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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Böhmische Granaten.

Von Th. Gampe.
Mit Zeichnungen von H. Kaufmann.


Granatsucher auf freiem Felde. 

Bei der Wäsche.

Man hat Böhmen das sangesfreudigste Land der Erde genannt. Mag das richtig sein oder nicht – eines muß man dem Böhmen lassen: er ist immer bemüht, sich das Leben zu schmücken, auf allerlei Art, wie und wo er’s kann. Man könnte Böhmen auch das Land der Kleinodien nennen, selten schmückt sich ein Volksstamm so gern wie der böhmische mit Edel- oder Halbedelsteinen, und nirgends trifft man so viele alte Schmucksachen als Familienerbstücke wie im Böhmerland.

Böhmen ist aber auch ein an Edel- und Halbedelsteinen reich gesegnetes Land, und wer sich davon überzeugen will, braucht nur die Wenzelskapelle am St. Veitsdom auf dem Hradschin zu besuchen. Hier kann er große hohe Wandflächen bewundern, die aus eitel einheimischen Edelsteinen bestehen von einer Pracht und einer Größe, wie sie sonst nur in Kindermärchen vorkommen.

In einem Lande, wo die Frauen so gern Schmuck anlegen, wo das letzte Gänsemädchen ihre träumerische Sehnsucht auf schimmernde Kleinodien richtet, da mußte auch die Gold- und Silberschmiederei und die Juwelierkunst früh zu hoher Blüthe gelangen. Schon unter Karl IV. war darin Böhmen urkundlich den übrigen Ländern Mitteleuropas weit voran. Freilich, der Dreißigjährige Krieg, der das unglückliche Land bis in den letzten Winkel verwüstete, fegte alle Luxusindustrien wie Spreu hinweg. Der Siebenjährige Krieg förderte das Emporblühen auch nicht, erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts begann ein neuer Aufschwung. Damals zählte man nach einem Handwerksprotokoll in Prag allein 341 Edelsteinschleifer mit 88 Gehilfen und 4 Fabriken mit 109 Gehilfen, 52 Lehrlingen und 15 Granatbohrern. Man wolle hierbei ins Auge fassen, daß diese zahlreiche Arbeiterschaft eigentlich nur die Vorarbeiter der Großindustriellen waren, über welche alle Angaben in jenem Protokoll fehlen.

Die mächtige Umwandlung der böhmischen Schmuckwarenindustrie in eine große Ausfuhrindustrie fällt mit dem Heranwachsen der böhmischen Bäder zu Weltbädern zusammen. Die fernhergereisten Badegäste fanden ganz besonderes Wohlgefallen an den hübschen Schmucksachen mit den kleinen rothblitzenden Karfunkelsteinen. Sie waren die ersten Exporteure, sie nahmen die billigen, schönen, herrlich leuchtenden Zierrate mit in ihre Heimath. Ein Wunder war’s nicht, daß zunächst die Frauen im benachbarten Deutschland großen Gefallen daran fanden, und was einmal den Beifall der Frauen hat, das erobert sich bekanntlich mit unwiderstehlicher Kraft die Welt.

Gegenwärtig beschäftigt die böhmische Granatindustrie gegen 3000 Granatschleifer, einige hundert Granatbohrer und in etwa 500 Gold- und Silberwerkstätten sind an die 3500 Granatschmuckarbeiter thätig. Hierzu kommen noch die berufsmäßigen Granatsucher, die Vermittler, die Steinhändler

und die Hilfsindustriellen. Insgesamt dürften 9000 bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_107.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2021)