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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Halbheft 24.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Mamsell Unnütz.
Roman von W. Heimburg.
(4. Fortsetzung.)


Es ist sehr schwer für ein junges Menschenkind, das, was das Herz bewegt, beglückt, beschwert, fest in sich zu verschließen. Die Eindrücke, die ein solch kleines Herz empfängt, drohen es zu zersprengen, und andere theilnehmende Herzen müssen helfen, die wichtigen, wonnigen oder schmerzlichen Begebenheiten einer ersten Liebe zu tragen. Selten ist die Mutter die Vertraute, fast immer ist es eine Freundin, die auch ihrerseits ein Geheimniß hat. Solche Mädchenfreundschaft ist ein rührendes Ding – immer bereit, zu trösten, mitzuweinen oder mitzulachen, und immer bereit, Wunder zu entdecken, wo vielleicht ein anderer die reinste Prosa sehen würde.

Mamsell Unnütz besaß keine Mutter, und die, die deren Stelle zu vertreten gelobt hatte, vermochte noch immer keine Liebe zu ihr zu fassen. Das stille Kind würde es nie gewagt haben, irgend etwas, von dem es bewegt wurde, der blassen bekümmerten Tante auch nur anzudeuten. Und Therese Krautner war ihr keine Freundin im eigentlichen Sinne; besonders mied sie alle Vertraulichkeit mit Julia, seitdem sie sich mit ihrem Bruder verlobt hatte, und diese war viel zu stolz, um eine Freundschaft zu suchen, die sich ihr versagte. Aber sie litt unter ihrer Herzenseinsamkeit namenlos schwer, denn von Natur war sie anschmiegend und zärtlich, und all ihre Kühle und scheinbare Unempfindlichkeit war künstlich, ein Ergebniß der ohne Liebe verlebten Jugendzeit. Nur aus den wunderbaren Augen erkannte man das helle süße Feuer, das ihre Seele barg; aber diese Augen lagen fast immer verschleiert unter den blauschwarzen Wimperm. Freilich nannte die Frau Räthin eben das „Koketterie“, denn hoben sich plötzlich die Wimpern und schaute Mamsell Unnütz einem anderen Menschen voll ins Gesicht, so konnte dieser erschrecken vor den Strahlen, die ihm entgegenflammten, ein tiefes innerliches Leben verrathend, eine Fülle von Empfinden.

„Zum Glück,“ pflegte die Räthin zu sagen, „hat sie gar keine Gelegenheit, ihre gefährlichen Augenkünste zu versuchen, denn außer mit dem Fritz verkehrt sie mit keinem Mann, und der ist ihren Anblick gewöhnt, dem thut’s nichts – man kann in der schönsten Landschaft wohnen und man merkt’s gar nicht, saß man von jeher darin. Na, und außer den Augen ist auch wirklich nichts an dem Mädchen, was man schön heißen könnte; die schwarzen Zöpfe sehen aus als wie aus Nähseide geflochten, und der Teint ist so gelblich wie meine Garnitur echter Spitzen.“

Und doch sollte es auf einmal einen Menschen geben, in dem diese Augen Liebe geweckt hatten, der um jeden Preis die Besitzerin dieser Augen – die Räthin schlug die Hände über dem Kopfe zusammen – heirathen wollte!

Mamsell Unnütz selbst hatte keine Ahnung davon gehabt, daß die Liebe eines Mannes sie suchte mit fieberhaftem Verlangen; sie sprach mit dem Kranken, der fast allmorgendlich am Arme eines Dieners die Schwelle des Wartezimmers mühsam überschritt, so freundlich wie mit allen anderen, vielleicht noch freundlicher, denn angesichts eines solchen Elends floß ihr Herz über von Güte. Gab es denn etwas Trostloseres, als jung, reich, befähigt zu sein und dabei an allem gehindert zu werden durch einen gebrechlichen Körper? Sie, die bei aller Ruhe ihrer Bewegungen


Vergnügte Fahrt.
Nach einem Gemälde von A. Halmi.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_741.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2019)