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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Taschentücher zu Streifen, um kalte Umschläge auf die verletzte Stelle zu legen. Es gewährte ihr eine eigene Genugthuung, Waldmann zu pflegen, liebkosend über das glänzend schwarze Fell zu streichen. Seltsame Wendung des Schicksals! Sie hatte Röver selbst hochmüthig von sich gewiesen und mußte es nun als Glück empfinden, daß sie sich seinem Hunde hilfreich erweisen durfte. Sie schleppte dem Verletzten Leckerbissen herbei, von denen er ab und zu etwas nahm; dann rollte er sich auf seinem weichen Lager zusammen und stieß nur von Zeit zu Zeit ein leises Wimmern aus.

Als Grete am Abend nach Schluß des Geschäfts zurückkehrte, fand sie den Hund bedeutend besser. Nachdem sie ihn vom Bette heruntergehoben hatte, fing er sogar an, in der Stube herumzuhumpeln. Und jetzt mußte sie an seinen Herrn denken, der jedenfalls in bekümmerter Sorge um den geliebten Kameraden war. Sie schlug den Hund in ein Tuch, nahm ihn auf den Arm und schlich sich scheu und vorsichtig durch die nächtlichen Straßen zu dem ihr so vertraut gewordenen Hofe. Von ihrem alten Lauscherposten aus sah sie Mutter und Sohn traurig um den Tisch des Wohnzimmers sitzen; Waldmann aber, seine Heimath erkennend, bellte laut auf. Schleunig setzte Grete ihn auf den Boden, denn sie bemerkte, wie sein Herr bei dem bekannten Tone aufsprang und ans Fenster eilte. Und dann entfloh sie, so rasch sie konnte.

Es war hohe Zeit gewesen, daß Waldmann sich wieder einstellte. Frau Röver, die ihren Empfindungen in Gegenwart des Sohnes sonst nicht gern die Zügel schießen ließ, konnte bei diesem neuen Mißgeschick ihre überquellende Bitterkeit nicht zurückhalten.

„Natürlich,“ fing sie an, „so mußte es kommen. Hattest noch eine Freude in der Welt, die konnte einem armen Menschen, wie Du bist, unmöglich bleiben. Irgend einer Deiner ‚guten‘ Bekannten wird sich’s gemerkt haben, wie sehr Du dem Waldmann zugethan bist, und knallt ihn weg oder ersäuft ihn – einer Deiner braven Freunde, die Dich nicht mehr grüßen, wenn sie Dir auf der Straße begegnen, wie der junge Meermann neulich!“

„Mutter, den Julius Meermann grüß’ ich nicht mehr. Und warum soll jemand absichtlich dem Hund ein Leid zugefügt haben? Er kann auch durch ein Ungefähr verunglückt sein. Für uns freilich bleibt’s dasselbe.“

Er war bei den Hundefängern gewesen, auf der Polizei, er hatte eine Anzeige ins Tageblatt aufgegeben – weiter konnte er nichts thun. Er klagte nicht, es war nicht seine Art. Aber er schob sachte das Abendbrot zurück, das seine Mutter ihm hingestellt hatte, und das zum ersten Male seit Jahren Waldmann nicht mit ihm theilen sollte.

„Wir müssen uns in Geduld fassen, Mutter,“ sagte er dabei mit wehmüthigem Lächeln.

Doch die alte Frau erwiderte unwirsch: „Gut, Du, wenn Du’s kannst. Bei mir wird die Ungeduld größer von Tag zu Tag.“

In diesem Augenblick bellte Waldmann vor dem Fenster und gleich nachher an der Hausthüre. Mit einem Sprunge war Anton an der Schwelle, um ihm zu öffnen.

„Da siehst Du’s, Mutter! Da ist er zurück, heil und unverletzt! Nein, nicht ganz. Er ist verwundet. Aber schau’ nur, ein barmherziger Mensch hat ihm die Pfote verbunden. – Still doch, Waldmann! – Ist’s nicht, als wollte er uns sein Abenteuer erzählen? Ja, ich möchte schon, daß Du mir den Namen Deines Wohlthäters nennen könntest, armer Kerl! Und was ist denn das? Trotz des Regens draußen sind ja seine Füße ganz trocken – er muß bis zu unserer Thür getragen worden sein.“

Daraufhin lief Frau Röver eilends hinaus und spähte auf den Hof und die Straße, aber nur der Regen rauschte und eilige Menschen hasteten im Schutze der Regenschirme durch die Nacht.

„Draußen ist niemand,“ berichtete sie kopfschüttelnd. „Wüßt’ auch nicht, wer uns ’was zuliebe thun sollte!“

Anton löste nachdenklich die bunt gemusterte Leinenbinde, die um den Fuß des Hundes gewickelt war – der Theil eines Taschentuches ohne Zweifel; er betrachtete den Streifen nach allen Seiten, ob nicht ein eingezeichnetes Monogramm ihn auf die Spur des unbekannten Freundes leiten konnte. Aber es fand sich nichts.

„Mußt Dir die Bitterkeit nicht über den Kopf wachsen lassen, Mütterchen,“ sagte er dann begütigend und faßte die Hand der alten Frau. „Waldmanns glückliche Wiederkehr nehm’ ich für ein Zeichen von guter Vorbedeutung; wer weiß, ob sich nicht auch das andere früher, als wir denken, zum Guten wendet.“

Frau Röver zuckte stumm die Achseln zu dieser Vertrauensseligkeit. –

Zwei Tage später wurde Röver zu seinem Chef gerufen.

„Es ist gekommen, wie ich Ihnen vorhergesagt habe, Röver. Ihre Ernte reift. Julius Meermann ist dringend verdächtig, Gelder seines Prinzipals unterschlagen zu haben. Wilson und Kompagnie haben selbst die Anzeige erstattet. Verfügen Sie sich sofort in die Wohnung Meermanns und halten Sie Haussuchung. Ist der Mann selbst anwesend, so verhaften Sie ihn. Und halten Sie die Augen offen, vielleicht fällt Ihnen irgend etwas in die Hände, was auf Ihre eigene Angelegenheit Bezug hat. Gehen Sie rücksichtslos vor und seien Sie meiner Unterstützung gewiß!“

Anton Röver wurde erst sehr roth, dann bleich; der Gedanke an Grete schoß blitzschnell durch sein Gehirn. Nun war er da, der erhoffte, ersehnte, durch zwei lange bittere Jahre hindurch ersehnte Augenblick, und doch war seine Empfindung keine freudige.

„Ich – ich soll – ich selbst –“ stammelte er.

Der Kommissar trat auf den Verwirrten zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Muth, Röver! Muth und Umsicht! Halten Sie sich wacker! Es freut mich, daß ich Ihnen diese Genugthuung bereiten kann. Es wird mich freuen, wenn es Ihnen gelingt, den letzten Verdacht von Ihrer Person abzustreifen, obgleich ich fürchte, dadurch einen zuverlässigen Beamten und Mitarbeiter zu verlieren. Denn ich sehe wohl, Sie fühlen sich nicht glücklich in Ihrem neuen Beruf und werden die erste Gelegenheit benutzen, uns den Rücken zu kehren. Doch nun gehen Sie und thun Sie Ihr Bestes!“

In tiefer Erregung verließ Anton Röver das Polizeigebäude. So sehr er entschlossen war, seine Pflicht zu erfüllen, sein eigenes gutes Recht mit Aufbietung aller Kräfte zu verfolgen und womöglich diesen Schurken zu entlarven – das bange Mitleid mit Grete hörte nicht auf, ihn zu foltern. Als er, den Verhaftsbefehl in der Tasche, begleitet von zwei Schutzleuten, die Treppe im Meermannschen Hause emporstieg, schlug ihm das Herz zum Zerspringen. Er klingelte an der Vortür, und Grete erschien, um zu öffnen.

Als sie Röver in Begleitung der Polizisten sah, wurde sie weiß wie die Wand und griff nach dem Thürpfosten, um sich zu halten.

Dem Manne schnürte heißes Mitleid das Herz zusammen, seine Stimme klang fast tonlos und seine düsteren Augen waren feucht, als er sagte:

„Fräulein Meermann, Sie werden entschuldigen – ich komme in einer traurigen Angelegenheit –“

Sie richtete sich gewaltsam auf und warf den Kopf in den Nacken. „Sie kommen in Ihrem Amte, Herr Röver. Thun Sie Ihre Pflicht, wie Sie müssen, nur –“ ihre Lippen zuckten und ihre Zähne schlugen leise aneinander – „nur, wenn Sie können, schonen Sie meine Mutter!“

Röver nickte zustimmend mit dem Kopfe. „Bereiten Sie sie vor! Wir folgen Ihnen auf dem Fuße.“

Am runden Tische in der Stube saß Frau Meermann mit zerrauftem Haare; sie hatte das Gesicht in die Hände vergraben und weinte und schrie. Vor wenigen Minuten war ihr Sohn ins Zimmer gestürzt, blaß, athemlos, mit weit aufgerissenen Augen. „Rettet mich! Rettet mich! Aus Barmherzigkeit – Geld, Geld zur Flucht! Sonst schleppen sie mich ins Zuchthaus!“ Sie hatte erst gar nicht verstanden, hatte gemeint, der Uebereifer in seinem Beruf habe seinen Geist umnachtet, aber Grete hatte entsetzt ausgerufen. „So bist Du wieder zum Diebe geworden?!“

„Wieder!“ – Nun wußte die Mutter, was auf ihrer Tochter gelastet hatte, wie tief ihr Abgott gefallen war; mit einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_794.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)