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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Wildenrods Blick haftete mit einem eigenthümlichen Ausdruck auf der schmächtigen Gestalt und den bleichen Zügen des jungen Erben.

„Dereinst!“ wiederholte er. „Wer wird jetzt schon um die ferne Zukunft sorgen. Noch lebt und schafft Ihr Vater ja in vollster Kraft, und im äußersten Falle wird er Ihnen tüchtige Beamte zurücklassen, die in seiner Schule gebildet sind. Also Sie bleiben wirklich nicht mehr lange in Nizza? Das thut mir leid, wir werden Sie sehr vermissen.“

Wir?“ fragte Dernburg leise. „Sprechen Sie auch im Namen Ihrer Schwester?“

„Gewiß, Cäcilie wird ihren allergetreuesten Ritter ungern verlieren. Man wird sich allerdings Mühe geben, sie darüber zu trösten – wissen Sie, daß ich gestern einen förmlichen Strauß mit Marville zu bestehen hatte, weil ich Ihnen den Platz in unserem Wagen anbot, auf den er sicher rechnete?“

Die letzte Bemerkung wurde scheinbar ganz absichtslos hingeworfen, aber sie that ihre Wirkung. Das Gesicht des jungen Mannes verdüsterte sich, und mit unverkennbarer Gereiztheit erwiderte er:

„Vicomte von Marville beansprucht ja stets den Platz neben der Baroneß, er würde mich auch wohl vorkommenden Falles vollständig bei ihr ersetzen.“

„Wenn Sie ihm freiwillig den Platz räumen – vielleicht. Bis jetzt hat sich Cäcilie allerdings noch immer mit Entschiedenheit auf die Seite ihres deutschen Landsmanns gestellt, aber der liebenswürdige Franzose gefällt ihr, daran ist kein Zweifel, und der Abwesende hat immer unrecht, zumal bei jungen Damen.“

Er sprach in scherzendem Tone, ohne irgendwie Gewicht auf seine Worte zu legen, als nehme er die Sache überhaupt nicht ernst; um so mehr schien dies Dernburg zu thun. Er antwortete nicht, allein er kämpfte offenbar mit sich selber, und endlich begann er, unsicher und stockend:

„Herr von Wildenrod, ich habe etwas auf dem Herzen – schon längst – aber ich wagte es bisher nicht –“

Der Freiherr hatte sich zu ihm gewendet und sah ihn fragend an. In seinen dunklen Augen lag ein halb spöttischer, halb mitleidiger Ausdruck – der Blick schien zu sagen: Du hast Millionen zu bieten und wagst es nicht? Laut aber erwiderte Wildenrod:

„Nun, so sprechen Sie doch, wir sind uns ja nicht fremd, und ich hoffe, Anspruch auf Ihr Vertrauen zu haben.“

„Es ist Ihnen vielleicht kein Geheimniß mehr, daß ich Ihre Schwester liebe,“ sagte Dernburg beinahe schüchtern. „Aber lassen Sie es mich auch aussprechen, daß Cäciliens Besitz mir das höchste Glück sein würde, daß ich alles thun würde, um auch sie glücklich zu machen – darf ich hoffen?“

Wildenrod zeigte sich in der That nicht überrascht von diesem Geständniß, er lächelte nur, aber es war ein verheißungsvolles Lächeln.

„Da werden Sie wohl vor allen Dingen Cäcilie selbst fragen müssen. Junge Damen sind etwas eigenwillig in solchen Punkten, und mein Fräulein Schwester ist es ganz besonders. Ich bin vielleicht zu nachsichtig ihr gegenüber, und in der Gesellschaft wird sie noch mehr verwöhnt, wie sehr, das sahen Sie ja wieder bei der heutigen Korsofahrt.“

„Ja, ich sah es,“ – der Ton, in welchem der junge Mann sprach, klang gedrückt – „und eben deshalb habe ich bisher immer noch nicht den Muth gefunden, ihr von meiner Liebe zu sprechen.“

„Wirklich? Nun dann werde ich Ihrer Schüchternheit wohl zu Hilfe kommen müssen. Unsere kleine launenhafte Prinzessin ist zwar unberechenbar, aber, im Vertrauen gesagt, ich fürchte nicht, daß Sie sich bei ihr einen Korb holen werden.“

„Sie glauben?“ rief Dernburg in aufflammendem Entzücken. „Und Sie, Herr von Wildenrod?“

„Ich werde Sie gern als Schwager begrüßen und mit vollem Vertrauen die Zukunft meiner Schwester in Ihre Hände legen. Ich will ja weiter nichts, als dieses Kind, dem ich von jeher mehr Vater als Bruder gewesen bin, geliebt und glücklich sehen.“

Er streckte ihm die Hand hin, die der junge Mann mit innigem Druck ergriff.

„Ich danke Ihnen. Sie machen mich sehr, sehr glücklich mit dieser Zusage, mit der Hoffnung, die Sie mir geben, und jetzt –“

„Möchten Sie diese Zusage auch aus einem anderen Munde haben,“ ergänzte Wildenrod lachend. „Die Gelegenheit zu dem Geständniß will ich Ihnen gern geben, aber das Jawort müssen Sie sich selbst holen, ich lasse meiner Schwester volle Freiheit. Ich denke indessen, mein Ausplaudern hat Ihnen Muth gemacht, also wagen Sie es immerhin, lieber Erich!“

Er winkte ihm freundlich zu und ging. Auch Erich Dernburg trat wieder in den Salon, und sein Blick glitt über all die Blumenspenden, die der Diener herausgebracht und auf den Tisch gehäuft hatte. Ja freilich, Cäcilie Wildenrod war verwöhnt und gefeiert wie wenige ihres Geschlechtes. Wie war sie heute wieder überschüttet worden mit Blumen und Huldigungen! Sie hatte nur zu wählen, durfte er da der Hoffnung trauen, daß sie gerade ihn wählen würde? Er hatte Reichthum zu bieten, aber sie war ja selbst reich, die Art, wie ihr Bruder auftrat, ließ daran nicht zweifeln, und sie war überdies der Sprößling eines alten Adelsgeschlechtes, die Wage stand zum mindesten gleich. Trotz der Ermuthigung, die ihm geworden, verrieth das Gesicht des jungen Mannes doch, daß er ebensosehr fürchtete als hoffte. –

Wildenrod hatte inzwischen das anstoßende Gemach durchschritten und trat jetzt in das Zimmer seiner Schwester. Cäcilie stand vor dem Spiegel und wendete sich bei seinem Eintritt flüchtig um.

„Ah, Du bist es, Oskar? Ich komme sogleich, ich will nur noch eine Blume ins Haar stecken.“

Der Freiherr sah auf den Strauß prachtvoller mattgelber Rosen, welcher halbgelöst auf dem Spiegeltischchen vor ihr lag, und fragte kurz.

„Sind das die Blumen, die Du von Dernburg erhalten hast?“

„Gewiß, er brachte sie mir zu der heutigen Korsofahrt.“

„Gut, so schmücke Dich damit!“

„Das hätte ich auch ohne Deine allergnädigste Erlaubniß gethan,“ lachte die junge Dame, „denn es sind die schönsten von allen.“

Sie zog eine der Rosen hervor und hielt sie prüfend gegen das Haar, es lag eine ungemeine, aber freilich sehr bewußte Grazie in dieser Bewegung. Das schlanke, neunzehnjährige Mädchen glich dem Bruder wenig oder gar nicht, auf den ersten Blick schienen sie nur die dunkle Farbe des Haares und der Augen miteinander gemein zu haben, sonst verrieth kaum ein Zug die nahe Blutsverwandtschaft.

Cäcilie Wildenrod war eine von jenen Erscheinungen, die auf die Männerwelt einen fast unwiderstehlichen Zauber ausüben. Ihre Züge waren unregelmäßiger als die des Bruders, hatten jedoch einen eigenartigen Reiz, der immer wieder von neuem fesselte. Das tiefschwarze Haar, das, nach der neuesten Mode geordnet, in seiner reichen Fülle gar nicht recht zur Geltung kam, die matte bräunliche Hautfarbe ließen nicht auf deutsche Abkunft schließen; unter langen schwarzen Wimpern barg sich ein Paar dunkler feuchtschimmernder Augen, welche dem, der tiefer hineinblickte, ein Räthsel aufzugeben schienen. Es waren nicht die Augen eines eben erst erblühten Mädchens, sie glichen nur zu sehr denen des Bruders. Auch in diesen dunklen Tiefen glühte ein Funke, der zur Flamme werden konnte, auch sie hatten etwas von jenem heißen leidenschaftlichen Feuer, das sich in dem Blicke Oskars unter anscheinender Kälte barg. Hier allein lag die Aehnlichkeit zwischen den Geschwistern, aber es war eine verhängnißvolle Aehnlichkeit.

Cäcilie trug noch das Seidenkleid, das sie bei der Korsofahrt getragen hatte, ihre Brust schmückten bereits einige der mattgelben, halb erschlossenen Knospen, und jetzt befestigte sie eine voll erblühte Rose in den dunklen Haarwellen. Sie sah reizend aus in diesem duftigen Schmucke, und der Blick des Bruders ruhte mit sichtbarer Befriedigung auf ihr.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_006.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)