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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Doktor Eisenbart.

„Ich bin der Doktor Eisenbart,
Kurier’ die Leut nach meiner Art,
Kann machen, daß die Blinden gehn,
Und daß die Lahmen wieder sehn,“

so klingt’s in Bühl und anderorts in Schwaben am Fastnachtsdienstag zum „Barbiertanz“ durch die Straßen. Wie ein Charlatan des 17. Jahrhunderts aufgeputzt, in der rechten Hand einen großen Löffel und in der linken ein Seifenbecken, so schreitet der „Doktor“ einher. Das Bewußtsein seiner Würde ist nicht zu verkennen. Und um ihn tost’s und jubelt’s. Er wird geneckt und zaust andre wieder, oder theilt Schläge mit seinem Löffel aus. Musik spielt, und die Burschen johlen und die Buben schreien und die Mädchen wollen sich nicht so drängen lassen und auch etwas sehen.

Endlich hält die Menge – denn ein Zug ist’s nicht mehr zu nennen – an einem freien Platze still. Für den Doktor wird Platz gemacht und neben ihn ein Stuhl gestellt. Er soll rasieren. Nur das Opfer fehlt noch zu dieser würdigen Handlung. Aber vier Burschen springen lachend in die Menge. Rasch ist ein halbwüchsiger Bube, dessen Gesicht noch keine Spur von Bart zeigt, festgenommen, auf den Stuhl gesetzt, und der Doktor hat ihm auch schon den Inhalt seines Seifenbeckens übers Gesicht gestrichen; und ehe der Arme nur zur Besinnung kommt, beginnt der wackere Arzt ihn mit seinem Löffel zu rasieren. Mancher soll dabei schon bedauert haben, daß sein Gesicht nicht halbkugelförmig gebildet war, sondern mancherlei Vorsprünge aufwies. Schallendes Gelächter lohnt dem hüpfenden und singenden Doktor, wenn er „das Haupthaar“, d. i. die Nase, abzurasieren trachtet.

Doktor Eisenbart im Fastnachtsspiel.
Zeichnung von Fr. Bergen.

Endlich wird das Opfer entlassen. Der Seifenschaum ist zwar erst zur Hälfte abrasiert, aber ein Buckliger meldet sich zur Kur. Sofort wendet ihm der treffliche Arzt seine ganze Aufmerksamkeit zu, schneidet ihm erst den Rock und dann den Buckel auf, nimmt ein Bündel Heu heraus und fordert ihn auf, sich den Schnitt wieder zunähen zu lassen. Der künstlich erzeugte Buckel ist verschwunden, und Eisenbart hat auch hier seine Meisterschaft bewiesen.

Aber ein noch schwereres Stück wartet seiner.

Er soll einem[WS 1] Kranken zur Ader lassen, dem vorher ein mit Blut gefüllter Darm ums Handgelenk gebunden ist. Er schneidet diesen auf – alles Volk sieht das Blut fließen. Mancher Unerfahrene ängstigt sich, die Kinder schaudern, und das Entsetzen wächst noch, denn der Kranke sinkt tot zur Erde.

Alle Versuche, ihn ins Leben zurückzurufen, sind vergeblich. Da schlägt dem leichtsinnigen Arzt das Gewissen. Er sucht zu entfliehen. Aber zwei Fastnachtsnarren fangen ihn wieder ein. Sie lassen ihn auch keinen Augenblick mehr aus den Augen; denn entwischt er ihnen, so muß jeder von ihnen ein Fäßchen Bier bezahlen.

Doktor Eisenbart ringt voll Verzweiflung die Hände. Da fällt ihm ein gutes Mittel ein. Er nimmt ein langes Rohr und sucht damit dem Toten wieder Leben einzublasen, bald in die Arme, bald in den Rücken. Endlich sind seine redlichen Bemühungen von Erfolg gekrönt, der Kranke erwacht, steht gesund wieder auf, und alles zieht gemeinsam zum Fastnachtsschmause. A. T.     

Die „Höchstgestiegenen“. Der Verein zur Förderung der Luftschiffahrt in Berlin beabsichtigt dank der Unterstützung seitens des deutschen Kaisers, Ballonfahrten bis in Höhen von 8000 bis 10000 Metern auszuführen, um dort meteorologische Beobachtungen anzustellen. Diese Höhen sind schon vom Menschen wiederholt erreicht worden. Selbst zu Fuß sind die Bergreisenden sehr hoch gestiegen. Das Erklimmen des Königs der europäischen Berge, des Montblanc mit 4810 Metern Höhe, wird heute oft von Touristen ausgeführt. Der höchste Berg Afrikas, der Kilimandscharo mit rund 6000 Metern Höhe, ist von Hans Meyer und L. Purtscheller erstiegen worden. In Amerika ragt der höchste Gipfel, der Aconcagua, 6970 Meter über den Meeresspiegel. Dr. Paul Güßfeldt drang an ihm bis 6560 Meter empor. Der „höchstgestiegene“ Mann der Welt ist aber der Engländer Conway, der am 25. August 1892 auf den „goldenen Thron“ in Tibet in einer Höhe von 7010 Metern seinen Fuß setzte. Von den Luftschiffern erreichte James Glaisher am 5. September 1862 die höchste Höhe, die er auf 11 272 Meter berechnete – er verlor in ihr die Besinnung, erholte sich aber beim Fallen des Ballons und trug keinen Schaden davon. Schlimmer erging es den französischen Aëronauten Sivel und Crocé Spinelli, die in einer Höhe von etwa 8600 Metern den Erstickungstod fanden und als Leichen von ihrem Begleiter Gaston Tissandier zur Erde gebracht wurden. Die Gefahren der dünnen Luft, die in großen Höhen Bergsteiger wie Luftschiffer bedrohen, sind noch nicht völlig aufgeklärt. Die beabsichtigten Höhenfahrten der deutschen Forscher versprechen somit auch in dieser Beziehung durch neue Erfahrungen unser Wissen zu bereichern. Wir hoffen und wünschen, daß sie heil niederfahren werden von den Gebieten, die eine Grenze bilden zwischen dem Reich des Lebens und dem totenstillen Weltraum.*     

Nahe am Feinde. (Zu dem Bilde S. 96 und 97.)

Ahnungsgrauend, todesmuthig
Bricht der große Morgen an –

das ist die Stimmung des Bildes von Warthmüller, das uns nach der Tracht der Soldaten in Friedrichs des Großen Zeit versetzt. Es ist früh am Tage, die Sonne wirft noch lange Schatten auf den Schnee. Man steht kurz vor Beginn des Kampfes. Durch Kundschafter und aufklärende Kavallerie hat man die Stellung des Feindes erfahren und wird wohl überraschend über ihn herfallen. Im Hintergrunde des Bildes stehen Truppenmassen bereit. Vorn erklärt ein Landeseinwohner zwei Generalen die Oertlichkeit. Die verdeckt liegenden Soldaten haben theils ebenfalls die Blicke am Waldrand vorbei auf das künftige Schlachtfeld gerichtet, theils wenden sie dieselben den Befehlshabern zu, in deren Händen die Entscheidung liegt. Bald werden die Kommandoworte ertönen; es geht auf den Feind, und wie Schiller singt: „An die Rippen pocht das Männerherz.“

Vincenz Lachner †. Der jüngste der drei Brüder Lachner ist am 22. Januar zu Karlsruhe im Alter von 82 Jahren gestorben. Von dem berühmten musikalischen Kleeblatte, das wir im Jahrgang 1891, S. 491, unsern Lesern vorführten, ist nunmehr nur noch Ignaz übrig, der als sechsundachtzigjähriger Greis zu Hannover im Hause seines Sohnes lebt. Der größte der Drei, Franz, hat ebenfalls ein Alter von 86 Jahren erreicht. Es scheint, als ob an der durch eine mühevolle Jugend gestählten Kraft dieser drei Brüder das Aufreibende des Musikerberufes wirkungslos abgeprallt wäre.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ist wohl kein Druckfehler von „einen“, da es „zur Ader lassen“ durchaus auch mit Dativobjekt gibt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_099.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)