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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Das ist auch nur Majas Verdienst. Sie hat mich eingeführt in die Sagenwelt ihrer Heimath, und ich habe die Kleine im Verdacht, daß sie noch in vollem Ernst daran glaubt. Maja ist bisweilen noch ein rechtes Kind.“

Die letzten Worte klangen sehr überlegen. Der schlanken jungen Dame, die da im knappen silbergrauen Reitkleide, ein graues Federhütchen auf dem dunklen Haar, an der Felswand lehnte, konnte man allerdings nicht den Vorwurf machen, noch ein Kind zu sein. Sie blieb selbst hier die vornehme Weltdame, der es Spaß machte, sich auch einmal die arbeitenden Menschenkinder anzusehen. Und doch war sie berückend schön in dieser übermüthigen selbstbewußten Haltung; strahlend, siegesgewiß stand sie vor dem Manne, der allein kein Auge und Ohr zu haben schien für einen Zauber, welcher doch sonst nie versagte. Vielleicht reizte gerade diese Unempfindlichkeit das verwöhnte Mädchen, das jetzt in neckischem Tone fortfuhr:

„Ich habe bei jenem Märchenbilde, dessen Mittelpunkt Sie bildeten, an die alte Sage von der Springwurzel denken müssen. Das ist ja der geheimnisvolle Zauberstab der Berge, dem jeder Riegel weicht und jeder Fels sich öffnet. Und dann leuchten die versunkenen Schätze in der Tiefe und winken dem Erwählten, der sie erlösen soll:

‚Er hebt aus Nacht und Dunkel
Den goldnen Wunderschrein,
Und all das Schatzgefunkel
Und all das Gold ist sein!‘

Was meinen Sie – bin ich nicht Majas gelehrige Schülerin gewesen?“

Sie blickte ihn lächelnd an, als sie den Vers des alten Liedes wiederholte, das von der allmächtigen Springwurzel berichtet; aber die starre Haltung des jungen Ingenieurs veränderte sich nicht trotz all ihrer Liebenswürdigkeit. Sein von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht war um einen Schein bleicher als sonst, allein seine Stimme klang kühl und beherrscht, als er antwortete:

„Unsere Zeit bedarf keiner Zaubermittel mehr. Sie hat eine andere Springwurzel gefunden, die auch Felsen spaltet und die Erde öffnet – Sie sehen es ja!“

„Ja wohl, ich sehe öde Felstrümmer, Schutt und zersplittertes Gestein, aber die Schätze bleiben versunken in der Tiefe.“

„Die Tiefe ist leer und tot – es giebt keine versunkenen Schätze mehr.“

Die Antwort klang herb und freudlos, und der Ton, in welchem sie gesprochen wurde, milderte nicht ihre Schroffheit.

„Vielleicht ist nur das Zauberwort verloren gegangen, ohne welches die Wurzel machtlos bleibt,“ erwiderte Cäcilie leichthin, ohne scheinbar seine abweisende Haltung zu bemerken. „Meinen Sie nicht, Herr Runeck?“

„Ich meine, gnädiges Fräulein, daß die Zauber- und Märchenwelt längst hinter uns liegt. Wir verstehen sie nicht mehr, wollen sie nicht mehr verstehen.“

Es lag etwas beinahe Drohendes in den anscheinend so bedeutungslosen Worten. Cäcilie biß sich auf die Lippen, und mitten durch die sonnige Liebenswürdigkeit brach ein feindseliger Strahl ihrer Augen, dann aber lachte sie hell auf.

„Wie grimmig das klingt! Die armen Gnomen und Zwerge haben einen schlimmen Feind an Ihnen. Höre nur, Erich, wie Dein Freund die ganze Sagenwelt in Acht und Bann thut!“

„Ja, mit solchen Dingen darf man dem Egbert nicht kommen,“ sagte Erich, der eben herzutrat. „Mit der Poesie giebt er sich nicht ab, die kann man nicht messen und berechnen, also ist sie in seinen Augen ein höchst überflüssiges Ding. Ich habe es ihm noch heute nicht vergeben, wie er die Nachricht meiner Verlobung aufnahm, mit einem förmlichen Mitleid! Und als ich ihm entrüstet vorwarf, er kenne die Liebe überhaupt nicht, wolle sie gar nicht kennenlernen – was glaubst Du wohl, Cäcilie, was ich zur Antwort erhielt? Ein eisiges ‚Nein‘!“

Cäcilie richtete die großen dunklen Augen auf den jungen Ingenieur, und wieder blitzte der dämonische Funke darin auf, als sie lächelnd sagte:

„Und das war wirklich Ihr Ernst, Herr Runeck?“

Es vergingen einige Sekunden, ehe er antwortete. Er schien noch bleicher als vorhin, aber sein Auge begegnete voll und finster jenem Blick, während er kalt entgegnete: „Ja, mein gnädiges Fräulein.“

„Du hörst Du es selbst,“ rief Erich, ärgerlich lachend. „Er ist so hart wie diese Felsen.“

Die junge Dame schlug mit der Reitpeitsche leicht gegen die Felstrümmer, die vor ihr lagen.

„Mag sein. Aber auch Felsen können zum Weichen gebracht werden, wie diese hier. Hüten Sie sich, Herr Runeck, Sie haben die geheimnißvollen Mächte gehöhnt und geleugnet – sie rächen sich!“

Die Worte sollten wohl scherzhaft klingen, und doch wehte es wie Hohn daraus hervor, Egbert erwiderte keine Silbe, während Erich verwundert vom einen zum anderen blickte.

„Wovon ist denn die Rede?“ fragte er.

„Von der Springwurzel, welche Felsen spaltet und die Schätze der Erde öffnet, wir sprachen soeben davon. – Aber ich denke, wir brechen jetzt auf, wenn es Dir recht ist.“

Erich stimmte bei und wandte sich dann zu Runeck.

„Es soll weiter gesprengt werden, wie ich sehe, Du wartest wohl damit, bis wir außer dem Bereich der Schlucht sind. Unsere Pferde wurden vorhin schon sehr unruhig dabei, der Reitknecht konnte sie kaum halten.“

Um Cäciliens Lippen spielte wieder das böse verächtliche Lächeln, sie hatte es sehr gut bemerkt, daß ihr Bräutigam vorhin bei den dumpfen Schlägen der Explosion zusammengezuckt war und den Reitknecht an seine Seite gerufen hatte. Auch ihr Pferd war sehr unruhig dabei geworden, aber sie hatte es fest im Zügel gehalten, Indessen unterdrückte sie jede Bemerkung und sagte nur, während Egbert sie und Erich nach dem Platz geleitete, wo die Pferde standen:

„Unseren Dank für die freundliche Führung und Erklärung! Sie werden froh sein, die störenden Gäste wieder los zu werden.“

Runeck verneigte sich tief und förmlich, „O, ich bitte! Erich steht ja hier als Herr auf seinem eigenen Boden, da kann von einer Störung wohl nicht die Rede sein.“

„Und doch schien es so, Sie waren ja förmlich bestürzt, als Sie uns am Eingange der Schlucht gewahrten.“

„Ich? Haben Sie so scharfe Augen, gnädiges Fräulein?“

„O ja, Erich neckt mich oft wegen meines ‚Falkenblicks‘.“

„In diesem Falle hat der Blick Sie aber doch getäuscht. Ich war nur besorgt, als ich Sie in solcher Nähe erblickte – man kann nie wissen, was geschieht.“

Die Reitpeitsche schlug ungeduldig gegen die Falten des silbergrauen Reitkleides. Glitt denn alles ab an diesem „Fels“?

Sie hatten inzwischen die harrenden Pferde erreicht, Cäcilie und Erich stiegen auf, Cäcilie neigte noch mit leichtem Gruße das Haupt, dann traf ein heftiger Schlag mit der Gerte ihren schönen Goldfuchs – das feurige Thier bäumte sich auf und setzte sich sofort in Galopp, so daß das andere ihm kaum zu folgen vermochte. Sie waren noch etwa fünf Minuten lang auf dem Waldweg sichtbar, der nach Radefeld führte. Wie ein luftiger Spuk flog die schlanke Mädchengestalt auf dem flüchtigen Rosse dahin, mit dem wallenden Reitkleid und den wehenden Federn des Hutes. Noch einmal tauchte sie an der Biegung dort auf, dann schloß sich hinter ihr der Wald.

Egbert stand noch unbeweglich an seinem Platze und blickte mit heißen starren Augen auf den Waldweg. Seine Lippen waren fest zusammengepreßt, und in seinen Zügen stand ein seltsamer Ausdruck, wie von verbissenem Schmerz oder Zorn; endlich richtete er sich empor und wandte sich zum Gehen.

Da gewahrte er etwas zu seinen Füßen, weiß und duftig wie hingewehter Blüthenschnee. Der junge Mann stockte plötzlich, dann beugte er sich langsam nieder und hob es auf. –

Es war ein feines spitzenbesetztes Taschentuch, aus dem ein leiser süßer Duft hervordrang; schmeichelnd und berückend umfing er Egbert und unwillkürlich schlossen sich seine Finger fest und fester um das zarte Gewebe.

„Herr Ingenieur!“ sagte eine Stimme hinter ihm.

Runeck fuhr auf und wandte sich um. Es war der alte Mertens.

„Die Leute möchten wissen, ob sie nun weiter sprengen dürfen, es ist alles fertig.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_102.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)