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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und vielfache Nebel, ja, wie ein neuerer Astronom sich bezeichnend ausdrückt, auf förmliche Nebelnester.

Wo diese Nebelflecke bestimmte Gestaltung zeigen, sind sie meist rundlich oder länglich eiförmig. Die runden Nebel erscheinen gegen die Mitte hin oft stufenweise heller, gleichsam als wenn in diesem Mittelpunkte der Sitz einer bildenden und verdichtenden Kraft wäre. Auch bei länglichen Nebelflecken zeigt sich Aehnliches, und das Aussehen derselben läßt keinen Zweifel darübcr, daß dort ein Zusammenschluß der Nebelmaterien stattfindet, ja daß sich eine Art von Kern daselbst zu bilden beginnt. Bei mehreren dieser Nebel sieht man um den Kern herum eine zarte Helligkeit, die Herschel mit einer Mähne vergleicht. Diese Nebel haben die Vorstellungen Herschels lange und lebhaft beschäftigt. „Ihr Bau,“ sagt er, „ist verwickelt und geheimnißvoll, .und beim gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnisse nmöchte es anmaßend sein, eine Erklärung zu wagen; wir können nur wenige Ansichten fassen, die aber zu Fragen führen. Deutet die Mähne vielleicht darauf hin, daß ein Theil der Nebelmaterien ehe sie in dem Kern sich niederläßt, anfängt, eine Gestalt anzunehmen, in welcher sie diesen Kern in konzentrischer Anordnung umgiebt? Und – wenn wir wagen dürfen, noch weiter zu fragen – wird nicht die Materie bei ihrem Herabsturz gegen den Kern eine Art von Wirbel oder herumschwingender Bewegung hervorrufen? Ja, muß nicht eine solche Wirkung eintreten und sehen wir hier nicht eine natürliche Ursache, die einem Weltkörper gleich bei seiner Bildung eine umwälzende Bewegung ertheilen kann?“

„Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde!“ Dieses Dichterwort bestätigt sich auch hier. Herschel hat, man möchte sagen instinktiv, das Richtige getroffen; jene Nebel sind in der That Vorstufen der Bildung von Sonnensystemen. Was der große Mann nur unvollkommen mit seinen leiblichen Augen sehen konnte, das liegt heute, dank den Fortschritten der Optik und der Photographie, klar und unzweifelhaft vor dem Blicke der Gegenwart. In einigen Fällen hat die unermeßlich weit entfernte Nebelmaterie selbst ihr Bild auf die photographische Platte gezeichnet und uns in nicht mißzuverstehender Sprache enthüllt, was der geistige Blick Herschels schon vor einem Jahrhundert erschaute. Jene Mähnen sind nichts anderes als ungeheuere Wirbel von Nebelmaterie, sie gehören einer besonderen Klasse von Nebelflecken, den sogenannten „Spiralnebeln“ an, die zuerst Lord Rosse mit seinem Riesenteleskop erkannte und die in neuester Zeit genauer mit dem noch mächtigeren Riesenfernrohr auf dem Berg Hamilton in Californien gesehen worden sind. Man erkennt in den Abbildungen, welche die Beobachter von diesen außerordentlich merkwürdigen Gebilden gegeben haben, leuchtende Windungen der Nebelmaterie, in einem Falle stellen sie sich dar wie ein schneckenartig gewundenes Tau, das an seinen Endpunkten in dichte runde Knoten ausläuft. Dabei darf man niemals vergessen, daß es sich hierbei um Größenverhältnisse handelt, welche alle menschlichen Begriffe übersteigen, daß die kleinsten Nebelpünktchen in diesen Gebilden unsere ganze Sonne an Volumen weit übertreffen und jene lichteren Schneckenwindungen sich durch Räume erstrecken, gegen welche die Entfernung der Erde von der Sonne verschwindend klein erscheint.

Es handelt sich also hier um Vorgänge, welche mit der Bildung ganzer Weltsysteme in engster Beziehung stehen, um Entwicklungen in den Werkstätten des Alls. Aus den Nebelmassen heraus haben sich die Sonnensysteme, haben sich die Fixsterne und die Planeten gebildet, und zwar in einer Art und Weise, welche zuerst der große französische Mathematiker Laplace kennen gelehrt hat. Nach seiner Hypothese bildete z. B. unsere Sonne in der Urzeit einen ungeheuer ausgedehnten Nebelfleck von hoher Temperatur, der sich von West nach Ost um seine Axe drehte. Infolge der allmählichen Erkaltung mußte sich die Materie dieses Nebelfleckes mehr und mehr zusammenziehen und dadurch endlich, nach bestimmten mechanischen Gesetzen, in der Gegend des Aequators der Nebelmasse ein frei schwebender Ring abgetrennt werden. Da die Erkaltung fortdauerte und mit ihr die Zusammenziehung des umschwingenden Nebels, so mußte sich nach Ablauf einer gewissen Zeit die Ringbildung wiederholen, und alle Ringe drehten sich ununterbrochen von West nach Ost um die centrale Nebelmasse. Die fortdauernde Erhaltung dieser Ringe würde eine gewisse Regelmäßigkeit ihrer Zusammensetzung und Zusammenziehung in allen Theilen erfordern, die sehr wenig wahrscheinlich ist. Daher mußte der Fall eintreten, daß die Ringe auseinander brachen und ihre Materie sich, da sie noch flüssig oder gasförmig war, zu Kugeln ballte. Aus diesen glühendheißen Nebelkugeln entstanden die Planeten. Jede solche Kugel drehte sich von West nach Ost um ihre Axe, und indem sie erkaltete, konnten sich hier alle Vorgänge, die bereits bei der ursprünglichen Nebelmasse eintraten, wiederholen. Es bildeten sich also wiederum Ringe, aus deren Zerfall später die Monde der Planeten entstanden.

Laplace hat, als er seine berühmte Hypothese der Weltenbildung aufstellte, von den Untersuchungen Herschels über die Nebelflecke nichts gewußt, wenigstens erwähnt er diese nicht. Er ging vielmehr von einer anderen Thatsache aus, die er mit großem Scharfsinn verwerthete und die wirklich höchst merkwürdig ist. In unserem Planetensystem bewegen sich nämlich alle Hauptplaneten von West nach Ost um die Sonne, diese selbst dreht sich von West nach Ost um ihre Axe, die Erde dreht sich in der nämlichen Richtung um sich selbst, und das Gleiche gilt vom Mars, Jupiter und Saturn. Außerdem läuft der Mond von West nach Ost um die Erde, die Monde des Jupiter laufen in der gleichen Richtung um ihren Planeten, und das Nämliche gilt von den Monden des Saturn. Diese allen gemeinsame Bewegung von West nach Ost muß einen Grund haben, und Laplace berechnete, daß man 4000 Millionen gegen Eins wetten könne, es handle sich hier nicht um eine Wirkung des Zufalles, sondern um eine verborgene, allgemeine Ursache. Diese suchte er auf und fand sie in der oben geschilderten gemeinsamen Entstehung aller Planeten aus einer ungeheueren Nebelmasse. Es ist etwas Großartiges um den Gedanken an die Art und Weise der Bildung des ganzen Sonnensystems, um die Erforschung von Vorgängen, die sich abspielten, ehe unser Erdball noch vorhanden war, ehe die heutige Sonne ihren ersten Lichtstrahl ausgesandt hatte! Und dem großen Geiste, von dem man mit Recht gesagt hat, daß er mehr als jeder andere verstanden habe, sich wissenschaftlichen Irrthümern zu entziehen, welche die Einbildungskraft so leicht hervorruft, ihm kann man mit Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Planetensystems mit vollem Recht die Worte in den Mund legen:

„Ich war dabei, als noch da drunten siedend
Der Abgrund schwoll und strömend Flammen trug,
Als Molochs Hammer, Fels an Felsen schmiedend,
Gebirgestrümmer in die Ferne schlug!“

In der That, mit prophetischem Blicke über Zeit und Raum hinaus dringt der wissenschaftliche Geist vor und enträthselt den Zustand der Dinge zu einer Zeit, die begraben liegt im Schoße tiefster Nacht der Vergangenheit, zu einer Zeit, in welcher der heutige Sternenhimmel nicht vorhanden war und das Dasein der scheinbar ewig den Pol umkreisenden Sternbilder noch im Nebel der Zukunft ruhte.

Sehr richtig sagte Arago über die Laplacesche Theorie der Weltenbildung, sie sei als die einzige anzusehen, welche durch ihre Großartigkeit, ihre Folgerichtigkeit, ihren mathematischen Charakter sich wirklich zur Begründung einer physischen Kosmogonie, einer auf Naturgesetzen aufgebauten Weltbildungslehre, eigne, die einzige, welche in den Ergebnissen der neueren astronomischen Untersuchungen über die Nebelflecke von jeder Größe und Gestalt, die sich am Himmel finden, eine mächtige Stütze erhalte. Letzteres ist heute in einem noch ungleich höheren Grade der Fall, als man selbst vor einem Jahrzehnt ahnen konnte. Wer hätte auch vermuthet, daß es der vervollkommneten Photographie gelingen würde, die Welt der Nebelflecke gewissermaßen zur Erzählung ihrer Geschichte zu bringen, indem sie dieselbe vermochte, mit dem eigenen Lichte ihre Gestalt und ihr Wesen niederzuschreiben? Heute ist dies gelungen, und wir besitzen von einem der größten Nebelflecke photographische Darstellungen, welche die Ringe und Nebelballen der Laplaceschen Theorie dem Beschauer unmittelbar vor Augen führen, von der Natur selbst gezeichnet, unverfälscht, ohne daß die mangelhafte Sicherheit eines Zeichners die Linien auch nur um Haaresbreite verändert hätte. Eine solche photographische Aufnahme eines Nebelfleckes wurde zuerst gewonnen am 29. Dezember 1888 in Liverpool, und zwar von einem Liebhaber der Astronomie und Photographie, Jsaak Roberts mit Namen.

Der Nebelfleck, um den es sich hier handelt, steht am Himmel im Sternbild der Andromeda und ist dem bloßen Auge in klaren Nächten, wenn man den Ort kennt, als schwaches, nebliges Sternchen erkennbar. In mächtigen Ferngläsern sieht man, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_878.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)