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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Das Herrenhaus lag eine Strecke von den Werken entfernt, auf einer Anhöhe, die das ganze Thal beherrschte. Es war ein mächtiges Gebäude in vornehmem Stil, mit einer breiten Terrasse, langen Fensterreihen und einem großen säulengetragenen Altan über der Eingangspforte. In die weit ausgedehnten Parkanlagen hatte man die Ausläufer des Bergwaldes hineingezogen, die mit ihren prachtvollen uralten Bäumen einen äußerst wirkungsvollen Hintergrund bildeten. Es war ein schöner stolzer Wohnsitz, der wohl den Namen eines Schlosses verdient hätte, aber Dernburg liebte es durchaus nicht, wenn man ihm diese Bezeichnung gab, und so war und blieb er denn das „Herrenhaus“ von Odensberg.

Die Familie pflegte den größten Theil des Jahres hier zuzubringen, obgleich Dernburg noch verschiedene Güter besaß, die weit schöner lagen, und auch in Berlin einen Wohnsitz hatte. Er kam aber nur nach der Hauptstadt, wenn seine Pflicht als Mitglied des Reichstages ihn dorthin rief; auch seinen Gütern stattete er meist nur kurze und flüchtige Besuche ab, Odensberg forderte die Hand und das Auge des Herrn, und es war seine eigenste Schöpfung. Hier auf diesem Boden war er unumschränkter Herrscher, hier konnte Großes gewonnen oder verloren werden, und deshalb war und blieb es sein Lieblingsaufenthalt.

Wie die äußere Stellung, so war das Familienleben Dernburgs ein tadelloses. Er hatte mit seiner Gattin, einer weichen unselbständigen Natur, die sich dem kraftvollen Manne gänzlich unterordnete, eine musterhafte Ehe geführt. Jetzt vertrat seine einzige Schwester, eine verwitwete Frau von Ringstedt, die Dame des Hauses. Sie lebte seit einer Reihe von Jahren bei dem Bruder und ersetzte seinen Kindern die früh verstorbene Mutter. –

Es war gegen Ende des April, aber das Wetter blieb rauh und unfreundlich. Im Süden hatte der Frühling schon vor zwei Monaten die Erde mit seiner Blüthenfülle überschüttet, hier im Norden wagten sich Blätter und Knospen noch kaum aus ihrer Hülle hervor, und über dem ernsten dunklen Tannengrün der Waldberge lag ein grauer wolkenumzogener Himmel.

Im Herrenhause wurden heute Gäste erwartet. Die Vorhänge der Fremdenzimmer im oberen Stocke waren weit zurückgeschlagen, und der kleine Salon, der zu diesen Räumen gehörte, hatte ein festliches Aussehen. Ueberall dufteten und blühten Blumen; zarte farbenreiche Frühlingskinder, die freilich jetzt noch den Treibhäusern entstammten, schmückten in verschwenderischer Fülle den offenbar für eine Dame bestimmten Raum.

Es waren auch zwei Damen, die sich augenblicklich hier befanden. Die eine, jüngere, unterhielt sich damit, einen kleinen weißen Seidenspitz zu necken, den sie unaufhörlich zum Springen und Bellen reizte, während die andere prüfend den Salon musterte, hier einen Sessel zurechtschob, dort einen Vorhang weiter zurückschlug und das Schreibgerät auf dem Schreibtisch nochmals ordnete.

„Müssen Sie denn Ihren Puck fortwährend um sich haben, Maja?“ sagte die Aeltere mißbilligend, „Er richtet nichts als Unfug an und hätte vorhin beinahe die Decke sammt der Blumenvase vom Tische gerissen,“

„Ich habe ihn ja eingesperrt, aber er ist entwischt und mir nachgelaufen,“ rief Maja, „Ruhig, Puck! Du mußt artig sein, Fräulein Friedberg befiehlt es mit blutgieriger Strenge.“

Sie rief es lachend und schlug zugleich mit ihrem Taschentuch nach dem kleinen Thier, das sofort mit lautem Gekläff das Tuch zu packen versuchte. Fräulein Friedberg zuckte nervös zusammen und stieß einen Seufzer aus.

„Und das will nun eine erwachsene junge Dame sein! Ich habe es neulich erst Herrn Dernburg geklagt, daß mit Ihnen nichts anzufangen ist. Sie stecken noch ganz voll Kinderpossen und überbieten den Puck womöglich noch in allerlei Koboldstreichen, Wann werden Sie endlich ernst und vernünftig werden!“

„Hoffentlich noch lange nicht,“ erklärte Maja. „Es ist ja alles so schrecklich ernsthaft und vernünftig in Odensberg, der Papa, die Tante, Sie, Fräulein Leonie, und mit Erich war in der letzten Zeit auch gar nichts anzufangen, der seufzte und sehnte sich fortwährend nach seiner Braut. Und nun soll ich auch noch vernünftig gemacht werden! Aber das lassen wir uns nicht gefallen, nicht wahr, Puck? Wir wenigstens wollen lustig sein!“ Und sie faßte Puck bei den Vorderpfoten und ließ ihn auf den Hinterbeinen Tanzübungen machen, obgleich er sein Mißfallen darüber sehr deutlich kundgab.

Maja Dernburg, die sich so nachdrücklich gegen die Vernunft wehrte, war offenbar eben erst dem Kindesalter entwachsen und konnte höchstens siebzehn Jahre alt sein. Sie war eine jener frischen Gestalten, bei deren Anblick jedem das Herz aufgeht, die jeden anmuthen wie heller Sonnenschein, Das reizende Gesichtchen, das nur eine sehr entfernte Aehnlichkeit mit dem Bruder zeigte, strahlte in der rosigen Farbe der Jugend und Gesundheit, und die schönen braunen Augen hatten nichts Verschleiertes wie die Erichs, sie blickten klar und leuchtend, noch von keinem Schatten getrübt, in die Welt. Das blonde, hie und da goldig schimmernde Haar floß, nur von einem Bande gehalten, voll und lockig über die Schultern herab, während einzelne kleine Löckchen, die sich dem Bande nicht fügen wollten, sich eigenwillig über der Stirn kräuselten. Die Züge waren noch halb kindlich und die feine zierliche Gestalt hatte sich augenscheinlich noch nicht zu ihrer vollen Höhe entwickelt. Aber gerade dies gab dem jungen Mädchen einen unsagbaren Reiz.

Fräulein Leonie Friedberg, die Erzieherin der jungen Tochter des Hauses, die noch immer ihres mitunter nicht leichten Amtes waltete, obgleich die eigentliche Ausbildung Majas vollendet war, stand in der Mitte der Dreißig und war eine wenn auch nicht mehr jugendliche, doch ansprechende Erscheinung, eine schlanke sehr zarte Gestalt mit dunklen Haaren und Augen und einem etwas leidenden Ausdruck in den blassen angenehmen Zügen. Sie beantwortete die übermüthige Bemerkung ihres Zöglings mit einem Achselzucken und warf dann einen prüfenden Blick durch das Zimmer. „So, nun wären wir fertig! Sie sind aber allzu verschwenderisch mit den Blumen gewesen, Maja, der Duft ist fast betäubend.“

„O, eine Braut muß man überschütten mit Blumen! Cäcilie soll es schön finden in ihrer künftigen Heimath, und Blumen sind das Einzige, womit wir sie bei der Ankunft begrüßen können, da Papa nicht will, daß irgend ein größerer Empfang stattfinde.“

„Selbstverständlich, wenn die Verlobung erst von hier aus öffentlich angekündigt werden soll.“

„Aber dann giebt es ein Verlobungsfest und eine große große Hochzeit!“ jubelte Maja. „O ich bin so neugierig, Erichs Braut zu sehen. Schön muß sie sein, wunderschön, Erich schwärmt mir fortwährend davon vor, aber er stellt sich so komisch an als verliebter Bräutigam. Am helllichten Tage träumt er immer nur von seiner Cäcilie! Papa ist schon einigemal ernstlich böse darüber geworden und gestern sagte er zu mir: ‚Nicht wahr, meine kleine Maja, Du wirst Dich verständiger benehmen, wenn Du einmal Braut bist?‘ Natürlich werde ich das, ungeheuer verständig werde ich sein!“ Und um das nachdrücklich zu beweisen, nahm sie Puck auf den Arm und wirbelte mit ihm im Zimmer herum wie ein Kreisel.

„O ja, das ist sehr wahrscheinlich!“ rief Fräulein Leonie entrüstet. „Maja, ich bitte Sie um Gotteswillen, benehmen Sie sich nicht wieder wie eine wilde Hummel, wenn die neuen Verwandten eintreffen. Was sollen Baroneß Wildenrod und ihr Bruder von Ihrer Erziehung denken, wenn sie eine beinahe siebzehnjährige junge Dame so herumtollen sehen!“

Maja hatte inzwischen ihren Rundtanz beendet und ihren Puck freigegeben, jetzt stellte sie sich mit feierlicher Miene vor ihre Erzieherin hin.

„Ich werde mich zur allerhöchsten Zufriedenheit benehmen, ich weiß ganz genau, wie man es macht. Miß Wilson hat es mir beigebracht, die englische Gouvernante mit dem gelben Gesicht und der spitzen Nase und der unendlichen Gelehrsamkeit – sehen Sie doch nicht so böse aus, Fräulein Leonie, ich spreche ja nicht von Ihnen! – Miß Wilson war wirklich sehr langweilig, aber den Hofknix habe ich bei ihr gelernt, sehen Sie, so!“ – sie machte eine feierlich tiefe Verbeugung – „damit werde ich meiner künftigen Schwägerin imponieren, und dann falle ich ihr um den Hals und küsse sie, so und so –“ und damit überfiel sie das ahnungslose Fräulein mit stürmischen Liebkosungen.

„Aber Maja, wollen Sie mich totdrücken?“ rief die Dame ärgerlich, indem sie sich mit einiger Mühe befreite. „Mein Gott, da schlägt es schon zwölf Uhr! Wir müssen hinunter, ich will nur noch einen Blick in die Schlafzimmer werfen, ob dort alles in Ordnung ist.“

Sie verließ den Salon, und Maja flatterte wie ein Schmetterling die Treppe hinunter, während Puck ihr selbstverständlich nachlief.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_042.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)