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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

dieser Nebel länglich elliptisch oder spindelförmig ist, nahe der Mitte einen hellen Kern hat und seitlich von einem kleinen rundlichen Nebel begleitet wird. Sterne stehen hin und wieder über den Nebel zerstreut, auch tauchte im August 1885 nahe seinem Mittelpunkt ein gelbliches Sternchen auf, das nach einigen Monaten wieder verschwand und seitdem nicht wieder gesehen worden ist. Beobachter an sehr großen Fernrohren wollten im Innern des Nebels hier und da dunkle Striche wahrgenommen haben, andere konnten dergleichen nicht sehen, kurz, Besonderheiten seines eigentlichen Baues oder seiner Bildung waren nicht bekannt. Da schickte sich am 29. Dezember 1888 der obengenannte Isaak Roberts an, mit einem großen Spiegelteleskope und einer überaus empfindlichen Platte den Nebel photographisch aufzunehmen. Um bei der Lichtschwäche desselben ein genügend deutliches Bild zu erhalten, hat er volle vier Stunden lang exponiert, wobei das Fernrohr ununterbrochen, der Drehung des Himmels entsprechend, nachgeführt werden mußte , damit es das Bild auf der Platte unverrückt festhalte. Diese überaus mühevolle, anstrengende Arbeit wurde von einem ungeahnten Erfolg gekrönt. Auf der Platte erschien ein Bild, welches von allem abwich, was bis dahin das Auge am Fernrohr gesehen hatte. Der Nebel erschien als ein System von Ringen mit einem Kern in der Mitte, genau so, wie die Weltenbildungstheorie von Laplace dies voraussetzt!

Der Andromeda-Nebel.

Niemals hat sich menschlichen Blicken etwas Ueberraschenderes in der Welt der Nebelflecke dargeboten als dieses Bild. Man erblickt in ihm unmittelbar und ohne Zuhilfenahme von Phantasie eine flache Nebelscheibe, schräg gegen unsere Gesichtslinie liegend, im Stadium der Ringbildung mit mehreren Verdichtungen auf einzelnen Ringen, welche wahrscheinlich die Anfänge von Planetenbildungen darstellen. Ja, der kleine, den Hauptnebel begleitende Nebelfleck ist vielleicht nichts anderes als ein bereits abgetrennter Nebelball, der frei den großen centralen Nebel umkreist. Die Laplacesche Weltenbildungstheorie feiert in dieser photographischen Aufnahme des Andromeda-Nebels einen währen Triumph. Es ist, als wenn der Nebel eigens vorhanden wäre, um einen augenfälligen Beweis für ihre Richtigkeit zu geben. – In der obenstehenden Abbildung ist eine möglichst getreue Wiedergabe der Robertsschen Photographie versucht worden. Der Leser sieht deutlich die schräg gegen unsere Gesichtslinie liegenden Ringe und die Lichtknoten darauf. Er sieht außerdem den ganzen Nebelfleck auf allen Seiten umgeben von größeren und kleineren Sternchen, die ohne bestimmte Ordnung gruppiert erscheinen und offenbar keine Beziehung zu dem Nebel selbst haben. Höchst wahrscheinlich steht dieser letztere uns näher als jene Sterne. Wie groß seine Entfernung ist, weiß man nicht, nur so viel ist sicher, daß sie viele tausend Milliarden Meilen beträgt, also so beträchtlich ist, daß wir uns keine sinnliche Vorstellung davon machen können. Von den unzähligen Sternchen aber, welche auf demselben Bilde mit dem Nebel zugleich erscheinen, kannte man früher nur einige wenige, kein Fernrohr hatte sie bis dahin gezeigt, und erst die photographische Platte zog sie aus dem Dunkel ihres bisherigen Daseins vor die Augen der Menschen. Und alle diese Sternchen, die kleinsten nicht ausgenommen, sind leuchtende Sonnen, gleich unserer Sonne, alle sind mächtige Weltkörper, die seit Myriaden Jahren glühen und leuchten zu Zwecken, die wir nicht kennen, Weltkörper, von denen wir nur sagen können, daß sie nicht unsertwegen vorhanden sind. Indem wir uns dieses recht versinnlichen, eröffnet sich vor unserm Geiste eine Vorstellung von dem Weltall und seinen Einrichtungen, die alles übertrifft, was die kühnste Phantasie ersinnen könnte. Gleich Schneeflocken wirbeln Sonnen und Planeten im schrankenlosen All; Raum, Zeit und Materie treten uns in überwältigender Fülle entgegen. Körper von der Größe unserer Sonne spielen im All kaum eine wichtigere Rolle als Tropfen im Ocean, als Sandkörner am Strande des

Meeres. Jedes der Sternchen, die wir auf der Abbildung sehen, hat seine eigene Weltgeschichte, jedes bildet in seiner Heimath eine Welt für sich, von den andern getrennt durch unermeßliche Entfernungen. Jedes ist eine ungeheure Gluthmasse, ähnlich unserer Sonne, und das Spektroskop hat uns offenbart, daß auf allen Sternen des Himmels gewisse einfache Stoffe, wie Wasserstoff, Stickstoff, Natrium, Magnesium, im Zustand glühender Gase vorhanden sind, ähnlich wie dies auch bei der Sonne der Fall ist. Von der kleinen dunklen Erde aus, die, aus Fixsternentfernung gesehen, durch nichts eine Spur ihres Daseins mehr verrathen kann, ist der Mensch, mit Hilfe seiner Vernunft und bewaffnet mit den bewundernswerten Instrumenten der Neuzeit, vorgedrungen bis in jene entlegenen Regionen und hat dort den Werdeprozeß der Welten belauscht, hat in den Sternen die Vorgeschichte seiner eigenen Heimath gelesen und zieht aus den Zuständen der Vergangenheit und Gegenwart begründete Schlüsse auf das, was noch im Schoße der Zukunft schlummert, aber dereinst kommen wird, weil es naturnothwendig kommen muß.

Wie alles, was entsteht, zu Grunde gehen muß, so ist auch den Sternen, die sich aus dem Urnebel gebildet haben und noch bilden werden, keine ewige Dauer ihres Daseins beschieden. Schon die Thatsache, daß die Fixsterne Sonnen sind gleich unserer Sonne und wie diese ununterbrochen Wärme ausstrahlen, beweist, daß jeder Stern mit der Zeit erkalten muß. Aus einer selbstleuchtenden Sonne wird er alsdann zu einem dunkeln erstarrten Körper von so grausenvoll niedriger Temperatur, wie wir sie aus der Erfahrung nicht kennen. Es ist wissenschaftlich festgestellt, daß wenn die Sonne keine Wärme mehr der Erde zusenden würde, die Temperatur an der Oberfläche unseres Weltkörpers so tief unter den Gefrierpunkt sinken würde, daß nicht nur alle uns bekannten Flüssigkeiten erstarren müßten, sondern sogar die atmosphärische Luft ihren gasförmigen Zustand verlassen und als fester Körper die Erde bedecken würde. So viel liegt daran, daß die Gluth einer Sonne ihren Planeten zustrahlt; mit dem Erlöschen dieser Gluth beginnt die Erstarrung des Todes. Die zahllosen leuchtenden Fixsterne im Weltraum sind ebensoviel Quellen der Wärme und damit des Lebens und der Bewegung. Wir dürfen annehmen, daß sich um viele oder gar um die meisten von ihnen dunkle Planeten bewegen, von denen wir freilich nichts Bestimmtes wissen und auch niemats erfahren werden. Unbestreitbar aber bleibt, daß jene Fixsterne, und unter ihnen auch unsere Sonne, einst ihre Wärme eingebüßt haben werden, denn das, was sie an Gluth ununterbrochen ausstrahlen, ist nur der Ueberrest derjenigen Wärme, die aus dem Ballungsprozeß ihrer Nebelmaterie erwuchs. Daher ist Erstarrung, Nacht und Kälte der letzte Ausblick, welcher sich für die Sterne des Himmels eröffnet, Kraftlosigkeit und Tod das Ende ihres kosmischen Lebens. Auch gibt es manche Sterne des Himmels, die Spuren beginnenden Alters zeigen, deren Licht röthlich geworden ist, als Zeichen, daß die höchste Gluth dort längst vorüber und erhebliche Minderung der Wärme eingetreten ist. Im Verlauf zahlloser Jahrtausende werden diese Sterne erloschen sein. Unsere Sonne zeigt in ihrem bläulich-weißen Licht und durch ihre jeden Vergleich mit irdischen Wärmequellen übersteigende Gluth, daß ihr noch ein langes Leben beschieden ist.

Doch auch sie kann sich dem allgemeinen Gesetze nicht entziehen, auch sie wird dereinst erlöschen, und für den Erdball wird die Zeit kommen, in der es keinen Tag mehr gibt. Vom Menschengeschlecht wird dann allerdings längst jede Spur verschollen, jegliche Erinnerung an menschliche Leiden und Freuden, an alle Großthaten unseres Geschlechtes wird dahin sein, weil kein sterbliches Wesen hiniedea mehr vorhanden ist, in dessen Bewußtsein sie erklingen könnte. Was in dieser Beziehung für uns noch in nebelgrauer Zukunft liegt, ist an anderen Stellen des Weltraumes, in anderen Sonnensystemen ohne Zweifel schon oftmals

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 879. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_879.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)