Seite:Die Gartenlaube (1892) 866.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

aufzustellen liebt; entweder an der Unglücksstätte selbst oder in benachbarten Kapellen und Kirchen.

In solchen „Marterln“ zeigte sich Girgel als Meister. Seine kundige Hand zauberte mit überraschender Aehnlichkeit Holzknechte, die beim Fällen von Bäumen erschlagen wurden, Bauern, die unter den Rädern ihres Wagens einen jähen oder im tiefen Winterschnee einen langsamen Tod gefunden hatten, auf die kleinen Holztafeln. In herzbeweglichen Worten schrieb er dann noch mit recht lesbaren Buchstaben das Ereigniß unter das Bildchen und schloß mit der Bitte an den Wanderer, für das Seelenheil des Verunglückten ein Vaterunser zu beten.

Bei der ausgedehnten Kundschaft seines Meisters hatte Girgel bald nichts anderes mehr zu thun, als „Marterln“ zu malen.

Als der Meister starb und dessen Geschäft von einem Nachfolger angekauft wurde, mit welchem Girgel sich nicht vertrug, machte sich Girgel selbständig. Er siedelte sich in dem Dorfe am See an, wo er zwar kein Anwesen erwarb, aber wenigstens eine Stube, die ihm als Atelier und Schlafstätte diente. Der Ruf, welchen er sich als „Marterl“-Maler im Städtchen erworben hatte, war weit verbreitet, so daß er in den ersten Jahren seiner Selbständigkeit vollauf Beschäftigung fand. Er erhielt für ein „Marterl“ – je nach der Zahlungsfähigkeit des Bestellers – einen Gulden oder mehr, mitunter selbst einen Kronenthaler.

Wenn ich sage, er hatte vollauf Beschäftigung, so muß das richtig verstanden werden. Vollauf Beschäftigung, das hieß für den Girgel drei Tage Arbeit in der Woche und vier Feiertage. Was darüber war, das war ihm schon zu viel. So kam’s denn, daß ihm zuweilen das Geld ausging, trotz all seiner Kunst, und daß er eines schönen Tages von einer Kunstreise hemdärmelig, ohne Rock nach Hause kam, weil er den letzteren in einem ziemlich entlegenen Wirthshaus als Pfand hatte zurücklassen müssen. Gerade damals hatte er aber besonderes Glück. Ein Schiff mit Wallfahrern war im See untergegangen; da bekam der Girgel eine Menge „Marterln“ zu malen und konnte nicht bloß seinen Rock wieder auslösen, sondern erhielt noch ein weiteres Kleidungsstück dazu. Ein reicher Bauer aus dem Unterlande nämlich, dessen Schwiegermutter mit unter den verunglückten Wallfahrern gewesen war, zahlte dem Girgel nicht bloß drei Kronenthaler für das „Marterl“, sondern schenkte ihm außerdem eine neue Lederhose.

Das war die höchste Bezahlung, welche Girgel in seinem Leben für ein Kunstwerk davongetragen. Aber er war mit den Ergebnissen seiner Kunst nicht zufrieden. „Ich bin ein Sonntagskind und muß noch ein großes Glück erwischen!“ Das war seine ständige Redensart. Auf seine Sonntagskindschaft sündigte er, wenn er die Kundschaften warten ließ und, statt die bestellten „Marterln“ zu malen, im benachbarten Brauhause hinter dem Maßkrug saß.

In jener Zeit erwarb er sich den Uebernamen, der ihm bis über seinen Tod hinaus verblieb, den Namen „Tuifelmaler“. Es werden nämlich mitunter „Marterln“ bestellt, auf welchen nicht nur irdische Vorgänge, sondern auch Fegfeuer und Hölle zur Erscheinung kommen sollen. Und darin zeigte nun der Girgel eine ganz besondere Kühnheit der Erfindung und der Ausführung. In eine Wegkapelle bei Ramsau malte er das Paradies, das Fegfeuer und die Hölle auf einer einzigen Tafel: das Paradies himmelblau mit weiß, rosa und lichtgrün; das Fegfeuer aschgrau mit einem Stich ins Schweflichte; die Hölle kohlschwarz, blutroth und feuergelb, mit auserlesenen Teufeleien gefüllt. Ein Erfolg dieses Kunstwerks war, daß auswärtige Kundschaften fast nur mehr nach dem „Tuifelmaler“ frugen, wenn sie etwas von ihm haben wollten.

Jeden Tag, oft aber auch zweimal im Tage, saß der Girgel in der Schenke des Brauhauses. Daselbst war eine Kellnerin, die Liesei, ein braves und hübsches Mädchen mit hellen Augen und fleißigen Händen. Die hätte den Girgel wohl mögen, wenn er weniger im Wirthshaus und fleißiger bei seinen „Marterln“ gesessen hätte. Aber es war nichts zu machen mit dem Menschen. Statt ernster und tüchtiger ward er von Woche zu Woche liederlicher. Er hatte auch den richtigen Kumpan dazu gefunden in der Person des Schratzen-Wastl, eines verkommenen Zimmergesellen, der die wüstesten Lieder singen konnte im Umkreis von sechs Wegstunden.

Der Schratzen-Wastl starb eines jähen Todes. Er fiel, weil er zu viel getrunken hatte, vom Dach des Brauhauses, wo er neue Schindeln aufnageln sollte. Aus der Verlassenschaft des Schratzen-Wastl aber erstand Girgel dessen Einbaum. Der war das schlechteste Schiff am ganzen See, schwarz vor Alter, schief gedreht vom Sturm der Zeit und reichlich durchlöchert.

Girgel aber richtete dieses Fahrzeug seltsam her. Außen an den hochaufstrebenden Bug malte er, wie in die Kapelle bei Ramsau, Himmel, Fegfeuer und Hölle. Dem Himmel hatte er freilich nur ein kleines Fleckchen gelassen, den meisten Raum nahm die Hölle ein. Dieses Fahrzeug ward Girgels Heimwesen; vorn im Schnabel des Kahns richtete er sich eine Moosstreu zurecht und schlief zur Sommerszeit oft Wochen lang nur noch in seinem Schiffe. Wenn er kein Geld mehr hatte, um im Brauhaus zu trinken, und keine Lust, in seiner Werkstatt zu arbeiten, saß er draußen im See und fischte. Fuhr aber einer aus dem Dorfe vorüber und frug etwa spottend: „Girgel, was fangst?“ – dann rief er gleichmüthig: „Ich bin ein Sonntagskind und muß doch noch mein Glück erwischen.“

Die blonde Liesei sah ihm oft nach, wenn er so in den See hinausfuhr, und jedesmal kam ein Seufzer aus ihrem Herzen. Ein seidenes Tuch, das er ihr einst unter Betheuerungen seiner Liebe geschenkt, hatte sie zwar genommen, aber dazu gesagt: „Girgel, ich heb’ Dir’s auf! Tragen thu’ ich’s nicht eher, das Tüchel, als bis Du ein ordentlicher Mensch geworden bist!“

Der Girgel ward jedoch kein ordentlicher Mensch mehr, sondern fuhr fort, nach seinem Glück zu fischen. Einmal fing er auch wirklich etwas ganz Großes und Merkwürdiges. Ob es aber das Glück war, ist doch sehr zweifelhaft. Die Sache ging so zu:

Der Girgel saß eines schönen Tages wieder in seinem wüsten Fahrzeug draußen auf dem See und fischte. Da kam ein Schiff vorüber, drinnen der Gerichtsdiener vom königlichen Landgericht. Wie der den Girgel sah, rief er ihm zu, während er seinen Fährmann anhalten ließ: „Girgel Söllhuber, ich glaub’, ich hab’ was Gutes für Dich!“

„Nur her damit!“ antwortete dieser übermüthig. Und wie der Gerichtsdiener ein Schreiben hervorzog, um es dem Girgel zu geben, reichte dieser das Ruder hin, damit der Gerichtsdiener das Schreiben drauf legen sollte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 866. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_866.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)