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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Nota bene: beide sprechen mit Unwillen von jemand, den sie „Onkel“ nennen. Wer ist dies? Wahrscheinlich kein guter Mensch. Mein früherer Herr nannte auch jemand so, der eine rothe Nase hatte, meinen Herrn ausschalt und nach mir schlug. Ob dies derselbe ist? Oder giebt es mehrere Onkel unter den Menschen?

Im allgemeinen war Stropp der Hund von den Erfahrungen dieses Tages nicht unbefriedigt. In ziemlich gehobener Stimmung machte er einen Abendspaziergang nach der Kuppe des Berges und bellte dort noch ein Weilchen den Mond an, welcher groß, roth und rund wie ein richtiger Onkel über dem Gebirge jenseit des Stromes aufstieg und gar nicht aussah, als ob er sich aus irgend welchem Gebell auf Erden auch nur das Geringste machen würde.


Am Fuße des Berges zieht sich ein anmuthiger Pfad längs einem Bächlein hin, zuerst nur umsäumt von Brombeerranken, wilden Rosen und Erlensträuchern, bis er dann weiterhin in den Busch tritt und nach allen Seiten kleine Fußsteige entsendet, die schönsten Wege für solche, die einsam oder zu Zweien dem Kuckuck lauschen und Blumen brechen wollen. „Einst war der Pfad von Wallern voll“, als er noch von den Studenten dazu benutzt wurde, auf dem nächsten Umwege über die Dorfschenke zum Berg hinaufzusteigen. Seit aber die Bitte der beiden Alten droben bewilligt worden und in dem kleinen Häuschen neben den Milchgläsern auch Flaschen und Römer klirrten, hatten die Musensöhne schnell begriffen, daß der gerade Weg der beste sei, und nur selten noch klangen Menschenschritte in das Rauschen und Plaudern des Bächleins, wenn hier und da ein paar Bewohner der Villenvorstadt sich einmal im Walde ergehen wollten. Um so freier und lustiger ließen die kleinen Vögel ihre Stimmen erschallen, die in dem dichten Geranke nisteten und umherschlüpften, das noch unbedrängt geblieben war von dem gleichmachenden Streben neuzeitlicher Forstwirthschaft. Mitten in einem spitzdornigen Gebüsch von Heckenrosen saß Frau Sylvia, die Grasmücke, auf ihrem ziemlich leichtfertig gebauten Neste, in dem vier winzige rothgesprenkelte Eier für die Fortdauer des Geschlechtes bürgten, und lauschte dem Gemahl, der in grauem Federkleid mit schwarzer Kapuze ihr ein verliebtes Ständchen brachte. „Ich weiß nicht,“ sagte die entzückte kleine Frau, „was die Menschen an der Nachtigall so Großes finden; singt sie nicht viel rauher und schriller als mein Mönch?“ Und der verliebte Schwarzkopf hörte es und sang noch einmal so süß und schmelzend, daß die Kleine ordentlich zitterte vor Stolz und Liebe.

Da bog sich auf der anderen Seite des Bächleins ein Strauch zur Seite, eine schwarze Schnauze wand sich schnaufend hindurch, ein langer Leib mit dunklem glänzenden Fell schob sich auf krummen dicken Beinen nach und flog in kühnem Schwunge über die Wasserrinne just vor das Sängerpärchen hin. Die aber kannten ihn schon und ließen sich auch nicht stören, als der plumpe Gast gerade unter ihrem Strauche zur Uebung ein wenig zu graben begann, daß die Erdklümpchen herumflogen und seine Nase bald eine Brille von Erde trug. Sie wußten, daß Stropp der Hund ihnen nichts zuleide that, und seine groben Manieren mußte man eben hinnehmen; sicherte er sie doch auch durch seine bloße Anwesenheit vor dem Besuche von Katzen und Wieseln.

Stropp der Hund hatte seine Gründe dafür, daß er seit einiger Zeit den Schauplatz seines beschaulichen Daseins möglichst viel an diese abgelegene Stelle verlegte. Der wirthschaftliche Aufschwung seiner Herrschaft hatte ihn zwar vor dem Abgeschafftwerden beschützt; aber seine Lage war entschieden ungemüthlicher geworden. Die Herren Studenten, welche jetzt bei Philemon und Baucis einkehrten – diese Namen hatten sie dem würdigen Ehepaare verliehen – wußten anscheinend durchaus nichts von den Rücksichten, die ein philosophisch angelegter Hund beansprucht. Mit ihrem etwas geräuschvollen Wesen störten sie seine verdauungsvollsten Betrachtungen, und es gab Leute unter ihnen, die das reichlich bemessene Nackenfell des armen Kerls als eine willkommene Einladung ansahen, an seinem hin und her schwebenden Körper die Gesetze der Pendelschwingung zu veranschaulichen. Andere versteiften sich darauf, ihm seinen ehrlichen rheinischen Namen abzugewöhnen und ihm unter Anwendung empfindlicher Püffe Geschmack für eine neue Benamsung beizubringen, wobei ihre Wahl zwischen „Cerberus“, „Phylax“, „Nero“, „Apollo“ und ähnlichen klassischen Erinnerungen schwankte. Und wenn er dann der Bedrängniß entrann und ein wenig auf der Bergwiese spazierte, so kam auch ganz unfehlbar der neue Oberförster mit einem durstigen und folglich verdrießlichen Gemüthe daher und veranlaßte Frau Baucis, dem armen Stropp einen Maulkorb anzulegen, der noch dazu aus dem Nachlasse eines Mopses angekauft und seinem jetzigen Inhaber viel zu knapp war.

In der That, die Zeiten waren schlecht geworden, und Stropp der Hund sah oft mit schmerzlicher Miene auf die glitzernden Wellen des Bächleins und erwog bei sich, ob es nicht doch in der Welt noch angenehmere Herren gäbe. Aber woher einen nehmen und nicht stehlen?

Da war der freundliche Herr Doktor mit der Brille und dem schwarzen Schnurrbarte. Stropp mußte wohl zuerst auf ihn verfallen; denn von seinem jetzigen Ruheplatz aus sah er ihn oft genug. Der Herr Doktor schien neuerdings viel Freude an Waldspaziergängen zu haben. Merkwürdigerweise schien ferner die hübsche junge Dame mit den braunen Locken und den braunen Augen dasselbe Vergnügen stets beinahe zur selben Zeit mit dem Herrn Doktor auszuüben. War der Herr langsam an Stropps Ruheposten vorübergeschritten, stets begrüßt von einem freundlichen Knurren und Schweifwedeln, so folgte auch alsbald die junge Dame. Hintereinander, übrigens ohne anscheinend voneinander Notiz zu nehmen, entschwanden sie an der Wegbiegung, dort wo der eigentliche Stadtbusch anfing, den Blicken Stropps und etwaiger sonstiger Spaziergänger. Nach einiger Zeit kehrte dann die Dame von ihrem Erholungsgange zurück, und bald darauf folgte auch der Herr, ohne aber von der vor ihm Herschreitenden bei seiner Kurzsichtigkeit etwas zu gewahren. Das war alles so regelmäßig und sicher wie das Amen in der Kirche.

Heute schien indessen eine Störung im Programm vorzuliegen. Der Herr Doktor kam pünktlich, wurde von Stropp dem Hund freudig begrüßt und dankte mit einem schmeichelnden Klaps und ein paar Worten, die den armen Köter ganz selig stimmten; er war in dieser Hinsicht seit einiger Zeit nicht verwöhnt. Dann sah Stropp, wie der Herr sich in einiger Entfernung aufstellte, scheinbar mit dem Zerlegen einer wilden Rose beschäftigt, und zwischendurch entschieden ungeduldig durch die Brille den Weg hinabspähte. Dann aber verfinsterte sich sein Gesicht plötzlich, und er trat langsam den Rückweg an, und als Stropp der Hund seinen Blicken folgte, sah er die junge Dame herankommen, doch nicht allein. Ein alter Herr, der unangenehm an den Herrn Oberförster erinnerte, schritt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 889. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_889.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2024)