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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

eine scharfe Verständigkeit. Grube vereinigt eine gediegene Geistesbildung mit einem durchdringenden und anschmiegsamen Verstande. Er faßt die Gedanken eines Grillparzer ebenso sicher wie die eines Schiller. Im Schauspielerischen führt ihn diese Fähigkeit zur Pflege des Charakteristischen, bei sich selbst wie bei andern. Der wie ein schwerer Strom hinfließende, alles in Rhythmus ertränkende sogenannte „Idealstil“ ist ihm zuwider. Ihm selber spielt freilich sein Scharfsinn oft gar üble Streiche. Als Schauspieler grübelt er zu viel. Sein Hamlet, sein Shylock, sein Franz Moor, sein Kaliban, sein Narziß, sein Richard III, sein Bancban, vor allem sein Mephisto, sie haben alle einen gemeinsamen fatalen Grundzug: sie sind erklügelt, des Gedankens Blässe haftet ihnen an. Aber nicht zu leugnen ist’s: es ist eine interessante Blässe. Man freut sich dieses Darstellers tiefster Charaktere, weil man sich sagt: der Mann hat sie verstanden, den Dichter und sein Geschöpf, und er hat den Muth, seine Einsicht, mag sie noch so kraß der schauspielerischen Gewöhnung widersprechen, in That umzusetzen.

Gleichzeitig ist Grube jedoch viel zu klug, um die Klugheit an anderen zu überschätzen. Er weiß ganz gut, daß der Schauspieler mit Klugheit allein eben nicht weit kommt, und so ist der Anhaltspunkt, wonach er das Talent eines Kunstjüngers bemißt, nicht der Vortrag einer Rede, sondern – der Schrei. Wer seines Inneren gesammelte Gefühle in einen Schrei zusammenzupressen vermag, das ist ein Schauspieler. Mit dieser Ueberzeugung steht er im Berliner Schauspielhaus formend und umformend vor einem Kunstkörper, in dem das Verschiedenartigste sich zusammenfindet. Altes neben Neuem, Recitatoren neben Charakteristikern, Männer der reinen Uebung neben natürlichen Talenten, Pensionäre neben frischem Blut. Keine leichte Arbeit mit einem Ziel vor Augen, das erst die langsam schreitende, Altes allmählich entwurzelnde Zeit zu erreichen helfen kann!

Hamlet.   Shylock.   Franz Moor.
Max Grube.

Noch einige Worte über Grubes äußeren Lebensgang. Er ist in Dorpat geboren, seine Mutter war eine Polin. Das Deutsche erlernte er erst in seinem vierten oder fünften Jahre, als er nach Breslau kam, wo er auch das Gymnasium besuchte. In seinem zehnten Jahr war er zum ersten Mal im Theater; der „Freischütz“ wurde gegeben, am nächsten Tage wußte er das Textbuch auswendig. Damals schon schwärmte er dafür, Schauspieler zu werden; vor der Hand begnügte er sich jedoch, ein leidlicher Schüler zu sein, E. T. A. Hoffmann und Schiller zu verschlingen, litterarische Kränzchen zu gründen und unter Beihilfe des alten Holtei eine Tragödie zu schreiben. Mit 18 Jahren ließ sich Grube von Professor Bürde in Dresden, dem Gatten der Bürde-Ney und Lehrer am Konservatorium, auf seine schauspielerischen Fähigkeiten prüfen. Der gütige Herr rieth nicht ab, aber die meist aus Pastoren und Justizräthen bestehende Familie Grubes war entsetzt über des ungerathenen Sprößlings Absicht, unter die Komödianten zu gehen. Die Folge war: der unternehmungslustige Max ging durch. Er reiste mit der kleinen Summe, die er sich in Breslau durch Privatstunden erspart hatte, geradeswegs nach Meiningen und empfahl sich hier in einem langen bangen Schreiben voll Herzensqual und heimlichen Stolzes der gütigen Frau Wiedmann, die den Brief dem Herzog zeigte. Grube wurde stracks gegen 40 Gulden monatlich angestellt, galt übrigens als guter Briefstilist und schlechter Schauspieler. 1873, beim ersten Gastspiel der Meininger in Berlin, sprang er für einen erkrankten Kollegen als Junker Fabio in „Was ihr wollt“ ein und gefiel; die 40 Gulden steigerten sich auf 75 Gulden, aber weitere Anerkennung wollte nicht kommen. „Gehen Sie Holz hacken“, rieth ihm Direktor Grabowski. Beim zweiten Berliner Gastspiel 1875 verließ er die hoffnungslose Stellung und ging nach Pyrmont, wo er Nachfolger Lautenburgs, des jetzigen Direktors des Berliner Residenz-Theaters, in Charakterrollen wurde. Direktor Borsdorff, der außer in Pyrmont auch in Detmold, Osnabrück, Münster, Bielefeld, Dortmund spielte, hatte es darauf abgesehen, die „Meininger“ nachzuahmen, wobei er sich der guten Dienste Grubes erfreute. Mit Borsdorff ging Grube noch 1875 nach Lübeck, wo er im Hause Geibels gastlich aufgenommen wurde und bleibende litterarische Eindrücke empfing. In Lübeck diente Grube sein Jahr ab, während dessen er übrigens mit Erlaubniß seiner Vorgesetzten weiter spielen durfte; hier lernte er auch seine nachmalige Gattin Fräulein Leisch kennen, die im „Hamlet“ seine Ophelia war. 1877 kam er nach Bremen, verkehrte viel mit Arthur Fitger und Bulthaupt und führte zeitweise die Oberregie. 1881 ging er nach Leipzig, hier „fühlte er sich reif werden“. Später kam ein Ruf nach Dresden ans Hoftheater, wo er sich jedoch nicht in die herrschende deklamatorische Manier finden konnte. So kehrte er 1885 ans Hoftheater nach Meiningen zurück, wo er verblieb, bis ihn 1888 Direktor Anno für das Berliner Königliche Schauspielhaus verpflichtete, dessen Leitung er zwei Jahre später übernahm.

Auch litterarisch hat sich Grube versucht. Mit Koppel-Ellfeld schrieb er ein Schauspiel „Hans im Glück“. Allein verfaßte er einen Einakter „Strandgut“ und ein fünfaktiges Trauerspiel, welches das tragische Geschick des genialen schlesischen Dichters Christian Günther behandelt, ferner ein Festspiel „In des Kaisers Schutz“ und ein Büchlein voll Gelegenheitspoesien „Im Bann der Bühne“. In Bälde soll auch ein Band gesammelter Gedichte von ihm herauskommen.

So steht er schaffend, anregend und organisierend auf einem Posten, der dem schärfsten Urtheil ausgesetzt und offener und verborgener Schwierigkeiten aller Arten voll ist. In frischer Manneskraft ist er vor eine Aufgabe gestellt, wie sie einem Bühnenleiter in Deutschland nicht leicht zufallen kann; bleibt er ihr wie bisher gewachsen, so ist er früh zu einem reichen Dasein auserlesen gewesen, in dem er sich mit allen seinen Fähigkeiten voll auszuleben vermag. Otto Neumann-Hofer.     


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_825.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)