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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Es war schon geraume Zeit vergangen, seit Julia bleich und zitternd die Treppe hinaufgestiegen war, als Tante Riekchens kleines Dienstmädchen in die Wohnstube der Räthin stürzte. Dort lehnte im Eckchen am grünlichen Kachelofen ein schönes blondes Mädchen in den Polstern und sah mit glänzenden Blauaugen zu dem Manne hernieder, der ihre Hand gefaßt hielt und leise einen Kuß darauf drückte.

„Also, wenn Sie wiederkehren aus dem Süden, Therese,“ hatte er eben gesagt, „dann darf ich vor Ihren Vater treten?“

„Ja,“ erwiderte sie. „Ich will ihm noch einmal den vollen Genuß des Reisens lassen, denn wenn er wüßte, daß er zum letzten Male in meiner Gesellschaft reist, so würde er das himmlische Nizza in einer ewig wehmüthigen Stimmung betrachten. Aber,“ setzte sie hinzu und drohte lächelnd mit dem schlanken Finger, „nicht ungeduldig werden, bitte!“

„Ich warte, wie Sie es wünschen, Therese, ich bin ja so dankbar, daß Sie mir wenigstens diese Stunde heute abend schenkten.“

Therese sah ihn verwundert an; es war ihr wohl recht, daß er nicht darauf bestand, schon heute seine Werbung bei dem Vater anzubringen, wollte sie doch ihre Freiheit noch einmal nach Herzenslust genießen. Aber sie hatte es sich nicht so leicht gedacht, ihren Willen durchzusetzen. Und nun machte der Doktor nicht einmal den Versuch, sein Glück schon jetzt durch goldene Ringe und Verlobungsanzeige unwiderruflich an sich zu ketten! Er saß so sicher und so still da vor ihr wie ein Mann, der jahrelang verheirathet ist und dem keinerlei Unruhe über einen möglichen Verlust die Stirn zu trüben braucht.

„Sind Sie denn gar nicht eifersüchtig?“ neckte sie.

„Eifersüchtig? Nein! Ich meine immer, Eifersucht sei beleidigend für den, welchen wir lieben. sie setzt Mangel an Vertrauen voraus.“

Sie biß sich einen Augenblick mit den kleinen weißen Zähnen auf die Unterlippe, dann lachte sie.

Gute Nachbarschaft.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

Und eben jetzt platzte das Dienstmädchen von droben mit verstörtem Gesicht in die Stube. „Herr Doktor, kommen Sie doch nur rasch, Fräulein Julia ist krank, sie schwatzt in einem fort zu ihrem Bruder, der doch gar nicht da ist.“

Er sprang empor und lief hinaus, ohne sich bei Therese zu entschuldigen.

„Was ist’s mit Julia und dem Frieder?“ erkundigte sich Therese und trat unruhig zu der Räthin, die wie ein Steinbild am Sofatisch vor der Lampe gesessen hatte, scheinbar so in ihren Kalender vertieft, daß sie nichts sah und hörte.

„Ich weiß nicht, mein goldiges Herzchen“ antwortete die beglückte Schwiegermama. „Sie mag wohl im Fieber reden, sie war heute nach Tisch schon gar nicht wohl.“

Aber Therese schien keine Lust zu haben, auf ein Gespräch mit der alten Dame einzugehen; sie schritt schweigend im Zimmer auf und ab.

Da kam Fritz zurück. „Sie ist sehr krank, Mutter,“ wandte er sich an diese, „ich glaube, daß es eine Gehirnentzündung wird; bis ich eine Wärterin habe, bitte ich Dich, bei ihr zu bleiben.“

„Sie ist ohne Besinnung?“ fragte Therese.

„Leider, leider!“

Und als seine Mutter gegangen war, schloß er seine Braut in die Arme und blickte ihr ernst in die Augen. „Nun komm, ich will Dich hinüberführen, ich muß nachher zu der Kranken. Aber zuvor laß mich Abschied von Dir nehmen. Auf Wiedersehen, Du mein Glück!“

Er hatte feuchte Augen, als er sie küßte – zum ersten Mal.

Vor der Thür der Villa nahm er noch einmal das schöne Antlitz zwischen seine Hände. „Gott lasse mich Dich wiedersehen!“ sagte er innig, dann ging er. –

Droben im kleinen Krankenstübchen flüsterte Mamsell Unnütz in ihren Fieberphantasien mit dem Bruder. „Ach, Frieder, wir beide – wir beide!“ sagte sie gerade, als der Doktor wieder eintrat. „Ach, Frieder, wir beide! Aber Du wirst’s vergessen, Du bist ein Bub’, Du hast auch noch tausendmal mehr – aber ich – ich hatte nur das eine –“ und sie lachte dazu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 745. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_745.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2019)