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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


gedeckt ward, die verschiedensten Dinge besorgen müssen. Da bemerkte der gute Bursche, daß er eine wichtige Zuthat zu besorgen vergessen habe. Ganz niedergeschmettert nahte er sich seinem Gebieter, die Mütze verlegen durch die Finger gleiten lassend.

„Nun, was hat Ihnen die Petersilie verhagelt, Frettwurst?“

„Ach Herr Leutenant, ich hab’ die Botter vergessen.“

„Die Butter? Das ist mir eine schöne Geschichte! Man kann doch Damen aus dem Butterland kein trockenes Brot anbieten!“

„J, das macht gar nichts!“ erklärte Hilde.

Herbert gab sich aber nicht zufrieden. „Was machen wir nur, Frettwurst?“ fragte er nachdenklich.

„Soll ich flink mit die Jolle an Land fahren und welche von die Bauern ihre holen?“ schlug der Bursche vor.

Herbert sah ihn mit einem billigenden Blicke an. Das war’s, was er gewünscht hatte, einen Anlaß, den Getreuen auf ein halbes Stündchen los zu sein! Trotzdem Hilde dabei beharrte, daß ihretwegen die umständliche Besorgung ganz unnöthig sei, stimmte er seinem Burschen zu. Die „Bachstelze“ näherte sich dem Ufer, soweit es der flache Strand erlaubte, die winzige Jolle wurde ins Wasser gelassen, und unmittelbar darauf ruderte Frettwurst mit kräftigen Riemenschlägen auf den Brandungssaum zu.

So, nun befanden sich die beiden allein. Eiu Kuß hinter dem schützenden Segel leitete diesen netten Zustand ein.

Es dauerte ziemlich lange, bis Frettwurst eine geeignete Landungsstelle gefunden hatte, und langsam begleitete die „Bachstelze“ seine Suche. Als man endlich den Gelandeten auf das nächste, immerhin in ziemlicher Entfernung liegende Gehöft zutraben sah, bemerkte Herbert: „Was meinst Du, mein süßes Herz, sollen wir mittlerweile vor Anker gehen?“

Eine eigenthümliche Scheu, so in der Ruhe mit ihm allein zu sein, überkam Hilde. Sie wünschte eine harmlos ablenkende Thätigkeit. „Darf ich mich nicht lieber hier im stilleren Wasser noch ein bißchen im Kreuzen üben, Herbert?“

„Das könntest Du ja ebensogut zu anderer Zeit. Doch wie Du willst! Nur müssen wir dann wieder eine Strecke hinausfahren. Wir wollen die Taue besser anholen. Also etwas links das Ruder! So ist’s gut! Und hier hast Du auch etwas zum Knabbern dabei, damit Du mir nicht flau wirst!“ Er schob ihr durch die blanken Zähne ein Brödchen, auf das sie zufrieden einbiß.

Sie näherten sich wieder dem Küstenvorsprung, welcher den Seegang abhielt. „Jetzt paß auf, Hilde, wir wollen wenden!“

„Ach bitte, erst noch ein kleines Stück weiter!“

„Aber nicht viel! Merkst Du, wie wir den Wind schon wieder bekommen? Halte gut fest, hörst Du! Oder wart’, ich will Dir’s leichter machen!“

Herbert befestigte eilig einen kleinen Flaschenzug auf den Steuerhandgriff, so daß Hilde mit dessen Hilfe ohne große Mühe das Ruder zu regieren vermochte.

Aber urplötzlich brauste ein tückischer Windstoß einher, erfaßte die Segel und drückte die „Bachstelze“ tief auf die Seite. Der junge Offizier, der gerade eine verdächtige Befestigung des Großsegels geprüft hatte, sprang zurück. „Luv, luv, Hilde!“ schrie er.

Allein Hilde hatte ihre Sache schon zu gut gemacht und statt nur an den Wind zu drehen, schoß das Boot in ihn hinein und verlor vollständig die Fahrt. Von den sprühenden Wellen getroffen, wurde es nun auf und nieder geworfen, während das windgepeitschte Großsegel, den Segelbaum hin und her schleudernd, gewaltig flatterte.

Und von dem Schlagen und Tosen ganz verwirrt, ließ Hilde, ihres Amtes vergessend, das Steuer im Stich.

Eilig bückte sich Herbert, um, unter dem Segelbaum wegkriechend, auf der neuen Windseite an das losgelassene Ruder zu kommen. Im nämlichen Augenblick jedoch erfolgte ein zweiter, noch stürmischerer Windstoß, der schwere Baum holte über und - man hörte es förmlich krachen – traf mit seinem Eisenring den Offizier an die Schläfe. Lautlos stürzte der Getroffene zusammen, und aufschreiend warf sich Hilde über ihn.

Eine Sekunde später krachte oben die Maststenge mit dem Gaffeltopsegel fort, unten verwirrte sich die Leine des Flaschenzuges am Steuer, so daß dieses unbeweglich stand. Und wie ein Roß mit seinem bügellosen Reiter durchgeht, so sauste die „Bachstelze“, einen wilden Schaumschwall aufwühlend und mit dem prallen Großsegel fast auf dem Wasser liegend, rasenden Laufes in das tobende Meer hinaus.

*      *      *

Frettwurst trat vergnügt aus dem Bauernhaus. Er hatte spottbillig prachtvolle Butter eingehandelt und roch wohlgefällig an dem in frische Kohlblätter eingeschlagenen Stück, das er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, indem er bei sich dachte: „Dunnerslag, dat is en annern Kram, as de Stebelsmeer an uns Back![1] Dor ward sick mien Leutenant und sien Fräuln wat över högen!“[2] Jetzt streifte sein Blick zufrieden über die Butter weg in der Richtung der aufwärts stehenden Nase gen Himmel; da – erstaunt, bedenklich blieb das Auge haften, während die Butter sich senkte.

„So wat lewt nich mehr!“ murrte er. „Petrus hett dat ja bannig hild[3] mit hatt. Nu nümm dien Been man in de Hand, mien Jung, süns kann ‚Bachstelze‘ nich mehr tiedig rinner kamen und mag sick hier buten[4] den Schaden besehn!“

Er schlug einen kleinen Galopp an. Daß dabei seine Finger immer tiefere Beulen in das Butterstück drückten, dafür konnte er nichts. Als er aber, aus den Knicks herauskommend, den Strand übersah, wurde er von einer neuen Ueberraschung ganz überwältigt. Wie vom Donner gerührt blieb er auf dem Fleck stehen.

Die „Bachstelze“ befand sich nicht mehr in der Nähe, sondern weit, weit draußen! Den scharfen Augen des Matrosen entging das mehr als sonderbare Manöver, das sie soeben machte, nicht. Statt nach der Regel flott zu wenden, verlor sie die Fahrt, als wenn sie völlig steuerlos geworden wäre. Gleich darauf wurde sie von einer Bö gepackt, die ihr das Gaffeltopsegel wegnahm, sie auf die Seite preßte und offenbar in See verschlug. Ohne ihren schweren Bleikiel hätte sie bereits kentern müssen!

Regungslos, die Augen entsetzt aufgerissen, stand Frettwurst da. Es war rein unmöglich, daß sein Lieutenant ein solches Stück machen, daß dieser selbst die Herrschaft über das Steuerruder haben konnte! Ihm mußte etwas Schlimmes begegnet sein! Wenn er über Bord gefallen wäre – wenn das junge Mädchen allein da draußen segelte – barmherziger Himmel!

Mit einem Blick umfaßte der sonst langsam denkende Mann die Gefahr, welche ihm durch die fernen Zeichen verkündigt wurde. Blitzschnell begriff er, daß sein Herr der raschesten Hilfe bedürfe und daß niemand diese bringen könne außer ihm.

Aber wie sollte er sie bringen? Mit der Spielzeugjolle in die See hinauszugehen, wäre an sich schon ein bedenkliches Unterfangen gewesen – bei dem Wetter, das eben hereinbrach, war es offenbare Tollheit.

Und doch – der treue Bursche sah im Geiste seinen Herrn mit den Wellen ringen und das Fahrzeug mit dem Mädchen umschlagen, und ohne sich eine Sekunde weiter zu besinnen, rannte er, was ihn die Beine trugen, auf seine Jolle zu.

Gleich darauf schoß der „Seelenverkäufer“ wie ein Pfeil durch die Salzfluth, erst nur wenig, dann stärker und stärker sich hebend und senkend, bis er schließlich außerhalb des Landschutzes wie ein Kork von der rauhen See auf und ab geschleudert wurde, wobei jeder Wogemamprall einem Wasserrest in ihm zurückließ.

Längst war Frettwursts Mütze davongeflogen. Die Aermel über die sehnigen Arme zurückgestreift, arbeitete er sich in waghalsiger Entschlossenheit vorwärts, und der Schweiß rann in ganzen Bächen über sein sonnenverbranntes Gesicht.

Von Zeit zu Zeit schaute er sich forschend um, damit er den Kutter im Auge behalte. Doch nur zu bald sah er nichts mehr von dem weißen Segel und gleich darauf auch nichts mehr vom Lande; nur die dunkeln, mit Regen gemischten Böen und Welle auf Welle fegten über ihn weg.

Nun begriff er, daß er nichts mehr retten könne; nichts mehr! Auch sich nicht! Und er gedachte seiner Braut, und ob er nicht ihretwegen die Umkehr versuchen sollte.

Aber was half dies noch? Gegen die höher und höher steigende Brandung anzukommen. war jedenfalls unmöglich, und zudem trieb es ihn vorwärts mit jeder Faser seines treuen Herzens, so hoffnungslos das Beginnen auch war.

Vorwärts, vorwärts in das pfadlose endlose Grauen ließ er sich verschlagen. Doch nicht lange sollte es mehr dauern. Eine mächtige Woge warf sich wie ein Raubthier von hinten auf die Jolle. Im nächsten Augenblick war das kleine Ding, als ob es ein Stier auf die Hörner genommen hätte, emporgehoben und kopfüber in die tobenden Wasser geschleudert.

(Fortsetzung folgt.)


  1. Stiefelschmiere an unserem Schiffstisch.
  2. freuen.
  3. schrecklich eilig.
  4. außen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_067.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2020)