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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


wird ihn schwerlich versuchen, und wenn sie es thäte, so kehrte sie nach fünf Minuten wieder um!“

Cäcilie warf den Kopf zurück, und in ihren Augen blitzte es auf, als sie mit eigenthümlichem Tone fragte:

„Wissen Sie das so genau, Herr Runeck?“

„Ja, gnädiges Fräulein, denn ich kenne den Albenstein.“

„Aber mich kennen Sie nicht!“

„Vielleicht doch!“

Cäcilie stutzte, die Antwort schien sie zu befremden; aber da streifte ihr Blick ihren Bräutigam, und sie lachte spöttisch auf.

„Sieh doch nicht so unglücklich drein, Erich! Es ist ja alles nur Neckerei! Ich denke nicht an den Albenstein und seine halsbrechenden Klippen. – Wie machen Sie es eigentlich, Herr Runeck, wenn Sie diese Felskolosse sprengen?“

Erich athmete bei dieser Wendung auf. Er war es bereits gewohnt, daß seine vergötterte Braut ihn mit allerlei Launen und Einfällen quälte, die nie Bestand hatten und auch niemals ernst zu nehmen waren. So wandte er sich denn beruhigt an den alten Aufseher, der in der Nähe stand und augenscheinlich darauf wartete, angeredet zu werden.

Der alte Mertens hatte schon bei dem Vater des gegenwärtigen Herrn in Lohn und Brot gestanden, und jetzt hatte man ihm den leichten und einträglichen Posten eines Oberaufsehers bei den Radefelder Arbeiten gegeben. Erich, der ihn seit seinen Kinderjahren kannte, sprach freundlich und eingehend mit ihm, erkundigte sich nach seiner Familie und wandte sich dabei auch an die andern in der Nähe befindlichen Arbeiter. Wer ihn so unter den Leuten stehen sah, mit der gebeugten Haltung, den weichen müden Zügen und dem beinahe schüchternen Wesen, hätte nun und nimmermehr den künftigen Gebieter von Odensberg in ihm vermuthet. Es fehlte ihm nicht mehr als alles dazu.

Vielleicht hatte auch Baroneß Wildenrod diesen Eindruck, denn sie zog wie unwillig die feinen Brauen zusammen, und dann wandte sich ihr Blick langsam auf den jungen Ingenieur, der vor ihr stand. Sie hatte ihn bisher nur im Gesellschaftsanzug gesehen, heute trug er eine graue Lodenjoppe und hohe Stulpenstiefel, wie es Wind und Wetter forderten, aber er gewann merkwürdig in dieser einfachen Tracht. Sie paßte zu der herben trotzigen Kraft seiner Erscheinung; hier, wo er auf seinem eigentlichen Grund und Boden stand, kam seine Persönlichkeit zur vollsten Geltung. Ihm sah man es auf den ersten Blick an, daß er hier zu befehlen hatte und daß er das Befehlen aus dem Grunde verstand; die schmächtige Gestalt des Jugendfreundes verschwand vollständig neben ihm.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Verbrecher aus Bücherwuth.
Von Eduard Schulte.
(Schluß.)

Folgen wir nun dem weiteren Verlauf der gerichtlichen Untersuchung gegen Tinius nach seiner Ueberweisung an die preußischen Behörden. Daß Tinius um 5. und 6. Februar 1813 in Leipzig gewesen und am Nachmittag des 6. nach Poserna zurückgekehrt war, um am Sonntag den 7. dort zu predigen, daß er am 7. wieder in Leipzig eingetroffen war und auch einen Theil des 8. dort verbracht hatte, wurde von ihm nicht bestritten. Ueber das, was er an den in Leipzig verbrachten Tagen unternommen hatte, wurde folgendes festgestellt:

Neben dem Kunitz’schen Hause lag das Haus eines Fräuleins Junius, einer alten und anerkannt reichen Dame. Am Freitag den 5. Februar erschien nun im Junius’schen Hause vormittags ein Mann, der das Fräulein Junius zu sprechen wünschte. Der Hausverwalter ließ ihn in die Gesindestube treten und erklärte ihm, das Fräulein könne seinen Besuch nicht empfangen; er möge ihm sagen, was er zu bestellen habe. Der fremde Mann erwiderte, er sei ein Geistlicher aus der Gegend von Rippach, und er suche in Leipzig vorläufig ein Absteigequartier; zu Ostern wolle er ganz nach Leipzig übersiedeln; man habe ihm gesagt, daß hier im Hause eine Wohnung frei sei. Der Hausverwalter beschied ihn dahin, daß alle Räume vermiethet seien. Obwohl damit für den Fremden jeder Anlaß zu längerem Verweilen wegfiel, blieb er doch noch etwa eine halbe Stunde und unterhielt sich über gleichgültige Dinge mit den Dienstboten. Der Hausverwalter erkannte diesen Fremden in Tinius wieder. Tinius bestritt anfangs, dieser Fremde gewesen zu sein; später aber gab er es zu. Seine Angabe, daß er zu Ostern nach Leipzig habe ziehen wollen, war unwahr, und der Verdacht war nicht abzuweisen, daß er, der schon am Freitag in dringender Geldverlegenheit war, nur die Gelegenheit ausspüren wollte, das Fräulein Junius allein zu sprechen und dabei zu berauben.

Von dem Junius’schen Hause aus war Tinius, wie jetzt ferner festgestellt wurde, in das Kunitz’sche getreten. Er hatte also dieses Haus, in welchem die Frau Kunhardt wohnte, nicht erst am Sonnabend und Montag, sondern ebenfalls schon am Freitag aufgesucht. Beim Eintreten hatte er auf dem Hausflur einen Arbeiter getroffen und diesen nach Dr. Kunitz gefragt. Dr. Kunitz kam zufällig dazu, verneinte die Frage des ihm unbekannten Mannes, ob eine Wohnung frei sei, und fragte ihn, wie er heiße. Tinius antwortete darauf, er suche die Wohnung nur für einen Freund, und entfernte sich eilig, ohne seinen Namen zu nennen. Vor Gericht räumte er diesen auf den Freitag fallenden Besuch im Kunitz’schen Hause ein, bestritt aber um so nachdrücklicher, am Sonnabend und Montag dagewesen zu sein. Er sah sehr wohl, was hier für ihn auf dem Spiele stand. Seine erste Anwesenheit war durch das angebliche Aufsuchen einer Wohnung einigermaßen harmlos zu erklären, aber seine zweite Anwesenheit war es nicht; nach dem von Kunitz bereits erhaltenen Bescheide lag für sein Wiederkommen kein gestehbarer Grund vor.

Dafür aber, daß Tinius am Sonnabend und am Montag im Kunitz’schen Hause war, fanden sich noch mehr Zeugen, als die bereits oben erwähnten. Der Junius’sche Hausverwalter sah ihn an dem Montag, an welchem der Mord stattfand, gegen halb 9 Uhr aus jenem Nachbarhause kommen; Frau Dr. Kunitz trat zu derselben Zeit an ein Fenster ihrer Wohnung und machte dieselbe Wahrnehmung. Sie bemerkte, daß Tinius am Aermel und Rücken seines blauen Mantels einen auffälligen weißen, anscheinend vom Anstreifen an eine geweißte Wand herrührenden Fleck hatte, den er unterwegs eifrig abstäubte. Dasselbe sah zu derselben Zeit ein dem Kunitz’schen Hause gegenüber wohnender Chirurg. Zu den Wahrnehmungen, welche die in die Kunhardtsche Wohnung geschickte Gerichtsabordnung verzeichnete, gehörte die, daß die Wand im Vorzimmer von einer Person mit dunkler Kleidung im Vorbeigehen stark gestreift worden sein mußte. Die Angaben der Zeugen wichen zum Theil, wie dies leicht geschieht, um fünf, zehn, ja fünfzehn Minuten voneinander ab, und während die meisten von ihnen in Tinius den Mann mit dem blauen Mantel mit Bestimmtheit wiedererkannten, war z. B. der Chirurg im Wiedererkennen nicht ganz sicher. Ob der Mann einen schwarzen Filzhut oder eine runde schmarze Mütze mit Schirm getragen hatte, blieb unaufgeklärt; die Möglichkeit war nicht ausgeschlossen, daß Tinius an den verschiedenen Tagen verschiedene Kopfbedeckungen trug. Der Reitmantel mit dem vielknöpfigen Schlitz war allen aufgefallen.

Am Montag Morgen muß Tinius den Augenblick erspäht haben, wo die Magd, die er ja am Sonnabend die Wohnung der Frau Kunhardt hatte öffnen sehen, sich entfernte; in diesem Falle hätte ihn der Umstand nicht geschreckt, daß diese Magd ihn oberflächlich kannte. Daß er aufs Gerathewohl bei der Kunhardt klopfte, ist wohl minder wahrscheinlich, da er, wenn die Magd ihm öffnete, ihr noch einmal, wie schon am Sonnabend, einen Vorwand für sein Erscheinen hätte vorbringen müssen.

Vormittags nach 9 Uhr war Tinius in den H.schen Gasthof wo er sein Absteigequartier hatte, zurückgekehrt. Das dort aufwartende Dienstmädchen bezeugte, er sei sehr unruhig gewesen und habe gezittert; bei Tisch habe er zu scherzen gesucht, das sei ihm aber nicht recht gelungen.

Was den Brief betrifft, mit welchem sich der Mörder bei Frau Kunhardt einführte, so erklärten die Sachverständigen, daß die Handschrift trotz des Bemühens, sie zu verstellen, von Tinius herrühre. Tinius hatte sich am Montag im H.schen Gasthofe vor seinem Ausgehen von dem dreizehnjährigen Sohne des Wirthes Papier zum Schreiben geben lassen und in der Gaststube geschrieben;

das Wasserzeichen im Papier des Briefes stimmte mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_088.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)