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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

nicht gewußt hatte, wie es mit seinem Vater stand, und der nun so plötzlich und gewaltsam aus seiner Bahn geschleudert wurde. Es hätte ihm freilich noch mancher andere ehrenhafte Lebensweg offen gestanden, man hätte ihm zweifellos irgend eine Stellung verschafft, aber das bedingte ein Herabsteigen aus den Kreisen, in denen er bisher eine erste Rolle gespielt hatte, bedingte ernste, unausgesetzte Arbeit in einfachen Verhältnissen, und das waren Dinge, die Oskar von Wildenrod nun einmal nicht kannte. Er wies alle Vorschläge zurück, ging ins Ausland und blieb für seine Heimath verschollen. Jetzt, nach zwölf Jahren, begegne ich ihm hier in Nizza mit seiner jungen Schwester, die inzwischen herangewachsen ist, aber wir ziehen es beiderseits vor, uns als Fremde zu behandeln.“

Wittenau war bei dieser Erzählung sehr nachdenklich geworden, er erwiderte nichts darauf; da legte sein Gefährte die Hand auf seinen Arm und sagte halblaut:

„Sie sollten den jungen Dernburg nicht mit so feindseligen Blicken ansehen, denn sein Erscheinen war es vermutlich, das Sie vor einer Thorheit bewahrt hat – vor einer großen Thorheit!“

Ueber das Gesicht des jungen Mannes floß bei dieser Andeutung eine glühende Röthe und er gerieth sichtlich in Verlegenheit.

„Herr von Stetten, ich –“

„Nun, ich mache Ihnen ja keinen Vorwurf daraus, daß Sie zu tief in ein Paar schöner Augen geblickt haben,“ unterbrach ihn Stetten. „Das ist so natürlich in Ihrem Alter, hier aber hätte es doch verhängnißvoll werden können. Fragen Sie sich selbst, ob ein Mädchen, das unter solchen Umständen und Umgebungen aufgewachsen ist, zur Frau eines einfachen Gutsbesitzers und für ländliche Verhältnisse paßt. Uebrigens hätten Sie schwerlich ein Jawort von Cäcilie Wildenrod erhalten, denn darüber bestimmt der Bruder, und der braucht einen Millionär zum Schwager.“

„Und Dernburg ist der Erbe verschiedener Millionen, wie es heißt,“ ergänzte Wittenau mit unverhohlener Bitterkeit, „also wird er wohl dieser Ehre theilhaftig werden.“

„Es heißt nicht bloß so, es ist Thatsache. Die großen Dernburgschen Eisen- und Stahlwerke sind wohl die bedeutendsten in ganz Deutschland und vorzüglich geleitet. Der gegenwärtige Chef ist ein Mann, wie es nicht viele giebt, ich habe ihn vor einigen Jahren zufällig kennengelernt. – Doch da kommen die Wildenrods zurück!“

Es war in der That der Wagen des Freiherrn, der gleichfalls den Korso verlassen hatte und sich auf der Heimfahrt befand. Die feurigen Pferde hatten es ungeduldig genug ertragen, daß man sie so lange zu langsamem Schritte gezwungen, sie griffen jetzt mit voller Macht aus und brausten an den beiden Herren vorüber, die zur Seite getreten waren und nun der aufwirbelnden Staubwolke nachblickten.

„Schade um diesen Oskar Wildenrod!“ sagte Stetten ernst. „Er gehört nicht zu den gewöhnlichen Menschen, und vielleicht wäre etwas Großes aus ihm geworden, wenn das Schicksal ihm den Lebenskreis, für den er geboren und erzogen war, nicht so jäh und gewaltsam verschüttet hätte. – Sehen Sie nicht so finster aus, lieber Wittenau! Sie werden den Jugendtraum verschmerzen und, wenn Sie erst wieder daheim auf Ihren Feldern und Wiesen sind, dem Schicksal dankbar dafür sein, daß es nur ein Traum geblieben ist.“ –

Der Wagen hatte inzwischen seine Fahrt fortgesetzt und hielt jetzt vor einem der großen Gasthöfe, dessen Aeußeres hinreichend zeigte, daß er nur reichen und vornehmen Fremden zur Verfügung stand. Die Zimmer, welche Freiherr von Wildenrod mit seiner Schwester bewohnte, gehörten zu den besten und selbstverständlich theuersten des Hauses und entbehrten keine von all den Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten, auf die verwöhnte Gäste Anspruch erheben. Sie waren glänzend eingerichtet – freilich eine Gasthofeinrichtung, der jede Behaglichkeit fehlte.

Die Herrschaften befanden sich bereits im Salon – Cäcilie hatte sich zurückgezogen, um Hut und Handschuhe abzulegen, und die beiden Herren traten plaudernd auf die Veranda hinaus, die einen schönen Blick auf das Meer und einen Theil von Nizza gewährte.

Der junge Dernburg mochte vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt sein; sein Aeußeres machte einen wenn auch angenehmen, doch ziemlich unbedeutenden Eindruck. Die schmächtige Gestalt mit ihrer etwas gebeugten Haltung und die bleiche Farbe mit der eigenthümlichen Röthe auf den Wangen ließen errathen, daß er nicht zu seinem Vergnügen sondern aus Gesundheitsrücksichten die sonnigen Gestade der Riviera aufgesucht hatte. Das Gesicht hatte feine ansprechende Züge, aber die Linien waren viel zu weich für ein Männerantlitz, und dieselbe Weichheit lag in dem träumerischen, verschleierten Blick der braunen Augen. Das Selbstbewußtsein des reichen Erben schien dem jungen Manne vollständig zu fehlen, seine Haltung war anspruchslos, beinahe schüchtern, und hätte ihm nicht der Name, den er trug, überall Beachtung gesichert, so wäre er wohl in Gefahr gekommen, von den meisten übersehen zu werden.

Die Persönlichkeit des Freiherrn stand im vollsten Gegensatz dazu. Oskar von Wildenrod war nicht mehr jung, er befand sich bereits am Ende der Dreißig. Seine hohe Gestalt hatte etwas Gebietendes, und die stolzen regelmäßigen Züge konnten noch für schön gelten, trotz der scharfen Linien, die sich darin ausgeprägt hatten, und der tiefen Falte zwischen den Brauen, die dem Gesicht etwas Düsteres gab. In den dunklen Augen schien nur kühle beobachtende Ruhe zu liegen, und doch blitzte es bisweilen darin auf, mit einem Feuer, das auf eine leidenschaftliche ungezügelte Natur deutete. Im übrigen war die Erscheinung des Freiherrn eine durchaus vornehme, in seiner Haltung vereinigte sich die Verbindlichkeit des Weltmannes ganz zwanglos mit dem Stolze, den der Abkömmling des alten Adelsgeschlechtes in unverkennbarer, aber keineswegs verletzender Weise zur Schau trug.

„Sie denken doch nicht im Ernst schon an die Abreise?“ fragte er im Laufe des Gespräches. „Das wäre viel zu früh, da würden Sie gerade in die Sturm- und Regenzeit gerathen, die man in unserem lieben Deutschland mit dem Namen Frühling beehrt. Sie haben den ganzen Winter in Kairo zugebracht, sind erst seit sechs Wochen in Nizza und dürfen sich jetzt noch nicht das rauhe nordische Klima zumuthen, wenn Sie Ihre kaum befestigte Gesundheit nicht wieder aufs Spiel setzen wollen.“

„Es handelt sich ja auch nicht um heut’ oder morgen,“ sagte Dernburg, „aber allzulange kann ich die Heimkehr nicht mehr aufschieben. Ich bin länger als ein Jahr im Süden gewesen, fühle mich wieder vollständig wohl, und mein Vater wünscht dringend, daß ich sobald als möglich nach Odensberg zurückkehre, vorausgesetzt, daß die Aerzte mir die Erlaubniß dazu geben.“

„Es muß eine großartige Schöpfung sein, dies Odensberg,“ bemerkte der Freiherr. „Nach allem, was ich von Ihnen und anderen höre, nimmt Ihr Vater ja beinahe die Stellung eines kleinen Fürsten ein, nur daß er ein unumschränkterer Herr und Gebieter ist als dieser.“

„Gewiß, aber er hat auch alle Sorgen und die ganze große Verantwortlichkeit seiner Stellung. Sie ahnen doch wohl nicht, was es heißt, an der Spitze eines derartigen Unternehmens zu stehen. Es gehört eine eiserne Natur wie die meines Vaters dazu; es ist eine Riesenlast, die er auf seinen Schultern trägt.“

„Gleichviel, es ist eine Macht, und Macht ist immer Glück!“ erwiderte Wildenrod mit aufblitzenden Augen.

Der junge Mann lächelte trübe. „Für Sie vielleicht und wohl auch für meinen Vater – ich bin anders geartet. Ich würde ein stilles Leben in bescheidenen Verhältnissen an einer dieser paradiesischen Stätten des Südens vorziehen, aber ich habe als einziger Sohn dereinst die Odensberger Werke zu übernehmen, da ist von keiner Wahl die Rede.“

„Sie sind undankbar, Dernburg! Ihnen hat eine gütige Fee ein Los, nach dem Tausende geizen und ringen, als Geschenk in die Wiege gelegt, und Sie – ich glaube, Sie seufzen darüber.“

„Weil ich fühle, daß ich ihm nicht gewachsen bin. Wenn ich sehe, was mein Vater leistet, und daran denke, daß mir dereinst die Aufgabe zufallen soll, ihn zu ersetzen, dann überkommt mich eine Muthlosigkeit und Zaghaftigkeit, deren ich nicht Herr werden kann.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_003.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)