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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 1.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Freie Bahn!
Roman von E. Werner.


Ein Frühlingstag im Süden! Himmel und Meer strahlen in tiefem Blau, durchfluthet von Licht und Glanz, und mit leisem Rauschen rollen die Wogen an den Strand der Riviera, wo der Lenz schon eingezogen ist in seiner ganzen Pracht, während droben im Norden noch Schneestürme über die Erde hinziehen.

Hier liegt goldener Sonnenschein auf den weißen Häusern und Villen der Stadt, die sich im weiten Halbkreise am Ufer hinzieht, schlanke Palmen heben ihre Wipfel, Lorbeer und Myrthe grünen; mit Tausenden von ganz und halb erschlossenen Blüthen, vom zarten Weiß bis zum tiefen Purpur, leuchten die Kamelien aus dem dunklen Laube und überall duftet und blüht es in unerschöpflicher Fülle. Von den Bergen ringsum blicken altersgraue Klöster und hellschimmernde Kirchen, von hohen Cypressen umgeben; freundliche Ortschaften heben sich aus Pinien- und Olivenwäldern, und in der Ferne blauen die Alpen mit ihren schneegekrönten Gipfeln, halb verschwimmend im Sonnenduft.

Nizza feierte eins seiner Frühlings- und Blumenfeste, und was die Stadt und deren Umgebung an Fremden und Einheimischen barg, war herbeigeströmt. In endlosen Reihen bewegten sich die geschmückten Wagen aneinander vorüber, jedes Fenster, jeder Balkon war dicht besetzt mit Zuschauern, und auf den Seitenwegen, unter den Palmen drängte sich eine schaulustige Menge, aus der überall die braunen malerischen Gestalten der Fischer und des Landvolkes auftauchten.

Auf dem Korso war die Blumenschlacht in vollem Gange, unaufhörlich kreuzten die duftigen Geschosse die Luft, hier das Ziel erreichend, dort es verfehlend; Blüthen, die im Norden als selten und kostbar gehegt werden, wurden hier achtlos und verschwenderisch verstreut. Dazu überall wehende Tücher, jubelnde Zurufe, wogende Musik und berauschender Veilchenduft, das ganze zauberhaft schöne Bild umflossen von dem goldenen Frühlingslicht, das Himmel und Erde erfüllte.

Auf der Terrasse eines der Gasthöfe stand eine kleine Gruppe von Herren, offenbar Landsleute, die sich hier zusammengefunden hatten, denn sie unterhielten sich in deutscher Sprache. Die lebhafte Theilnahme, mit welcher die beiden jüngeren dem fesselnden Schauspiel folgten, verrieth, daß es ihnen noch neu war, während der dritte, ein Mann in reiferen Jahren, es ziemlich gleichgültig an sich vorüberziehen ließ.

„Ich werde jetzt aufbrechen,“ sagte er, mit einem Blicke auf seine Uhr. „Man wird schließlich ganz betäubt von all diesem Wogen und Treiben und sehnt sich nach einem ruhigen Plätzchen. Die Herren bleiben wohl noch?“

Die jungen Herren


Loni.
Nach einem Gemälde von F. v. Defregger.
Photographieverlag der Photographischen Union in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_001.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)