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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

die Wassermenge ungenügend, andererseits die Wasserbeschaffenheit mehr oder weniger schlecht und gesundheitsfeindlich. Bäche und Flüsse waren mit dem Wachsthum der Städte und der Zunahme von Industrien, die ihre Abfälle und Abwässer denselben übergaben, mehr un mehr Verunreinigungen ausgesetzt, die ihr Wasser ungenießbar und zu anderen Zwecken unbrauchbar machten oder auch geradezu Krankheiten übertrugen; die Brunnen aber genügten immer weniger an Wassermenge und zeigten meistens ebenfalls eine zunehmende Verschlechterung. Die gewöhnlichen „Flach“- oder „Kesselbrunnen liefern ja bekanntlich in der Regel nicht reines, aus tieferen Erdschichten kommendes Quell- oder Grundwasser, sondern nur solches, das aus oberflächlichen, den mannigfaltigsten Verunreinigungen ausgesetzten Erdschichten stammt, oft auch unmittelbar durch Schmutzwasser von Straßen, Höfen, Dungstätten u. dergl. m. verdorben wird. Beweise dafür liefert die Beschaffenheit dieses Wassers. Mit den Zeiten wechselnd, enthält es mehr oder weniger organische Zerfallstoffe nebst deren Enderzeugnissen und kleinste Lebewesen pflanzlicher und thierischer Natur, die von den Zerfallstoffen sich nähren; ein stinkender Schlamm sammelt sich auf dem Grunde der Brunnen und muß von Zeit zu Zeit herausgeschöpft werden, damit das Wasser wieder brauchbar werde. Bei Häuserbauten, Straßenpflasterungen, beim Legen von Rohrleitungen etc. kann man sich ja oft genug durch Auge und Nase von dem bösen Zustande dieses Untergrundes überzeugen, dessen Auslaugungen – mit dem hygieinischen Ausdruck „Stadtlauge“ genannt – wir als Pumpenwasser schöpfen.

Auf den Dörfern steht es trotz der weitläufigeren Bauart damit oft noch schlimmer als in den Städten, weil viel mehr Düngerjauche oberflächlich oder von den Seiten her, durch Spalten oder mit dem Grundwasser in die Brunnen eindringen kann. Nicht selten hört man Dorfbewohner ihre Verwunderung darüber äußern, daß sie in der trockenen Zeit des Spätsommers und Vorherbstes so viel von Durchfällen, gastrischen Krankheiten und Unterleibstyphus zu leiden hätten; sie schieben dann meist die Schuld auf den reichlichen Obstgenuß. Aber die Sache erklärt sich sehr einfach dadurch, daß die guten Leute in Regenzeiten stark verdünnte, in trockenen Tagen schwach verdünnte Jauche zu trinken pflegen.

Die Brunnen können gegen solche Verunreinigungen dadurch geschützt werden, daß man sie bis in reines Erdreich einsenkt und ihre Seitenwände durch eine dichte Bauart gegen seitliches Eindringen von Wasser schützt; auch eiserne Röhrenbrunnen, tief genug gebohrt, entsprechen ihrem Zwecke, geben aber nur dann ausreichendes Wasser, wenn sie zufällig eine Wasserader treffen oder in eine stärkere Wasseransammlung auf undurchlässiger Schicht gelangen.

Das Bedürfniß kleiner Ortschaften kann auf solche Art unter günstigen Umständen wohl gedeckt werden; für größere Orte aber werden reichere Wasserzuflüsse verlangt, die man in Berücksichtigung der gewöhnlichen Gewerbe, sowie der allgemeinen Reinlichkeits- und Badebedürfnisse auf täglich 150 Liter für den Kopf der Bevölkerung schätzt. Glücklich die Städte, denen ein nahes Gebirge durch fließende Quellen oder durch Grundwasserströme, die von Berg zu Thal ziehen, reichlich reines Wasser liefert! Die größere Anzahl ihrer Schwestern, besonders in den Ebenen, ist darauf angewiesen, ihren Bedarf aus Flüssen oder Seen zu entnehmen, die vor Verunreinigungen nicht geschützt sind, und muß deshalb für Reinigung des Wassers sorgen, bevor es durch Leitungsröhren in die Häuser vertheilt wird. Auch muß der ganze Wasserbedarf gereinigt werden, weil doppelte Leitungen für Nutz- und Trinkwasser die Sache sehr vertheuern würden, und hauptsächlich, weil auch das Nutzwasser beim Waschen und Geschirrspülen, beim Reinigen der Wohnungen und bei manchen andern Gelegenheiten uns gefährliche Krankheitskeime zuführen kann. Es ist nichts Seltenes, daß aus einer Milchwirthschaft, wo zur Reinigung der Milchgefäße, vielleicht auch zur Verdünnung der Milch ein mit Typhusabgängen verunreinigtes Wasser gebraucht wurde, Typhus unter den Kunden sich verbreitete, und so gut Wäscherinnen durch Waschen von Cholerazeug erkranken, ebenso gut können auch Eßgeschirre, Milch und andere Speisen zu Trägern der Cholerakeime werden.

Endlich ist die Wasserreinigung auch deshalb an einem Orte vollständig durchzuführen, weil es niemals gelingen dürfte, das Nutzwasser überall vom Genuß auszuschließen, und weil Hausfilter verhältnißmäßig theuer sind und durch ihre bald eintretende Verunreinigung nicht nur unwirksam, sondern als Bakterienzuchtanstalten geradezu gefährlich werden, wenn sie nicht sorgfältig überwacht und oft gereinigt werden.

Sandfilter von der Art, wie sie in neuerer Zeit bei fast allen städtischen Wasserversorgungsanstalten eingerichtet sind, liefern im allgemeinen ein befriedigendes und für die Gesundheit der Abnehmer nicht nachtheiliges Wasser. Aber ihre Leistungen sind nicht unbegrenzt: krankmachende Bakterien können vermöge ihrer Kleinheit, theilweise vielleicht auch wegen ihrer Bewegungsfähigkeit durch die Filterschichten gelangen, jenseit derselben sogar sich vermehren, wie von gewohnlichen Wasserbakterien immer eine ganze Menge durch die Filter geht und in deren unteren Schichten sich vermehrt. Je weniger Bakterien in dem zu filtrierenden Wasser vorhanden sind, desto geringer ist die Gefahr, daß solche hindurchdringen. Deshalb ist von vornherein überall nur möglichst reines und wenigstens vor Vermischung mit Fäkalien möglichst geschütztes Wasser zu Leitungszwecken zu verwenden.

Indessen darf diese Aufforderung nicht zu streng aufgestellt werden. Denn im Fluß- und Seewasser vollzieht sich durch Ablagern auf den Boden, durch die Thätigkeit vieler kleinster und größerer Wasserbewohner, Pflanzen und Thiere, durch den im Wasser aufgelösten, der Luft entnommenen Sauerstoff und endlich durch das Sonnenlicht eine Zerstörung toter und lebendiger Verunreinigungen, ein Vorgang, den man als „Selbstreinigung“ der Flüsse bezeichnet. So kommt es, daß Flüsse, welche sämmtliche Abwässer und Kloaken von Städten aufgenommen haben, in einiger Entfernung unterhalb derselben nichts mehr davon erkennen lassen. In kleinen Klärbecken dagegen, in denen die unreinen Stoffe sich absetzen sollen, kann sogar eine reiche Sumpfflora und -fauna erwachsen und eine unermeßliche Vermehrung ihrer Bakterien unschuldiger wie gefährlicher Art eintreten.

Es ist, wie gesagt, natürlich dafür Sorge zu tragen, daß nicht in der Nähe der Schöpfstelle menschliche Ausleerungen in das Wasser gelangen. Ferner müssen die Filter langsam durchströmt werden, damit schädliche Bakterien nicht mechanisch mitgerissen werden, und zwar hat die aus Anlaß der Cholera im Reichsamt des Innern eingesetzte Fachkommission eine Filtrationsgeschwindigkeit (Stromgeschwindigkeit im Filter) von hundert Millimetern in der Stunde als nicht zu überschreitend bezeichnet. Endlich müssen die Sandfilter häufig gereinigt, dann aber nicht eher wieder in Gebrauch genommen werden, als bis auf ihrer Oberfläche sich wieder der Algenfilz gebildet hat, der die Bakterien und ähnliche Wasserbewohner zurückhält.

Um nach allen diesen Richtungen hin die Reinigungsfähigkeit der Filter stets genau beurtheilen zu können, ist eine häufige, unter gefahrdrohenden Umständen eine tägliche Ueberwachung durch bakteriologische Untersuchungen nothwendig. Erscheinen in dem filtrierten Wasser plötzlich größere Mengen oder ungewöhnliche Arten von Bakterien, so ist das Wasser vom Verbrauch auszuschließen und während dessen durch Benutzung eines anderen Filters Abhilfe zu schaffen. Aus diesem Grunde und schon um die gewöhnliche Reinigung ohne Betriebsstörung zu ermöglichen, sind immer mindestens zwei Filter von reichlicher Größe nothwendig.

Die Versorgung der Städte mit tadellosem Wasser kostet freilich Geld, oft recht viel Geld, aber man hält damit nicht nur Krankheiten fern, die neben Geld noch viel Trauer und Leid kosten, durch reichliches und gutes Wasser wird auch allein die Reinlichkeit in Haus und Hof, an Leibern und Kleidern möglich, welche die Gesundheit kräftigt und fördert, die Arbeitsfählgkeit und Arbeitslust steigert, die ganze Freude am Dasein erhöht. Und noch immer gilt das Wort des alten griechischen Dichters: „Wasser aber ist das Beste!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 886. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_886.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2023)