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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Saales vorbei in die Kammer, welche das Kleinod barg. Der Doktor war das schon gewohnt. Er wußte, daß der Alte keinen Abend vorübergehen ließ, ohne seinem vermeintlichen Römerschatz einen Besuch abzustatten, außer wenn ihn die Gicht an sein Lager fesselte. Heute verweilte der Lichtschimmer länger als sonst in jenem Gemach, oft hin und her schweifend; vielleicht, daß der Oberst sich noch in später Stunde dem Studium seiner Sonderbibliothek hingab. Der Doktor folgte dem Scheine, bis ihm die Augen matt wurden und endlich zusanken zu einem ungewollten tiefen Schlummer.

Ein schauerlich mißtöniges Geheul erweckte den Schläfer wieder. Verwirrt fuhr er aus seiner wenig bequemen Lage von dem Stuhle auf. Der Mond war inzwischen aufgegangen und goß einen breiten grünen Lichtstrom ins Gemach. Mitten in dieser grünsilbernen Strahlenbahn stand Stropp der Hund auf dem Schreibtisch, die Nase hoch erhoben, und sang seine ergreifende Weise zum Fenster hinaus. Als er merkte, daß der Doktor erwacht war, sprang er herab, kratzte und zerrte an diesem herum und lief dann wieder zum Fenster hin, um seinen musikalischen Vortrag fortzusetzen. War der Hund toll oder mondsüchtig? „Ruhig, Stropp, oder –!“ Aber was war denn das? Drüben das Licht des Obersten in der Schatzkammer – es brannte noch immer, aber es schien in unruhigem Flackern mit seltsamen röthlichen Spitzen an den Tüllgardinen hinaufzuklettern, eine dicke mißfarbige Wolke quoll durch einen offenen Fensterflügel heraus – Herr im Himmel, es brannte, und dicht darüber schlief Ulla!

Im nächsten Augenblick stand der Doktor im Garten – bei hellem Tage und ohne solchen Anlaß hätte er den Sprung aus dem Fenster vielleicht nicht gewagt. Stropp der Hund sprang ihm getreulich nach, und nun stürmten die beiden daher, über Blumenbeete und Wege, wie es sich eben traf, über die Hecke weg, hin zum Haus des Obersten. Gott sei Dank, da stand die Leiter des Gärtners – angelegt, hinauf und nun ohne Besinnen eine Scheibe am Fenster des Obersten eingeschlagen:

„Herr Oberst, öffnen Sie – es brennt bei Ihnen!“

„Kreuzschockkartätschen, wer bricht denn so grob da herein? Steh’, Lump, oder ich schieße!“

„Aber ums Himmels willen, so hören Sie doch, Herr Oberst – ich bin’s, Doktor Sassen – es brennt bei Ihnen im anderen Flügel!“

Das Fenster flog auf, bleich und verstört schauten sich die beiden Männer an. Wenige Worte der Erklärung, der Doktor stieg ein und beide stürzten zur Thüre hinaus auf den Flur; eine widerliche, athemraubende Rauchluft quoll ihnen entgegen.

„Dort, Herrgott wahrhaftig, es kommt aus der Schatzkammer – meine Nichte – retten Sie sie, helfen Sie mir!“

Aber ehe der Oberst noch weiter reden konnte, war der Doktor an ihm vorüber in den Qualm hinein gestürmt, die Treppe hinauf.

Im Hause wurde es lebendig. Thüren flogen auf, ärgerliche Männerstimmen und entsetzte Weiberrufe mischten sich. Aber Karl hörte nur eine Stimme, vor ihm öffnete sich eine Zimmerthür, eine weiße Gestalt schwankte hervor.

„Hierher, Ulla ich bin’s – Karl!“

„Karl, Du – –“ und hilflos lag sie in seinen Armen. Er umfaßte sie zärtlich und sicher und trug sie hinab, durch den Rauch, der immer dichter und dichter heraufwallte. Er fühlte nicht, wie der ätzende Qualm seine Augen beizte, er kam überhaupt selbst erst einigermaßen zur Besinnung, als er die Geliebte vor sich auf dem Sopha im Zimmer des Obersten erblickte, als sie die Augen aufschlug und ihn noch halb verständnißlos mit seligem Ausruf umhalste.

Allein jetzt war keine Zeit zu Liebeständeleien. Schnell hatte er Ulla der Fürsorge der von unten herbeieilenden Mägde übergeben und stürzte wieder hinaus auf den Flur. Dort rannte ein Mann hart an ihn, es war des Obersten alter Diener.

„Eilen Sie, schicken Sie zum nächsten Feuermelder – lassen Sie die Villen in der Nachbarschaft alarmieren, die Gartenspritzen herbei! Wo ist der Oberst?“

„Zu Befehl, Herr Doktor – da hinten!“

„Wo?“ Aber der Mann war schon verschwunden.

Sassen tappte mühsam den Flur entlang, die Rauchmassen wurden immer stärker, jetzt war er fast an der Thüre zur Schatzkammer angelangt, da blitzten und flackerten unheimlich rothe Flammen durch den Schwaden auf, und neben sich, an die Wand gelehnt, gewahrte er den Obersten:

„Ihre Nichte ist gerettet, Herr Oberst!“

Ganz tonlos klang es zurück:

„Ich weiß – ich danke Ihnen – Sie haben uns noch eben zur rechten Zeit gewarnt. Aber die Flasche – wir haben es dreimal versucht, es geht nicht mehr – sie ist hin.“

Der Alte schien ganz gebrochen. Der Doktor zog ihn mit sich fort, ohne größere Löschmittel war es jetzt in der That unmöglich, dem Feuerherde näherzukommen.

Nun erschien aber auch schon Hilfe. Hastige schwere Männerschritte polterten herauf, Wasserstrahlen zischten in das brennende Zimmer hinein – man konnte vordringen, dem gefährlichen Rauch Abzug verschaffen – nun hörte man auch von draußen das Signal der Feuerwehr – „merkwürdig, das Leitmotiv aus dem ‚Fliegenden Holländer‘, und noch merkwürdiger, daß ich so etwas jetzt merke!“ dachte Karl – und durch all den Lärm [k]lang von den Gärten her vielstimmiges Hundegeheul. Stropp hatte, da er dem Doktor nicht auf der Leiter folgen konnte, wenigstens in seiner Weise sich behilflich erweisen wollen, und mit seinem durchdringenden Gebell – die Natur hatte ihn mit einem sehr weittragenden Tenor begabt – erreichte er auch das Eine, daß seine sämmtlichen Stammesgenossen in der Nachbarschaft aufmerksam wurden und einstimmten.

Uebrigens erwies es sich, daß der Brand noch ziemlich leicht zu löschen war. Die Bücher, Akten und Gehänge in der Schatzkammer brannten langsam und schlecht – der furchtbare Qualm freilich hätte allein eine vielleicht tödliche Gefahr bedeutet, wenn die Entdeckung später erfolgt wäre. So aber beschränkte sich der Schaden fast ganz auf das eine Gemach und einen Theil des anstoßenden Waffensaales. Die kostbare Flasche aber war vernichtet. Mit der Asche des zierlichen Gestells, auf welchem sie ruhte, hatten sich ihre Bestandtheile vermischt, und es war hinfort keine Möglichkeit mehr, die Erörterung über ihre Echtheit oder Unechtheit an ihr selbst weiterzuführen.

Nach einer Stunde angestrengter Arbeit war es gelungen, jede weitere Gefahr zu beseitigen und die Unglücksstätte so ziemlich aufzuräumen. Die kostbare Waffen- und Bildersammlung war zum Glück von dem Brande fast ganz verschont geblieben. Mehr Mühe hatte es den Obersten und den Doktor gekostet, sie vor dem rauhen Walten der hilfreichen Löschmannschaften zu beschützen. Doktor Sassen hatte wacker mitgearbeitet. Er sah jetzt aus wie ein Kohlenbrenner, als er zwischen den herbeigeeilten Nachbarn, den Dienern, Feuerwehrleuten und Mägden hinüberschritt in das Zimmer des Obersten. Da trat ihm Ulla entgegen. Sie hatte sich rasch von ihrem Schrecken erholt und waltete mit hausfraulicher Würde ihres Amtes, indem sie die leibliche Erquickung der wackeren Helfer leitete. Als der Geliebte erschien, schritt sie ihm leuchtenden Auges entgegen und streckte ihm beide Hände hin. „Mein Retter!“ Und ohne daß die Zwei es selber recht wußten, sanken sie sich in die Arme.

Nicht nur der Oberst, auch einige Herren aus den Nachbarvillen waren Zeugen dieses seligen Wiedersehens, und an der halboffenen Thüre steckten einige Mägde und Diener lebhaft wispernd die Köpfe zusammen. Als Ulla dieses Publikums inne wurde, fuhr sie erröthend zurück und stand einen Augenblick in holder Verwirrung da. Doktor Sassen aber bezwang rasch eine leichte Verlegenheit und trat auf den Alten zu. „Herr Oberst,“ begann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_892.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)