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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Er nahm ihren Arm und führte sie in den Salon, wo Erich Dernburg in unruhiger Spannung ihrer harrte. Der Freiherr gab sich den Anschein, das nicht zu bemerken, er plauderte unbefangen mit ihm und seiner Schwester von der Korsofahrt und allerlei kleinen Vorfällen des Tages, bis es ihm einfiel, den Sonnenuntergang zu bewundern, der heute besonders schön zu werden versprach. Er trat auf die Veranda, ließ wie absichtslos die Glasthüre hinter sich zufallen und gab auf diese Weise dem jungen Paare Gelegenheit, allein zu sein.

„Das sieht ja hier aus wie ein Blumenmarkt!“ rief Cäcilie lachend, indem sie auf den mit Blumen überladenen Tisch deutete. „François hat natürlich möglichst geschmacklos alles übereinander gehäuft, ich werde es wohl ordnen müssen. Wollen Sie mir dabei behilflich sein, Herr Dernburg?“

Sie begann die einzelnen Sträuße in Vasen und Schalen zu vertheilen und mit den übrigen den Kamin zu schmücken. Dernburg half ihr, aber er benahm sich sehr ungeschickt dabei, denn seine Augen hingen unverwandt an der schlanken Gestalt in dem schillernden Gewand, mit der voll erblühten Rose im dunklen Haare. Er hatte auf den ersten Blick gesehen, daß es seine Blumen waren, die sie trug, und ein glückliches Lächeln spielte um seine Lippen. Ob der Bruder ihr schon eine Andeutung gemacht hatte? Aber sie war so unbefangen, lachte über seine Zerstreutheit und behandelte ihn ganz mit dem gewohnten Uebermuth – sie konnte unmöglich schon von seiner Werbung wissen!

In Cäciliens Wesen lag allerdings nichts von der holden Scheu und Befangenheit eines jungen Mädchens, welches das entscheidende Wort von den Lippen eines Mannes hören soll, es fiel ihr überhaupt nicht ein, die Sache ernst zu nehmen. Sie war bald zwanzig Jahre, in dem Alter vermählte man sich stets in den Kreisen, in denen sie verkehrte, oder vielmehr man wurde vermählt, denn gewöhnlich entschied die Familie darüber. Sie hatte auch gegen eine Heirath selbst durchaus nichts einzuwenden. Es war sehr angenehm, die Freiheiten einer Frau zu genießen, über Toiletten und sonstige Herrlichkeiten unbeschränkt verfügen zu können und sich nicht mehr dem Willen eines bisweilen sehr herrischen Bruders beugen zu müssen, nur – wieviel feuriger und liebenswürdiger war doch der Vicomte von Marville als dieser Dernburg, der nicht einmal von Adel war! Eigentlich war es doch empörend, daß eine Baroneß Wildenrod in Zukunft einen einfach bürgerlichen Namen führen sollte!

Sie hatte eben den letzten Strauß ergriffen, um damit den Kamin zu schmücken, da hörte sie ihren Namen flüstern, leise, aber voll Innigkeit.

„Cäcilie!“

Sie wandte sich um und blickte in die Augen Erichs, der neben ihr stand und in dem gleichen Tone fortfuhr:

„Sie haben nur Augen und Sinn für die Blumen – haben Sie keinen Blick für mich?“

„Brauchen Sie denn diesen Blick so nothwendig?“ fragte Cäcilie neckend.

„O wie sehr ich ihn brauche! Er soll mir Muth geben zu einem Geständniß – wollen Sie es hören?“

Sie lächelte und legte den Strauß nieder, den sie in der Hand hielt.

„Das klingt ja ganz feierlich! Ist es denn etwas so Wichtiges?“

„Es ist das Glück meines Lebens, das ich von Ihnen erbitte! Ich liebe Sie, Cäcilie, habe Sie geliebt vom ersten Tage an, wo ich Sie erblickte. Sie müssen das ja längst wissen, längst errathen haben, aber ich sah Sie immer so umschwärmt von anderen und erhielt so selten ein Zeichen, das mich wirklich hoffen ließ! Doch nun naht meine Abreise, ich kann nicht gehen ohne Gewißheit über mein Schicksal. Wollen Sie mein sein, Cäcilie? Ich will Ihnen alles, alles zu Füßen legen, jeden Wunsch erfüllen, will Sie auf Händen tragen mein Leben lang. Sagen Sie ein Wort, nur ein einziges, das mir Hoffnung giebt, aber sagen Sie nicht ‚Nein‘, denn das ertrüge ich nicht!“

Er hatte ihre beiden Hände ergriffen, sein Gesicht war von einer hellen Röthe überfluthet, seine Stimme bebte in tiefster Erregung. Es war keine stürmische leidenschaftliche Erklärung, aber aus jedem Worte sprach die innigste Liebe, die vollste Zärtlichkeit, und das junge Mädchen, dem man so oft schon mit Schmeicheleien und Huldigungen genaht war und das doch diesen Ton zum ersten Male hörte, lauschte halb betroffen, halb gefesselt. Cäcilie hatte dem stillen schüchternen Freier, mit dem sie so oft ein übermüthiges Spiel getrieben, eine solche Werbung gar nicht zugetraut, und als er nun weiter bat, noch zärtlicher, dringender, da kam endlich das erflehte „Ja“ von ihren Lippen, zwar etwas zögernd, aber ohne Widerstreben.

In überquellendem Glücke wollte Dernburg die Braut in seine Arme schließen, doch sie wich zurück. Es war eine unwillkürliche, fast unbewußte Bewegung der Scheu, beinahe des Widerwillens, die einen anderen vielleicht verletzt und erkältet hätte; Erich sah darin nur die holde Verschämtheit des jungen Mädchens, und während er sanft ihre Hände festhielt, sagte er leise:

„Cäcilie, wenn Du wüßtest, wie ich Dich liebe!“

Das war in der That der volle Herzenston der Liebe und er blieb nicht ohne Eindruck auf Cäcilie, die jetzt erst fühlte, daß sie dem Bräutigam sein Recht nicht versagen durfte.

„Nun, so werde ich Dich wohl auch ein wenig lieb haben müssen, Erich!“ sagte sie mit einem reizenden Lächeln und ließ es geschehen, daß er sie an seine Brust zog und den ersten Kuß auf ihre Lippen drückte.

Wildenrod stand noch draußen auf der Veranda und wandte sich erst um, als das junge Paar zu ihm trat. Strahlend vor Stolz und Glück führte Dernburg ihm seine Braut zu und empfing die Glückwünsche des künftigen Schwagers, der die Schwester und dann ihn umarmte.

Es begann nun ein heiteres lebhaftes Geplauder da draußen, wo noch laue Frühlingsluft wehte. Der blendende Lichtglanz des Tages löste sich bereits in jene glühende Farbenpracht auf, die nur der Süden beim Sonnenuntergang kennt. Die Stadt und die umliegenden Höhen standen wie verklärt in dem leuchtenden Scheine, wie flüssiges Gold gleißte und schimmerte es auf den Meereswogen, und während die fernen Berge sich im rosigen Dufte verschleierten, tauchte der gluthrothe Sonnenball tiefer und tiefer hinab, bis er endlich verschwand.

Erich hatte den Arm um seine Braut gelegt und flüsterte ihr leise zärtliche Worte in das Ohr. So goldig verklärt wie die schöne Welt da draußen erschien ihm auch die Zukunft an der Seite des geliebten Mädchens. Wildenrod stand abgewandt, scheinbar ganz vertieft in das wundervolle Schauspiel, aber dabei hob ein tiefer Athemzug seine Brust, und während es triumphierend aufblitzte in seinen Augen, murmelte er fast unhörbar: „Endlich!“




„Es tut mir leid, meine Herren, aber ich muß Ihre sämmtlichen Pläne und Vorschläge für ungenügend erklären. Es handelt sich darum, die ganze Wasserkraft aus dem Radefelder Grunde heranzuziehen, auf dem kürzesten Wege und mit möglichst geringen Kosten. Ihre Entwürfe aber setzen ohne Ausnahme so umfangreiche und kostspielige Anlagen voraus, daß von einer Ausführung gar nicht die Rede sein kann.“

Es war Eberhard Dernburg, der Herr der Odensberger Werke, welcher die Vorschläge seiner Beamten in dieser entschiedenen Weise ablehnte. Die Herren zuckten die Achseln und blickten auf die Pläne und Zeichnungen, die auf dem Tische ausgebreitet waren, endlich sagte einer von ihnen:

„Wir haben aber hier mit den größten Schwierigkeiten zu rechnen, Herr Dernburg. Die Bodenverhältnisse sind die allerungünstigsten, Berg und Wald auf der ganzen Linie –“

„Und die Leitung muß doch auch gegen alle Möglichkeiten gesichert werden,“ fiel ein Zweiter ein, während der Dritte hinzufügte:

„Die Anlagen werden allerdings große Kosten verursachen, aber wie die Dinge nun einmal liegen, läßt sich das nicht ändern.“

Die drei Herren, der Direktor und oberste Betriebsleiter der Odensberger Werke, der Vorsteher des technischen Bureaus und der Oberingenieur, waren einig in ihren Ansichten. Die Berathung fand im Arbeitszimmer Dernburgs statt, wo dieser gewöhnlich die Vorträge seiner Beamten entgegennahm und wo sich heute auch sein Sohn befand. Es war ein großes, einfach ausgestattetes Gemach, an dessen Wänden hohe Bücherschränke standen. Der Schreibtisch war überladen mit Briefschaften und sonstigen Papieren, auf den Seitentischen lagen Pläne und Karten aller Art, und die großen Mappen, die in einem offenen Schranke sichtbar wurden, schienen Aehnliches zu enthalten. Man sah, daß dies Zimmer der Mittelpunkt war, von dem aus das ganze riesige Unternehmen geleitet wurde, eine Stätte rastloser Arbeit und unermüdlicher Thatkraft.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_022.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)