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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Name und die angeblich so glänzenden Verhältnisse ließen diese Wahl freilich als eine durchaus passende erscheinen, und da galt die Einwilligung des Vaters für selbstverständlich.

Cäcilie hatte vorläufig keinen Grund, sich über die gefürchtete „Weltabgeschiedenheit“ von Odensberg zu beklagen, ihre Verlobung brachte dem sonst so stillen Herrenhaus ein bewegtes geselliges Leben. Das Brautpaar hatte die üblichen Besuche gemacht und empfing nun die Gegenbesuche der gesamten Nachbarschaft, die vorwiegend aus den Großgrundbesitzern der Provinz bestand. Es gab zahlreiche Einladungen, größere und kleinere Festlichkeiten, deren Mittelpunkt die junge Braut war. Man huldigte ihr auch hier, wo immer sie erschien, und Erich besaß zum Glück nicht den Fehler der Eifersucht. So schwamm Cäcilie denn mit vollen Segeln auf dem Strome des Vergnügens; neue Kreise und Umgebungen, neue Triumphe, das ließ sie für den Augenblick wenigstens das gewohnte Leben kaum vermissen.

Auch das Auftreten des Freiherrn von Wildenrod machte überall den günstigsten Eindruck. Seine vornehme Erscheinung und seine glänzende Unterhaltungsgabe gewannen überhaupt jeden, den er gewinnen wollte, und hier kam man ihm als dem künftigen Verwandten des Dernburgschen Hauses mit doppelter Auszeichnung entgegen. Er hatte in den wenigen Wochen seines Hierseins bereits eine bevorzugte Stellung in diesen Kreisen errungen und wußte sie sich hinreichend zu sichern. –

Im Radefelder Grunde wurden inzwischen die Arbeiten mit allen nur verfügbaren Kräften gefördert. Man hatte die Leute größtentheils in dem nahegelegenen Dorfe untergebracht, und auch der leitende Ingenieur hatte sich dort niedergelassen, um den täglichen zeitraubenden Weg nach Odensberg zu vermeiden. Er kam gewöhnlich nur ein- oder zweimal in der Woche dorthin, um dem Chef Bericht zu erstatten.

Radefeld war nur ein kleines Walddorf und der Aufenthalt dort bot nicht die mindeste Bequemlichkeit. Die beiden engen Zimmer, die Egbert in einem Bauernhause bewohnte, hatten eine recht dürftige Ausstattung, aber der junge Ingenieur war nicht verwöhnt. Er hatte aus seiner Wohnung nichts mitgenommen als seine Bücher, seine Pläne und Zeichnungen und richtete sich im übrigen ein, so gut es eben ging.

Runeck pflegte sonst früh auf der Arbeitsstätte zu sein. Heute jedoch hatte er Besuch erhalten, der aus der Stadt gekommen war. Sein Gast, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit scharf ausgeprägten Zügen und dunklen Augen, saß in dem alten Lehnstuhl, der hier die Stelle des Sofas vertreten mußte. Die beiden schienen eine ernste und inhaltsreiche Unterredung gehabt zu haben.

„Uebrigens möchte ich noch fragen,“ sagte eben der Fremde, „weshalb Du jetzt so selten zur Stadt kommst. Seit Wochen bist Du nicht dagewesen, man muß Dich förmlich suchen, wenn man mit Dir zu sprechen hat.“

„Ich habe sehr viel zu thun,“ versetzte Egbert, der mit finsterer Stirn am Fenster stand. „Du siehst es ja, wie tief ich hier in der Arbeit stecke.“

„Arbeit?“ spottete der andere. „Ich dächte, unsere Arbeit wäre nothwendiger als dieses Graben und Wühlen in den Wäldern. Du hast den Plan dazu ausgeheckt, wie ich höre. Willst Du Deinem Herrn Chef vielleicht noch eine Million verdienen zu den anderen, die er schon hat?“

„Es handelt sich nicht darum, sondern um eine Pflicht, die ich übernommen habe,“ war die kurze Antwort. „Die Anlage wäre eigentlich Sache des Oberingenieurs gewesen, und ich habe das Vertrauen zu rechtfertigen, das mich an seine Stelle rief.“

„Um Dich hier in Radefeld festzuketten, damit Du in Odensberg nicht gefährlich wirst! Dumm ist der Alte nicht, das kann ihm keiner nachsagen, er weiß immer sehr genau, was er thut, wird überhaupt schon einigermaßen Bescheid wissen.“

„Laß die Spöttereien, Landsfeld,“ unterbrach ihn Egbert ungeduldig. „Dernburg weiß allerdings Bescheid – durch meinen eigenen Mund. Er hat mich zur Rede gestellt, und ich habe mich rückhaltlos zu meinen Ansichten bekannt. Natürlich erwartete ich daraufhin meine Entlassung – statt dessen wurde mir die Radefelder Anlage übergeben.“

Landsfeld stutzte und richtete einen scharfen Blick auf den jungen Ingenieur. „Das ist ja merkwürdig, das sieht dem Alten gar nicht ähnlich! Er muß einen förmlichen Narren an Dir gefressen haben, oder er hat etwas im Hinterhalt. Dem ist alles zuzutrauen. Uebrigens war Deine Aufrichtigkeit in diesem Falle sehr übel angebracht, denn nun läßt man Dir natürlich keine freie Bewegung mehr in Odensberg. Hast Dich recht ungeschickt benommen, mein Junge!“

„Sollte ich etwa die Wahrheit ableugnen?“ fragte Egbert mit gerunzelter Stirn.

„Warum nicht, wenn es nützen kann?“

„Dann sucht Euch einen anderen, der im Lügen geübter ist! Ich halte es für Feigheit, seine Ueberzeugung und seine Partei zu verleugnen und danach habe ich gehandelt.“

„Das heißt, Du hast wieder einmal gethan, was Dir gerade durch den Kopf ging, und Dich den Kuckuck um die Vorschriften gekümmert. Odensberg ist Dein Arbeitsfeld, mit den dortigen Genossen sollst Du Fühlung gewinnen, statt dessen baust Du ruhig eine Wasserleitung in Radefeld und läßt Dich nebenbei in dem sogenannten Herrenhause verhätscheln! Du weißt doch, weshalb wir Dich hergeschickt haben!“

„Und Du weißt, daß ich von jeher widerstrebt habe, daß mich schließlich nur ein ausdrücklicher Befehl der Parteileitung zwang.“

„Leider! Hast Du das Deinem Herrn Chef vielleicht auch angedeutet?“ Die Frage klang in vollster Schärfe.

„Nein,“ erwiderte Runeck kalt. „Er legte meiner Rückkehr einen ganz falschen Grund unter, und ich ließ ihn in seinem Irrthum. Ich wäre freiwillig nie wieder nach Odensberg gegangen und kann auch nicht hier bleiben, meine Stellung ist eine unhaltbare, unmögliche, ich habe es vorausgesehen.“

„Und trotzdem wirst Du bleiben müssen,“ sagte Landsfeld trocken. „Dies Odensberg ist wie eine uneinnehmbare Festung, die allen Angriffen trotzt. Der Alte hat die Leute kirre gemacht mit seinen Schulen und Krankenhäusern und Pensionskassen; sie fürchten die gute Versorgung zu verlieren, und vor allen Dingen haben sie eine heillose Angst vor ihrem Tyrannen – die Feiglinge! So oft wir auch den Hebel ansetzten, es war nichts zu machen, er hat sie gründlich mißtrauisch gemacht gegen unsere Agitatoren. Du bist ein Arbeiterkind, bist in ihrer Mitte aufgewachsen und hast noch jetzt vertraute Beziehungen zu ihrem Chef. Auf Dich werden sie hören und Dir werden sie auch folgen wenn es drauf ankommt.“

„Und zu welchem Zwecke?“ fragte Runeck finster. „Ich habe es Euch oft genug auseinandergesetzt, daß ein Aufstand in Odensberg völlig aussichtslos ist. Dernburg läßt sich nichts abzwingen, ich kenne ihn; eher schließt er seine Werke. Er ist der Mann danach, lieber jeden Verlust auf sich zu nehmen als nachzugeben, und er ist reich genug, das durchzuführen bis zum äußersten.“

„Eben darum muß ihm der Unfehlbarkeitsdünkel ausgetrieben werden! Er soll es wenigstens sehen, daß man sich an ihn wagt, der Geldprotz, der auf seinen Millionen sitzt und praßt, während –“

„Das ist nicht wahr!“ brauste Egbert leidenschaftlich auf, „und Du weißt, daß es eine Lüge ist, was Du da aussprichst! Dernburg arbeitet mehr als ich und Du. Ich habe oft genug seine Riesenkraft und Riesenausdauer bewundert, mit der er den Jüngsten beschämt. Und die Erholung sucht er nur im Kreise seiner Familie. Ein für allemal, ich dulde es nicht, daß der Mann in meiner Gegenwart verleumdet wird.“

„Oho, sprichst Du aus dem Tone?“ rief Landsfeld, nun auch gereizt. „Du nimmst Partei für ihn, gegen uns? Da sieht man doch, wie zahm das Herrenleben macht, wenn man es einmal gekostet hat!“

„Nimm Dich in acht, Du könntest sonst erfahren, daß ich nichts weniger als zahm bin,“ sagte Egbert ruhiger, aber in drohendem Tone. „Ich wiederhole es Dir, ich dulde dergleichen nicht, denn das hat nichts zu thun mit unserer Sache. Entweder Du unterläßt diese persönlichen Ausfälle gegen Dernburg oder –“

„Oder?“

„Ich betrete Deine Schwelle nicht mehr, und die meine werde ich zu schützen wissen vor Dingen, die ich nicht hören will.“

Landsfeld zuckte gleichgültig die Achseln.

„Das heißt mit anderen Worten, Du willst mich zur Thüre hinauswerfen? Recht freundlich und kameradschaftlich, aber darum wollen wir uns nicht streiten. Bei uns ist es ja überhaupt nicht Sitte, viel Komplimente zu machen. Du kommst also zu der nächsten Versammlung?“

„Ja.“ Das Wort klang herb und grollend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_086.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)