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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Holländer, der an einem Karfreitag in See stach und nun zur Strafe ruhelos auf dem Meere umherrast und beim Kap der Guten Hoffnung gegen die Stürme kreuzt, ein warnendes Beispiel. Theologen haben ausgerechnet, daß nicht nur Christus an einem Freitag gekreuzigt worden ist, sondern daß auch Adam und Eva eines schönen Freitags den Apfel aßen und sündigten.

Den Bann des Freitags mißachten, ein Salzfaß verschütten und als der Dreizehnte am Tische sitzen, das läuft bei abergläubischen Seelen auf eins hinaus. In allen drei Fällen droht ein Unglück!

Der vornehmste Beweis dafür, daß die Dreizehn ihren unheilbaren Mißkredit nur dem Passahmahle in der Stadt Jerusalem verdankt, ist der, daß diese Zahl bis dahin nicht nur nichts Anstößiges hatte, sondern daß die ungeraden Zahlen sogar für besser galten als die geraden. Ich will ja nicht behaupten, daß alle heiligen Zahlen ungerade seien, obschon gleich die vier ersten ungeraden Zahlen, die Drei, die Fünf, die Sieben und die Neun, seit den ältesten Zeiten für heilig gegolten haben, eine Eigenschaft, die in diesem Grade eigentlich nur die Zwölf mit ihnen theilt. Aber im allgemeinen scheint es fast, als ob die Völker geradezu eine Furcht vor den geraden Zahlen und den runden Summen hätten, das lehrt uns eine Menge recht befremdlicher Eigenheiten. Warum werden bei festlichen Anlässen nicht 100, sondern 101 Kanonenschüsse abgebrannt? Warum dem indischen Sträfling 101 Stockhiebe aufgezählt? Ist das eine bloße Vorsichtsmaßregel oder eine gewisse adelige Gepflogenheit, mit der eins dreingegeben wird, wie die Marktfrau in Leipzig für die Mandel Eier 16 Stück verabreicht, was sie eine Bauernmandel heißt? – Also die Dreizehn besäße an sich eher Anwartschaft darauf, eine gute Zahl zu sein. Wenn sie unter allen die schlechteste, die gefährlichste, die verrufenste ist, so liegt das an Jerusalem.

Die Erscheinungen, welche durch die Furcht vor der Zahl Dreizehn zu Tage gefördert werden, gehören entschieden zu den seltsamsten „Komödien des Aberglaubens“. Wir haben hier zu Lande Frauen, feine gebildete Frauen, die nicht in einem Geschäft kaufen mögen, das die Nummer 13 hat, und wenn sie vergoldet wäre. In den Zeitungen stand kürzlich zu lesen, daß man zu Luxemburg in einer neuen Schule bei der Numerierung der Zimmer die 13 durch eine 12b ersetzte und jene ominöse Zahl auf die Thür eines Raumes verbannte, den man nur vorübergehend zu betreten pflegt. In Gasthöfen wird man meist vergeblich nach der Zimmernummer 13 suchen, und wo sie sich findet, da ist sie sicher die letzte, die der Wirth anzubieten wagt. Am ärgerlichsten ist aber der Dreizehnte doch bei Tische, weil es dann gleich ans Leben geht. Es versteht sich, daß bei allen Einladungen peinliche Rücksicht darauf genommen und genau gerechnet wird; wie aber manchmal der Zufall sein Spiel hat, so geschieht es, daß plötzlich einer absagt oder ein Fremder unerwarteterweise mitkommt oder einer abgerufen wird. „Herrje, nun sind wir dreizehn! Wenn man’s nur nicht gleich merkt!“ – Eine kluge Wirthin weiß sich aber zu helfen. Etwa wird eine Nichte oder eine sonstige Verwandte, die zur Gesellschaft gehört, unter irgend einem Vorwand an ein Nebentischchen gesetzt – oder es muß ein unschuldiges Kind mit an den Tisch – oder es wird in aller Eile ein Vierzehnter eingeladen. Der Vierzehnte! Das ist nämlich ein Geschäft, der Vierzehnte zu sein. In allen großen Städten giebt es tadellose Stutzer, die sich ein Vergnügen daraus machen, in Frack und weißer Kravatte anzutreten und einzuspringen, wenn das Unglück irgendwo „des Teufels Dutzend“ geworfen hat. Ihre Adressen haben sie bei einem Agenten hinterlegt, an welchen sich der Gastgeber telephonisch wendet. Wer nicht zufällig eingeweiht ist, betrachtet sie als seinesgleichen und als Gäste, deren Beziehungen zum Hause er noch nicht kennt. Sie erhalten eine Doppelkrone, das gute Essen haben sie obendrein.

Für die „Vierzehnten“ bedeuten also die „Dreizehnerklubs“, die sich u. a. in London und New-York gebildet haben, um dem Aberglauben Trotz zu bieten, einen wirklichen Verlust. Diese „Dreizehner“ speisen nie anders als zu dreizehn, beziehungsweise in Gruppen von je dreizehn und zwar dreizehn Schüsseln am dreizehnten jeden Monats; selbst die Musikanten, welche die Tafelmusik machen, müssen gerade dreizehn sein und dreizehn Stücke spielen, wofür sie dreizehn Schillinge für den Mann erhalten. Durch die That wollen die Wackeren beweisen, daß sie sich vor keiner Vorbedeutung fürchten; es läßt sich denken, daß diese aufgeklärten Gesellschaften nebenbei auch den anderen Verfehmten, dem Freitag, dem Salze und allerhand Gespenstern zu Leibe gehen.

Fruchtloses Unterfangen! Der Aberglaube wird dennoch recht behalten, einer von den Dreizehnern wohl eines Tags dran glauben müssen und dann wird die Schuld erst recht auf die Ziffer geschoben werden. Rudolf Kleinpaul.     


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Einsame Weihnachten.

Skizzen von Paul von Schönthan.
Mit Zeichnungen von A. Mandlick.

Die frühe Dämmerung des Weihnachtsabends war hereingebrochen. – Ein hochgewachsener Mann in den vierziger Jahren, mit halbergrautem Haupt- und Barthaar, stand etwas nach vorn gebückt am Fenster. Den erhobenen Unterarm hatte er an den Fensterbalken gelegt, der Kopf ruhte auf der äußeren Handfläche und die Finger bewegten sich leise auf der kalten, durchsichtigen Scheibe. Er sah auf das große Haus gegenüber. Im ersten Stockwerk saß ein junges Mädchen am Nähtisch bei der Lampe über eine Handarbeit gebückt, sie hantierte eifrig mit Wollfäden und dann flog die Hand auf und nieder, – die letzten Stiche an einer verspäteten Stickerei. Nebenan waren die Fenster eines Eßzimmers erleuchtet, in der Mitte am runden Tisch unter der Hängelampe hockten und knieten Kinder auf den Stühlen, das jüngste saß auf dem Schoß der Kinderfrau, die aus einem Buche vorlas und die kleine Bande in Zucht zusammenhalten mußte, bis Papa und Mama mit dem Aufbau der Bescherung fertig waren. Im zweiten Stock hinter den weißen Spitzengardinen begannen die Lichter des Baums aufzuflammen, aus den beiden Fenstern gerade gegenüber drang der helle Lichtschein, daß man bis ins Innere blicken und die kleinen Menschen erkennen konnte, die geschäftig hin- und herliefen, vom strahlenden Weihnachtsbaum zu den Tischen und Kommoden, auf denen die Geschenke ausgelegt waren.

Die Straße war menschenleer, nur von Zeit zu Zeit ging unten eilends jemand vorüber – an dem Abend hat niemand Zeit – und jeder sah im Vorübergehen zu den Fenstern der Häuser empor und suchte diejenigen, hinter denen die brennenden Wachskerzen strahlten. „Aha, da geht’s schon los!“ und dabei trabte er weiter.

Der Einsame am dunklen Fenster richtete sich auf, trat an den Schrank und schloß ihn langsam auf. Er suchte mit der Rechten zwischen leise klirrenden Gläsern, dann zog er eine Glocke hervor, eine alte Glocke aus Bronze mit erhabenen Blumen und Blattgewinden, eines jener Stücke, die ehrwürdig werden durch die Vorstellung, daß sie dem liebevollen Fleiße früherer Geschlechter ihre Entstehung verdanken, ehe die toten Maschinen alles tausendfach auf den Markt warfen. Aber noch kostbarere Erinnerungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 817. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_817.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)