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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Wenn mir das nur nicht so schwer würde!“ seufzte Erich. „Du weißt ja nicht, was mich dort im sonnigen Süden so lange und so unwiderstehlich festhielt.“

„Doch, aus den Andeutungen in Deinem letzten Briefe errieth ich ohne Mühe die Wahrheit – oder soll es noch ein Geheimniß sein?“

Ueber Erichs Züge flog ein helles glückliches Lächeln, während er leise den Kopf schüttelte.

„Für Dich nicht, Egbert. Mein Vater wünscht, daß es vorläufig noch nicht in Odensberg bekannt werde, aber Dir kann ich es sagen, daß ich unter den Palmen der Riviera, am Gestade des blauen Meeres das Glück gefunden habe, ein Glück, so berauschend, so märchenhaft, wie ich es mir nie geträumt. Wenn Du sie sehen würdest, meine Cäcilie, mit ihrer berückenden Schönheit, ihrer hinreißenden Liebenswürdigkeit – ja freilich, das ist nun wieder Dein kaltes spöttisches Lächeln, mit dem Du jede Schwärmerei, jedes heißere Gefühl verurtheilst. Du strenger Cato hast die Liebe ja nie gekannt, nie kennen wollen.“

Runeck zuckte die Achseln.

„Ich habe von frühester Jugend auf angestrengt arbeiten müssen, und in einem solchen Leben hat die Romantik selten Platz. Für das, was Du Liebe nennst, hat unsereins keine Zeit.“

Die rücksichtslose Bemerkung verletzte den jungen Bräutigam, er fuhr erregt auf:

„Also die Liebe ist Dir nur ein Zeitvertreib für Müßiggänger? Du bist der Alte geblieben, Egbert! Du hast freilich nie an jene geheimnißvolle übermächtige Gewalt geglaubt, die zwei Menschen unwiderstehlich zueinander zieht und aneinander kettet.“

„Nein!“ sagte Egbert mit kühler, beinahe spöttischer Ueberlegenheit. „Aber laß uns nicht darüber streiten. Du mit Deinem weichen Herzen mußt Liebe geben und empfangen, für Dich ist das Lebensbedingung. Ich bin nun einmal nicht dafür geschaffen, ich habe von jeher andere Ziele im Auge gehabt – und die vertragen sich nicht mit Liebesträumen. – Deine Braut heißt also Cäcilie?“

„Cäcilie von Wildenrod. – Was hast Du? Kennst Du den Namen?“

Runeck hatte allerdings gestutzt, als der Name ausgesprochen wurde, und es war ein eigenthümlich forschender Blick, den er auf den Jugendfreund richtete.

„Ich glaube, ihn früher einmal gehört zu haben,“ erwiderte er. „Es war dort von einem Freiherrn von Wildenrod die Rede.“

„Vermuthlich mein künftiger Schwager,“ sagte Erich unbefangen. „Es ist eine alte bekannte Adelsfamilie. Doch vor allen Dingen mußt Du meine Cäcilie sehen, ich habe sie dem Vater und der Schwester wenigstens im Bilde vorgestellt.“

Er nahm ein größeres Bild, das auf dem Schreibtische des Vaters lag, und reichte es dem Freunde. Die sehr ähnliche Photographie gab allerdings nicht den ganzen Reiz des Originals wieder, aber sie zeigte doch dessen Schönheit, und die großen dunklen Augen blickten den Beschauer voll an. Egbert sah schweigend darauf nieder, ohne ein einziges Wort zu sprechen; erst als er dem erwartungsvoll fragenden Blick des Bräutigams begegnete, sagte er:

„Ein sehr schönes Mädchen!“

Das klang eisig kalt und es erkältete auch Erich, der wohl wußte, daß sein Jugendfreund für Frauenschönheit unempfänglich war, der aber doch auf einen wärmeren Ausdruck der Bewunderung gerechnet hatte. Sie standen beide am Schreibtisch, Runecks Blick fiel dabei zufällig auf eine zweite Photographie, die gleichfalls dort lag, und wieder flog jener eigenthümliche Ausdruck über seine Züge wie vorhin bei der Nennung des Namens, ein plötzliches Aufzucken, das freilich nur einen Augenblick dauerte.

„Und dies hier ist vermuthlich der Bruder Deiner Braut?“ sagte er. „Man sieht es an der Aehnlichkeit.“

„Es ist Oskar von Wildenrod, allerdings, aber eine Aehnlichkeit ist doch eigentlich nicht vorhanden. Cäcilie gleicht ihrem Bruder nicht im mindesten, es sind ganz andere Züge.“

„Aber dieselben Augen!“ sagte Egbert langsam, während er unverwandt die beiden Bilder betrachtete, dann schob er sie plötzlich von sich und wandte sich ab.

„Und Du hast nicht einmal einen Glückwunsch für mich?“ fragte Erich vorwurfsvoll, durch diese Gleichgültigkeit gekränkt.

„Verzeih’, ich vergaß es. Mögest Du glücklich werden, so glücklich, wie Du es verdienst! – Doch ich muß zu Deinem Vater, er erwartet mich, und Du weißt, er verlangt unbedingte Pünktlichkeit.“

Er wollte offenbar abbrechen. Auch Erich erinnerte sich jetzt an die bevorstehende Unterredung und an das, was dabei zur Sprache kommen sollte.

„Papa ist in seiner Bibliothek,“ erwiderte er, „und da will er nicht gestört sein. Du hast also noch Zeit. Er hat Dich aus Radefeld hergerufen – ist Dir bekannt, weshalb?“

„Ich vermuthe es wenigstens. Hat er mit Dir darüber gesprochen?“

„Ja, und ich erfuhr durch ihn das erste Wort von der Sache. Egbert, um Gotteswillen, Du kennst doch meinen Vater und weißt, daß er eine solche Richtung nun und nimmermehr auf seinen Werken duldet.“

„Er duldet überhaupt keine andere Richtung als die seinige,“ entgegnete Egbert kalt. „Er kann und wird es nie begreifen, daß der Knabe, der ihm Erziehung und Ausbildung dankt, zum Manne geworden ist, der sich herausnimmt, eigene Ansichten zu haben und seine eigenen Wege zu gehen.“

„Diese Wege scheinen allerdings weit ab zu führen von den unserigen,“ sagte Erich leise. „Du hast mir in Deinen Briefen nie die geringste Andeutung darüber gemacht.“

„Wozu? Du solltest ja geschont und vor jeder Aufregung bewahrt werden, und Du würdest mich auch nicht verstanden haben, Erich. Du hast Dich von jeher schon abgewendet von allen Fragen und Kämpfen der Gegenwart, ich habe ihnen ins Auge gesehen, bin in den letzten Jahren mitten drin gestanden. Wenn sich dabei eine Kluft aufgethan hat zwischen uns – ich kann es nicht ändern.“

„Zwischen uns doch nicht, Egbert! Wir sind ja Freunde und werden es bleiben, was auch geschehen mag. Denkst Du, ich habe es vergessen, daß ich Dir mein Leben danke? Freilich, davon willst Du nun wieder nichts hören, aber ich fühle ihn noch immer, den Sturz in die eisige Flut, die Todesangst, als der reißende Wirbel mich ergriff, und dann das wonnige Gefühl der Rettung, als Dein Arm mich umfaßte. Ich habe sie Dir nicht leicht gemacht, ich klammerte mich so krampfhaft an Dich, daß Dir fast kein Raum zur Bewegung blieb, und brachte Dich selbst in die äußerste Gefahr. Jeder andere hätte die gefährliche Last abgeschüttelt, Du ließest mich nicht los, Du hieltest aus mit Deiner Riesenkraft und arbeitetest Dich vorwärts, bis wir beide das rettende Ufer erreichten. Es war eine Heldenthat für einen sechzehnjährigen Knaben.“

„Es war eine gute Schwimmprobe, weiter nichts,“ versetzte Runeck ablehnend. „Ich schüttelte das Wasser aus den Kleidern und wurde wieder trocken, während Dir der Schrecken und die Erkältung eine beinahe tödliche Krankheit zuzogen.“

Er brach ab, denn soeben trat Dernburg mit einem Buche in der Hand ein und erwiderte die Begrüßung des jungen Ingenieurs so gelassen, als ob nicht das Mindeste vorgefallen sei.

„Ihr feiert wohl das Wiedersehen nach der langen Trennung?“ fragte er „Du siehst Erich heute zum ersten Male, Egbert, wie findest Du ihn?“

„Er sieht noch etwas angegriffen aus und wird sich wohl einstweilen noch schonen müssen,“ sagte Runeck mit einem Blicke auf das blasse Gesicht des Jugendfreundes.

„Das meint der Arzt auch. Und heute scheinst Du besonders abgespannt zu sein, Erich! Geh’ auf Dein Zimmer und ruhe Dich aus!“

Der junge Mann sah unentschlossen von einem zum anderen. Er wäre gern geblieben, um bittend und beschwichtigend dazwischenzutreten, wenn die Unterredung gar zu stürmisch werden sollte, aber die Weisung des Vaters klang sehr bestimmt, und jetzt sagte auch Egbert leise:

„Geh’, ich bitte Dich!“

Mit einer Anwandlung von Bitterkeit fügte sich Erich, er fühlte, daß in dieser mitleidigen Schonung etwas Demüthigendes lag und daß sie nicht allein seinem körperlichen Befinden galt. Von dem Vater wurde er ja nie als selbständig und ebenbürtig behandelt und von dem Freunde eigentlich auch nicht. Jetzt wurde er fortgeschickt, um „auszuruhen“, das heißt, man wollte es ihm ersparen, Zeuge eines voraussichtlich peinlichen Auftritts zu werden, und er – er ließ sich in der That fortschicken, in dem niederdrückenden Gefühl, daß seine Gegenwart doch überflüssig und nutzlos sei!

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_026.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)