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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Auf Geben und Nehmen.

Novelle von Johannes Wilda.
(3. Fortsetzung.)


Als Hilde die Strandhöhe erreichte, stand Herbert schon wartend unter der Buche. Wie auf Kommando liefen sie aufeinander zu, und Herbert schwenkte das Mädchen gleich einem Federchen seitwärts hinter die grüne Coulisse, so daß ihr Hut davonflog. Hilde schalt und ließ sich doch den tollen Ausbruch seiner Zärtlichkeit so gerne gefallen.

Als der erste Sturm der Begrüßung vorüber war, schritten beide in geziemender Haltung, Hilde voran, auf die „Bachstelze“ zu. Festlicher als jemals sah das Fahrzeug aus. Frettwurst hatte das Messingputzen und Abwaschen des Holzes bis zu einem fast überirdischen Punkt der Vollkommenheit getrieben. Neue Segel waren untergeschlagen worden, kunstvolle Knoten bestachen das Auge nicht minder wie die Feiertagsdecken und Kissen und die beste Flagge. Und in Vervollständigung dieses Schmuckes prangte Frettwurst selbst in einem frischgewaschenen, blüthenweißen Hemd. Hildes Augen strahlten. Das alles war ihr zu Ehren geschehen!

Im Vollbewußtsein der Wichtigkeit dieses Tages grüßte Frettwurst stramm militärisch. Die junge Dame galt ihm von jetzt an ebensogut als Vorgesetzter wie sein Lieutenant. Nur in seinen Blicken spiegelte sich noch ein Rest der vertraulicheren Gefühle, die er einst dem mit ihm verschworenen kleinen „Katteker“ gewidmet hatte. Ins Unermeßliche aber stieg seine innere Wonne, als ihm Hilde kräftig die Hand drückte und sagte: „Sie haben mich sehr verpflichtet. Ich werde Ihnen das nicht vergessen!“

Respektvoll reichte nun der Schiffsherr seiner Dame den Arm; zierlich stieg Hilde über Bord, um dann großartig und behaglich zugleich als geehrte Hauptperson neben Herbert Platz zu nehmen. Und schon flog auch die Gaffel mit dem feingenähten, sich blähenden Linnen, von Frettwursts kräftigen Fäusten gezogen, zauberschnell empor, das Gaffeltopsegel entfaltete sich, und anmuthig seitwärts geneigt, glitt die „Bachstelze“ auf die sonnenbestrahlte blaue Fläche hinaus.

Hilde hätte aufjubeln mögen vor Lust. Wie stolz das Boot dahinflog, wie die Wasser rauschten! Und zur Seite den Geliebten, männlicher, schöner denn je!

Nur eines störte: die Unterhaltung mußte einen gewissen förmlichen Ton festhalten. Herbert hatte diesen absichtlich angeschlagen, da er ihm bei dem unklaren Verhältniß Hilde gegenüber um ihretwillen heute besonders geboten schien. Nur gestattete er sich, statt „Fräulein Jaspersen“ „Fräulein Hilde“ zu sagen.

Frettwurst hatte sich schon gestern abend über diese unerwartete Steifheit gewundert und wunderte sich jetzt noch mehr. Sie war doch seine „Würkliche“, warum duzten sie sich denn nicht? Indessen die feinen Leute hatten eben immer ihre Sitten für sich und fingen wohl erst nach der Hochzeit mit dem Duzen an!

Der Hafen zeigte sich sehr belebt. Gefüllt von Ausflüglern zuweilen mit Fahnen geschmückt und mit einer Musikbande an Bord, eilten Dampfer vorüber. Hier streiften elegante Jachten vorbei, dort kleine Fischerboote, braunrothe Segel an ihren Masten tragend.

Fahrzeugen der Marine segelte Herbert aus dem Wege. Nur als eine Ruderbarkasse ohne Offizier daherkam, ging er dicht vorbei, und Hilde fühlte sich kindlich mit geehrt, als die Matrosen zur Begrüßung des Vorgesetzten auf Kommando die Riemen horizontal ausgerichtet rasten ließen. „Wenn ich erst Kapitän bin, strecken sie die Ruder hoch in die Luft,“ scherzte Herbert.

Hilde träuntte ihn einen Augenblick als Kapitän und sich – Unsinn! Sie machte eine heftige Bewegung, um den dummen Gedanken zu verscheuchen. Dabei faßte der Wind ihren breiten Strohhut und entführte ihn ins Wasser.

„O weh, mein neuer Hut!“

Schon aber hatte Herbert, rasch gefaßt, die Wendung begonnen. Frettwurst mußte sich mit dem Haken bereit stellen und erhielt den Befehl, die äußerste Vorsicht anzuwenden, denn es sei ein ander Ding, so ein luftiges Gebilde von Damenhütchen zu fischen als eine Kommißmütze. Geschickt manövrierte der Offizier an dem verlorenen Gegenstand vorüber, so daß er selbft ihn im Vorbeigleiten mit der Hand ergreifen konnte, während Frettwurst aus lauter Zartgefühl ins Wasser statt in den Hut gehakt hatte.

Glücklich brachte Herbert das triefende Ding an Bord. Zwar war der duftige Besatz etwas mitgenommen, allein Hilde nahm das nicht schwer. Sie fühlte sich sehr erleichtert. Was hätte sie der Mama sagen sollen, wenn sie ohne Hut hätte zurückkehren müssen! Herbert belustigte sich über ihr noch halb besorgtes, halb wieder erheitertes Gesicht. „Solche Windfänger eignen sich überhaupt nicht für den Sport, Fräulein Hilde! Wir wollen das Gebäude in die Kajüte zum Trocknen legen. Aber was machen wir mittlerweile mit Ihrem Kopfe?“

Fröhlich ließ Hilde ihre Stirnhärchen im Winde wehen. „Ach, ich brauche gar nichts!“

„Doch, die Sonne scheint noch zu stark. Warten Sie! – Ist die Mütze von Frau Kapitän von Zarnin noch da, Frettwurst?“

„Ja, Herr Leutenant.“

Frettwursts Riesenleib zwängte sich in den Kajütenraum hinein; nach einiger Zeit tauchte der erfolgreiche Finder freudestrahlend mit einem Matrosenmützchen voll hellblauer Wolle wieder auf.

„Das ist ja famos! – Frau von Zarnin hat nämlich im vorigen Monat mit ihrem Gatten häufig meine Fahrten auf der ‚Bachstelze‘ mitgemacht, da sie den Seesport liebt, und da ist diese Mütze vergessen worden. Setzen Sie dieselbe einmal auf!“

Hilde drückte sich das kleidsame, oben durch einen Knopf verzierte Mützchen keck auf den Scheitel. Wie entzückend sie aussah! Herbert wünschte den guten Frettwurst zu allen Teufeln. Der aber schien plötzlich tiefsinnig geworden zu sein, vielleicht wegen seiner vorherigen Ungeschicklichkeit, obgleich er deshalb nicht so anhaltend nach Nordost hätte zu starren brauchen.

„Gucken Sie ein Loch in die Natur, Frettwurst?“

„Zu Befehl, Herr Leutenant! Ich glaub’, die ‚Teutoburg‘ kümmt.“

„Die ‚Teutoburg‘? Das ist ja herrlich! Geben Sie ’mal rasch das Doppelglas her! – Das Schiff kehrt von Chile zurück, Fräulein Hilde, und wurde schon vor mehreren Stunden erwartet. Bei dem guten Winde, den es jetzt hat – er bat sich sonderbarerweise wieder gedreht – wird es wahrscheinlich hereinsegeln. Wenn es dann salutiert, giebt es ein prächtiges Schauspiel. Das müssen Sie sich anschauen; wir wollen uns in der Nähe halten!“

Durch das Glas sah man über dem Horizont schon die drei segelbedeckten Masten der Fregatte. Bald wuchsen sie auch für das unbewaffnete Auge deutlich empor, und endlich wurde der Rumpf erkennbar. Die „Bachstelze“ kreuzte hin und her, bis die „Teutoburg“ mit rother gelbgekreuzter Flagge am vordersten Mast in die Hafenbucht einlief. Gern hätte Herbert die heimkehrenden Kameraden begrüßt und Hilde das stolze Bild mehr in der Nähe gezeigt, allein bei genauerer Ueberlegung hielt er es für richtiger, sich seitab zu halten. Der Anblick war auch so majestätisch genug.

Bis zum Großflaggenknopf, von dem langhin der Heimathwimpel wehte, in seine Leinwand gehüllt, eilte das Schiff dahin, eine schäumende Spur durch die See ziehend, während auf den Geschützläufen, die aus den dunklen Luken des Batterieganges hervorlugten, die Sonne glänzte. Durch das Fernglas erkannte Hilde deutlich die Offiziere auf der Kommandobrücke, die Matrosen, die in den Masten standen oder vorn auf der Back am Klarmachen des Bugankers arbeiteten. Ein schwarzes Pünktchen schwebte zu einer der Mastspitzen empor.

„Passen Sie auf, Fräulein Hilde, das ist eine zusammengerollte Flagge! Gleich wird ein Salut gefeuert!“

Da blitzte es auch schon roth in einer Stückpforte auf, ein weißes Wölkchen drängte sich kräuselnd heraus und ward immer größer und grauer. Nun ein gewaltiger Krach, vom Ufer her nachrollendes donnerndes Echo. Und jetzt stieg auch auf der dem Boote abgekehrten Breitseite Rauch auf, gefolgt von neuem, etwas gedämpfterem Getöse, und so ging es eine Weile fort, in demselben Tempo, in dem Herbert zu Hildes Belehrung nachahmend kommandierte: „Backbord ... Feuer! - - Steuerbord ... Feuer!“

Kaum hatte die „Teutoburg“ ihren ehrenden Gruß beendet, so wurde vom Hauptfort in gleicher Weise gedankt.

Obgleich dieser Ohrenschmaus für Hilde keineswegs neu war, so besaß doch das ganze Schauspiel, wie sie meinte, hier von der See aus eine ungeahnte Großartigkeit. Aber ihre Bewunderung

war keine ungetrübte. Wenn ein Krieg ausbrechen würde und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_064.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2022)