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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

C. W. Allers und seine Bismarck-Mappe.

Von E. von Wald-Zedtwitz.

Ich sitze seit einigen Tagen höchst gemüthlich beim Eisernen Kanzler,“ so lautete der Zettel, den mir mein Freund Allers – er schreibt fast immer auf ein beliebiges Stück Papier, das ihm gerade zur Hand ist – vor längerer Zeit von Friedrichsruh aus schickte und der mich vermuthen ließ, daß dort ein neues Werk seines Stiftes im Werden begriffen sei. Ich hatte mich nicht getäuscht, denn in jenen Tagen entstand die Mappe „Fürst von Bismarck in Friedrichsruh“, welche in 70 Blättern das Leben des greisen Kanzlers in seinem von Buchen umrauschten Tuskulum vor Augen führt und welche nunmehr das Licht der Oeffentlichkeit erblicken soll.

Keine Lobrede will ich halten, man kann es den Werken von Allers und insonderheit diesem neuesten ruhig überlassen, für sich selbst zu sprechen. Nur soviel will ich mir zu bemerken erlauben, daß gerade dieser Bismarck-Mappe eine Bedeutung zukommt, die weit über das Interesse des Tages, auch über das künstlerische, hinausragt. Noch späte Geschlechter werden es dem Maler dank wissen, daß er ihnen den Mann, der einst so viel erstritten hat und so viel umstritten wurde, in lebenswahrer Anschaulichkeit verewigt, daß er es ihnen ermöglicht hat, diesen Mann zu sehen, wie er als Mensch im Kreise der Seinen lebte.

Der Fürst geht aus.
Copyright 1892 by Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.

Und ein anderer als Allers mit seinem angeborenen Humor wäre auch nicht leicht imstande gewesen, ein solches Werk wie das vorliegende zu schaffen. Der echte und unverfälschte Humor des Künstlers war es wohl auch, welcher diesem die Sympathie des großen Staatsmanns eintrug und welcher es Bismarck leicht gemacht haben mag, sich vor seinem Gaste ganz zu geben, wie er ist, was auf die Arbeit des Malers von vortheilhaftestem Einfluß sein mußte.

Fürst Bismarck ist nie ohne Besuch; abgesehen von den Passanten sind stets einige seiner Familienangehörigen oder seiner Freunde auf längere Zeit zugegen. Allers, der durch Dr. Schweninger dem Fürsten vorgestellt wurde, hatte das Glück, zu denjenigen gezählt zu werden, welche „nicht stören”, die also vollständig zum Familienkreise gehörten, wie der heitere, stets gern gesehene Leibarzt, wie Lenbach, dort „Achill“ genannt, wie Dr. Chrysander oder der nun verstorbene Lothar Bucher, der immer noch ein Stündchen mit dabei saß, um dann sanft einzunicken oder sich heimlich zu entfernen. Und so konnte es Allers gelingen, den Fürsten, beinah ohne daß dieser es merkte, am Abend nach Tisch, wenn er seine Pfeife dampfte und mit überlegenem Lächeln die Zeitungen las, auf dem Spaziergang, oder wo es sonst war, auf das Papier zu fesseln. Aber nicht nur in seiner Eigenschaft als Maler verweilte Allers über ein Vierteljahr in Friedrichsruh und in Varzin, auch als freundlicher Erzähler für Alt und Jung war er geschätzt, und außerdem lag ihm die wichtige Aufgabe ob, allzulange haftende Besucher, die den Heimweg nicht mehr finden konnten, in höflich liebenswürdiger Weise flott zu machen. „Es ist wohl bald Zeit zum Zuge“ – „Jetzt muß der Fürst Ruhe haben,“ das waren so die feinen Winke mit dem Zaunpfahl, welche dabei angewendet wurden.

Am Abend las zuweilen der Fürst oder die Fürstin vor, man spielte Skat oder sang mit Begleitung des Dudelkastens, die Enkel des Hauses führten kleine Tänze auf; bei schönem Wetter bot der Wald einen willkommenen Aufenthalt, Picknicks wurden veranstaltet, bei denen Allers gewöhnlich das Backen der Pfannkuchen zufiel, weil er die größte Gewandtheit im Umdrehen derselben aus freier Hand entwickelte. Zum Kummer der drei Enkel Rantzau fiel dabei keiner in die glühende Asche.

Es ist leicht, mit Allers bekannt zu werden, vorausgesetzt, daß er sich von innen heraus zu jemand hingezogen fühlt; sonst freilich kann er auch ein ziemlich abweisendes Wesen an den Tag legen.

„Der Mann gefällt mir nicht!“ damit ist oft die Sache abgethan, und Allers bleibt kühl bis ans Herz hinan, denn nach seinem Wahlspruch: „Ich bin ein freier Mann und singe!“ thut er sich niemals Zwang an. Am wenigsten läßt er sich zu Europens übertünchter Höflichkeit herab, wenn sie ihm nicht von Herzen kommt. So erschien auf Capri einmal eine Amerikanerin bei ihm, die ihm goldene Berge bot, wenn er sie zeichnete. „Nicht rühr’ an!“ dachte Allers, und wirklich mußte die alternde Schöne unverrichteter Sache wieder abziehen.

Wir beide fanden uns schnell, als Allers in Meiningen die „Meininger“ zeichnete. Bei allen seinen großen Erfolgen ist er stets der gemüthliche Hamburger geblieben, der sich durch nichts aus seiner Ruhe bringen läßt. Etwa 30 Jahre alt, ist Christian Wilhelm Allers wohlbeleibt und hat ein Paar Augen, aus denen uns Gutmüthigkeit und überwältigender Humor entgegenblitzen. Was er auch sagt, kommt drollig heraus, und wenn er von seiner Jugend erzählt, die er theils bei seinen Eltern in Hamburg, theils auf dem Dorfe bei seinem Großvater verlebte, oder von seiner Sturm- und Drangperiode plaudert, in der er sich für Kost und Unterkunft durch ganz Italien „pinselte“, wo er Direktor eines wandernden Liebhabertheaters war, bei dem jeder nur spielen durfte, wenn er ein gewisses Honorar bezahlte, stets entwickelt er jenen köstlichen Humor, der dem Zuhörer das Zwerchfell erschüttert und zugleich die Augen feuchtet.

Auf Capri sahen wir uns wieder. Plötzlich stand er in seinem großen Schlapphut vor mir, ganz der Alte, nur gebräunt von der Sonne des Orients, den er auf der „Augusta Viktoria“ kurz vorher besucht hatte.

„Jetzt geht’s los, Major, Capri-Mappe!“ rief er mir entgegen.

„Mensch,“ war meine Antwort, „hundertmal habe ich Sie herbeigesehnt, denn alles scheint hier für Ihren Stift geschaffen zu sein!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_784.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)