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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Auf Geben und Nehmen.

Novelle von Johannes Wilda.
(2. Fortsetzung.)


Während sich der Lieutenant mit Behagen dem Zauber hingab, welchen Hilde bei dem einfachen Mahl als kleines Hausmütterchen entfaltete, sollte auch dem einsamen Frettwurst sein Theil vom Glück dieses Tages zufallen. Hilde hatte ihre Verpflichtung nicht vergessen und schickte Trina, die ebenso robuste als treue Magd des Schulhauses, mit einem sehr ausgiebigen Abendbrot zu dem Hüter der „Bachstelze“ hinaus.

Frettwurst lachte über das ganze Gesicht, als Trina sich ihm vorgestellt und Rothe Grütze, Käse, Butter und Brot vor ihm ausgebreitet hatte. Eine Weile sah sie ihm dann vom Stege aus zu, während er trotz seines inneren Kummers mit unvermindertem Appetit einen planmäßigen Angriff auf die Leckerbissen unternahm.

„So so, bie’n Scholmeister is min Leutenant?“ meinte er, behaglich kauend.

„Ja, und wat uns’ Fräulen is, de Hilde, de hett mi herschickt. Se kunn mi gor nich genog för Di uphalsen, jüst, as wenn se Din langen Liew all mal sehn hat.“

Dabei lachte Trina nicht ohne Wohlgefallen den Hünen vor ihr an, obschon sie als reife Vierzigerin es längst aufgegeben hatte, sich zu verheirathen. Ihr Ehrgeiz bestand einzig darin, der Familie Jaspersen bis an ihr Ende die Stütze zu bleiben, die sie ihr bereits seit fünfzehn Jahren gewesen war, und über das Wohl jedes einzelnen Familiengliedes mit eifersüchtigen Augen zu wachen.

Frettwurst hatte bei den Worten der Magd hoch aufgehorcht; ihm begann plötzlich ein Licht über die Nadelgeschichte zu dämmern. „Is Din Fräulen wull so ’ne lütte Deern’, so ’n Katteker[1], dat awerst ok höllisch forsch sin kann?“ fragte er eindringlich.

Trina erklärte diese Beschreibung für zutreffend. „Denn hest Du se doch wull all sehn?“ meinte sie mißtrauisch. „Büst Du mit Din Leutenant all öfters hier west?“

Frettwurst schüttelte unwillig das Haupt. „Dat geiht Di gor nix an, min Söte! Ob min Leutenant se all kennt hett, weet ick nich; ick heff ehr blot een Mal so nah den Barg dor herupkajohlen sehn un dach mi glik, dat se hier rüm wahnen müßt’. Awerst se mutt en goodes Hart hebben, dat se mi den gansen Kram hier schickt.“

„Hest Du dor en Tmiefel an hatt? Wenn Din Leutenant awerst blot so ’n windigen Kirl is, de de Mätens dummes Tüg vörflunkert, as de Mannslüd dat so an sick hebben, denn hebbt Yi beter wegbliewen künnt!“

„Snack doch nich as de Buer vun’t Schipp! Wenn min Leutenant in Yi Hus kümmt, denn is dat ’ne grote Ehr’ för Yu. Wat he seggt, dor kann sick jede Deern’ up to verlaten! Un riek is he ook, wat man vun ’n Scholmeister wull nich seggen kann.“

„Nanu! Wi hebbt ook noch to bieten!“ rief Trina ärgerlich, indem sie ihre rothen Arme in die Seite stemmte. „Wat Yi Mariners sick man inbilt! Is dat de Dank för dat schöne Eten von uns’ Fräulen?“

Frettwurst sah ein, daß er im Begriff gewesen war, über der Vertheidigung seines Herrn die schuldige Dankbarkeit außer acht zu lassen. „Na, schimp man ni furt![2]“ lenkte er gutmüthig ein. „Dat hett mi verdammt fein smeckt; ick lat mi ok veelmals bedanken.“

Trina war besänftigt. Da der Matrose jetzt mit dem letzten Bissen fertig war, packte sie das Geschirr wieder in ihren Korb, und die beiden ehrlichen Seelen verabschiedeten sich voneinander in gegenseitiger Zufriedenheit. – –

„Fru Jaspersen,“ sagte Trina daheim, als Herbert gegangen war, „de Leutenant vun de Mariners is en rieken jungen Mann, aß[3] sien Burß mi vertellt het, und smuck is he ok. Meenen Se wull, dat he um uns’ lütt’ Hilde to friegen[4] kamen is?“

Mutter Jaspersen wurde böse. „Ich bitte mir aus, Trina,“ rief sie, „daß Du Hilde nichts von solchem dummen Zeug hören läßt! Dem Herrn ist es bei uns behaglich, das ist alles. Im übrigen pflegen sich die Officiere nicht gerade Lehrerstöchter zu ihren Frauen zu wählen!“

Aber trotz dieser entschiedenen Abwehr ward Frau Jaspersen in der Tiefe ihres mütterlichen Herzens Trinas Frage nicht so ohne weiteres los. Waren ähnliche Verbindungen nicht schon öfters dagewesen? Und war Hilde nicht mit allen Vorzügen des Körpers und Geistes ausgestattet? Noch ein wenig Schliff, und das Mädchen stand der vornehmsten Dame nicht nach! Wie dem aber auch sein mochte, vorläufig galt es, still zu beobachten und die Ruhe des Töchterchens vor Störungen zu hüten.

So oft Herbert nun erschien, und das geschah im Laufe der nächsten Wochen ziemlich häufig, bezeigte sie ihm eine sich stets gleichbleibende Liebenswürdigkeit. Das Nämliche geschah von seiten ihres Mannes, nur bewahrte dieser vollständig die ursprüngliche Harmlosigkeit seines Wesens. Die Möglichkeit einer Heirath zwischen den beiden jungen Leuten kam ihm gar nicht in den Sinn, und eine bloße Liebelei hielt er bei Herberts Ehrenhaftigkeit und Hildes Charakter für ausgeschlossen; der Verkehr zwischen beiden zeigte auch immer mehr das Bild einer fröhlichen Kameradschaft, bei der man gut Freund ist, ohne die Wege der Leidenschaft zu suchen.

Nur Trina mit ihrer Menschenkenntniß machte andere Beobachtungen. Aber da ihr Frau Jaspersen Schweigen geboten hatte, so begnügte sie sich damit, bedenklich den Kopf zu schütteln und sich vorzunehmen, wie ein Engel über jeden Schritt von Hilde wachen zu wollen.

Da Herbert nicht, wie es ihn trieb, jede freie Stunde im Schulhaus zubringen konnte, sondern schicklicher Weise immer wieder einige Tage zwischen seinem Kommen verstreichen lassen mußte, so benutzte er diese nothgedrungenen Pausen, um der Bank auf der Strandhöhe lange Besuche abzustatten. Dann saß er voll sehnsüchtiger Hoffnung unter der Buche, oder er wanderte über das Feld, bis er die Fenster des Schulhauses zu sehen vermochte.

Und Hilde war es nicht anders zu Muthe als Herbert. Mehr als einmal schon war sie leichtfüßig zu ihrem Lieblingsplatz hinaufgeeilt. Dort pflegte sie träumerisch nach der Binnenföhrde zu blicken, wo die „Preußen“ vor Anker lag. In ängstlicher Spannung folgte sie jedem vorübergleitenden Segel, lauschte sie, ob nicht der „Liebe Augustin“ vom Strand heraufklänge, um sich, wenn nichts zu vernehmen war, mit geschlossenen Augen in die Bank zurückzulehnen und erinnerungsreichen, süßen, süßen Phantasien nachzuhängen.

Auch heute saß sie dort oben und schaute hinunter auf die Bucht. Plötzlich pochte ihr Herz gewaltig und eine jähe Röthe überströmte ihr Gesicht – sie hatte in einem heransegelnden Fahrzeug die „Bachstelze“ erkannt. Vorschreitend spähte sie dem Kutter entgegen, und bald erkannte sie in dem scheinbar theilnahmlos am Ruder sitzenden Manne den Bewunderten – den Geliebten!

Nun huschte sie zur Bank zurück und schlug ihr Buch auf. Doch sie las nicht eine Zeile. Kein Knarren der Takelung, kein Befehlsruf, kein Schritt auf den Brückenbrettern und dann auf dem nahen Pfad entging ihrem Ohr. Jetzt krachte ein trockenes Reis und hinter den Haselbüschen hervor drang ein bekannt klingendes Räuspern zu ihr her.

Mit zitternden Fingern strich sie das krause Haar aus der heißen Stirn und nahm das Buch dicht vors Gesicht.

„Hilde!“ – Das war ein Ruf der freudigsten Ueberraschung, er zuckte Hilde wie Feuer durch die Nerven, so daß sie nicht imstande war, ihre Maske festzuhalten. Sie sprang auf und voll Verwirrung ging sie dem Ankömmling einige Schritte entgegen.

Herbert eilte auf sie zu. „Sie hier, Hilde? Welche Freude!“ rief er fast jauchzend. Und alle Schranken vergessend, ergriff er ihre Hand und drückte sie stürmisch an die Lippen.

„Wollten Sie zu uns?“ stammelte das junge Mädchen mit unsicherer Stimme.

„Nein, nur hierher! Hier auf diesem gesegneten Platze wollte ich dessen doppelt gedenken, was ich all mein Lebtag nicht vergessen werde!“

Das Mädchen zitterte und griff hinter sich nach der Banklehne, es schien, als ob eine Ohnmacht sie anwandle. Aber schon hatte Herbert sie umfaßt und gestützt. Mit einem dankbaren Blicke sah sie ihm in die leuchtenden Augen, dann senkte sie die Lider so rasch, als wenn sie sich vor einer gefährlichen Flamme hüten müßte.

Da konnte Herbert nicht länger widerstehen - er preßte seine Lippen wieder und wieder, immer länger, immer glühender

  1. Eichkätzchen.
  2. nicht sofort.
  3. wie.
  4. freien.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_047.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)