, dann denke zuweilen, daß mein tägliches Flehen Deinem Glücke gilt und gelten wird bis zu meinem letzten Athemzug.

Deine Hilde.“ 

Tief aufathmend siegelte sie den Brief, sorglich darauf achtend, daß keine der hervorquellenden Thränen auf das Papier falle und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_110.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)