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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Schritt zurück. „Wir hatten Euer Einverständniß angenommen und uns gefreut – wie sehr! Aber als Ihr Euch dann unter unserem Christbaum gegenüberstandet, so fremd und kalt, da habt Ihr’s verstanden, Euere wärmsten Helfer zu ernüchtern. Und nun ist’s doch gewesen, wie wir dachten – doch!“ Sie klopfte mit den Spitzen ihrer Füße heftig auf den Boden.

Zwei schlanke Mädchenhände streckten sich wie beschwörend gegen die erregte Hausfrau. „Lucie! Wenn er nichts sagte, konnte ich es dann?“

„Nein – aber Du konntest Deine Gefühle soweit zeigen, daß ein feines Empfinden – und das hatte er – die Wahrheit errathen hätte. O, die Geschichte ist zu toll! Da ist ein junges Mädchen, unabhängig, schön, reich, liebend und geliebt … und läßt aus falscher Zurückhaltung den Geliebten übers Weltmeer ziehen, wo die Gefahr ihn tausendfach umlauert, ja wo schon das Klima – – Aber was kommt Ihr denn schon wieder, Kinder?“ rief Frau Lucie, deren schmerzliche Empörung beim Anblick der kleinen Störenfriede in einen gesunden Aerger überging.

„Tante! Mama! Der Papa hat Besuch!“

„Den Weihnachtsmann!“ versicherten die Mädchen.

Die Mutter schüttelte unwillig den Kopf. „Der Doktor? Sollte er ohne Einladung gekommen sein?“

„Nein, nicht der Onkel Doktor,“ sagte Hans. „Die Stimme war ganz anders, die war so –“ Er suchte offenbar nach einem passenden Vergleich, ohne ihn in seiner Aufregung zu finden.

Nun wurde doch auch in Frau Lucie die Neugier wach.

„Habt Ihr den Mann gesehen?“

Nein, niemand hatte ihn gesehen. Es hatte an der Thüre des Wohnzimmers „detlopft“ –

„G-ek-lopft, tüchtig geklopft,“ schrie Hans, als ob er zeigen wollte, daß er wieder in dem glücklichen Besitze seiner Stimme sei.

„Ohne daß vorher die Flurglocke geläutet wurde?“

Nein, niemand hatte vorher läuten hören. Der Rechtsanwalt war auf das Klopfen schnell hinausgegangen. Die Kinder hatten einen lauten Ausruf des Papas, dann ein rasches Hin und Her von Fragen und Antworten gehört – „aber kein Wort verstanden!“ murrte Hans dazwischen – und dann, dann hatte der Papa den Kopf, der „danz, danz roth“ war, wieder durch die Thürspalte hereingesteckt und gesagt. „Kinder, ich hab’ Besuch. Geht zur Mama!“ und war mit dem Besuch in den Salon gegangen.

In den Salon? Mit einem Fremden? Jetzt wo man den Baum anzünden, bescheren wollte? Die kleine sonst so entschlossene Frau stand einen Augenblick rathlos da und blickte nach der Freundin, wortlos fragend, was die zu dieser Störung sage.

Aber diese sagte nichts. Sie hatte von dem allem kaum etwas verstanden. Ihre Augen sahen nicht, was um sie vorging. Der deutsche Winterabend war für sie verschwunden. Vor ihren Augen leuchtete die rothe Wüstensonne, die auf dürres Erdreich, auf Züge ausgehungerter, erschöpft zusammenbrechender Gestalten brannte. Und dorthin hätte sie ihn geschickt? Wenn er nun dort unterging – –

„Serena!“

Es war der Freundin Stimme, die bittend neben ihr erklang.

„Serena, willst Du die Kinder nicht noch einen Augenblick bei Dir behalten? Ich muß hinüber, nachsehen, welche Störung – – nicht doch: dem Christkind helfen, daß es fertig wird. Hans, willst Du wohl hierher! Seid Ihr denn sämmtlich aus dem Häuschen? Husch! Husch!“ Damit trieb Frau Lucie ihre Sprößlinge vom Vorplatz wieder in das Zimmer, schloß die Thüre ab und ließ die also Eingefangenen im Dunkeln.

O diese kurze liebliche Gefangenschaft, diese Dunkelheit, in die der Glanz der seligsten Erwartung, der Vorschimmer all der Herrlichkeiten leuchtet, die jetzt das Christkind „drüben“ vorbereitet! Soweit ab von der Welt der Kinder die Gedanken des Mädchens eben noch waren, es ward ihr warm ums Herz, als die kleinen Hände tastend nach ihr faßten. Weiche Aermchen schlangen sich um ihren Hals, zwei Köpfchen schmiegten sich an ihre Schulter. Und als selbst Hans in ungewohnter Weichheit – die Dunkelheit ist eine gute Bändigerin der Wilden – seine Wange an ihre Brust legte, ihr anvertrauend, daß er durch das Schlüsselloch einen weißbehelmten Neger gesehen habe, einen von den neuen Zinnsoldaten, als nun auch die Kleinen mit heimlichem Gewisper und Gekicher ihre hochgespannten Erwartungen verriethen, als all die frischen Lippen, stammelnd und flüsternd, ihr so nahe waren, all das weiche warme junge Leben sich so vertrauend an sie drängte, da fühlte sie sich plötzlich süß durchschauert, wie von der Ahnung eines großen Glücks.


*  *  *


Die Kleinen hatten recht gehabt: es war der richtige Weihnachtsmann, den der Heilige Abend bei Rechtsanwalts im wahren Sinne des Wortes hereingeschneit hatte. Einer schöneren Christbescherung wußten sich Eltern und Kinder jetzt und später nicht zu erinnern. Nur etwas länger hatte man dieses Mal auf den ersehnten Ruf der Klingel warten müssen.

Und doch waren es sechs Hände statt der gewohnten vier, die sich mit dem Anzünden des Weihnachtsbaumes beschäftigten. Aber wer zugesehen hätte, wie oft der Hausherr zwischenhinein

den Gast umarmte, ihn dann wieder von sich abhielt um ihn schmunzelnd zu betrachten, wer mit angehört hätte, wieviel Frau Luciens hübscher Sprudelmund zu fragen, zu berichten und immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 811. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_811.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)